Opposition im Rückwärtsgang

In knapp sechs Wochen, am 22. September wird in Deutschland gewählt. Eigentlich gibt es jede Menge Oppositionsparteien - aber von diesen hört man so gut wie nichts

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Die Stille um die Oppositionsparteien ist Anlass, einmal einen Blick auf den Wahlkampf, auf die Inhalte und Botschaften der ersehnten Wende zu werfen. Überraschung: Die Opposition ist äußerst kreativ.

SPD - hat die Energiewende herbeigeführt und die Studiengebühren abgeschafft

Der Fraktionsvorsitzende der bayerischen SPD heißt Markus Rinderspacher. Auf meine Frage, was die Opposition in Bayern in den letzten fünf Jahren erreicht hat, antwortet er mir "Die Energiewende".

Ich stocke einen Moment. War die am 21. März 2011 unmittelbar nach Fukushima von Bundeskanzlerin Merkel eingesetzte Ethikkommission, die der promovierten Physikerin zum sofortigen Atomausstieg riet, auf Initiative der Sozialdemokraten eingerichtet worden? Am 30. Juni 2011 beschloss der Bundestag mit 512 Stimmen den Atomausstieg. In der namentlichen Abstimmung stimmten von 139 SPD Abgeordneten nur 132 zu. Nichts gegen die Energiewende, aber diese als Leistung der SPD-Opposition auszugeben, überrascht dann doch.

Harter Wahlkampf: Puppentheater zur Erklärung des BGE für Nachsitzer und Wiederholer.

Auf Platz zwei oppositioneller Leistungsbeweise gibt Rinderspacher die Abschaffung der Studiengebühren in Bayern an. Wie mir der Sprecher der Initiative Volksbegehren gegen Studiengebühren, Michael Knoblach, mitteilt, haben SPD und Grüne noch am Tag der Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichts, das von den Freien Wählern initiierte Volksbegehren zur Abschaffung der Studiengebühren zuzulassen, erklärt, die Abschaffung in ihr künftiges Regierungsprogramm aufzunehmen - und damit die Überflüssigkeit eines Volksbegehrens begründet.

Beide Beispiele zeigen: Es gibt offenbar keine, hervorhebenswerte eigene Leistung der Opposition. Verständlich, dass Markus Rinderspacher dann auch die Veröffentlichung seines Gespräches mit Telepolis ablehnte.

Grüne - haben die Energiewende herbeigeführt und die Studiengebühren abgeschafft

(siehe SPD)

Die Linke - gedenkt Hiroshima und verteilt Kondome

Heute ist der 17. August 2013. Nur noch wenige Wochen bis zur Bundestagswahl. In diesem heißen Wahlkampf, in dem die Linke theoretisch sogar eine rot-grüne Bundesregierung ins Amt heben könnte (wenn nicht alle drei Parteien dies aus unerfindlichen Gründen ablehnen würden), gilt mein Interesse der Kolumne des Bundesgeschäftsführers und Wahlkampfleiters Matthias Höhn. In seiner letzten Folge der aufregend betitelten, autobiographischen Kolumne "Höhn und Tiefen" widmet sich Höhn endlich dem wichtigsten Thema für die bevorstehende Wahlentscheidung: die Bombardierung Hiroshimas am 6. August 1945.

Entwicklung, Produktion, Lagerung und Weitergabe von Atomwaffen, so Wahlkämpfer Höhn, sollten nämlich dringend unterbunden werden. DIE LINKE, so resümiert er, fordere daher dringend den Abzug und die Zerstörung der "letzten auf deutschem Territorium verbliebenen Atomwaffen." Ein Thema, das buchstäblich in der Luft liegt. Bereits zum Auftakt seiner Kolumne jedenfalls, am 17. Juli 2013, verblüffte Höhn gar mit folgender Ankündigung: "Wenn meine Kolumne veröffentlicht ist, ist der Gegenstand bereits vergangen: Die Präsentation unserer Wahlkampagne zur Bundestagswahl am 22. September 2013."

Matthias Höhn ist Wahlkampfleiter der Linken und bloggt über "Höhen und Tiefen" des Wahlkampfs. Highlight am 6. August: Gedenken an Hiroshima.

Der Gegenstand der Kolumne ist also die Präsentation der Wahlkampagne. Und so freuen wir uns über die Nachricht, dass 2000 mobile Großflächen, 380.000 Themenplakate und 7,5 Millionen Wahlzeitungen über linke Hintergründe und Alternativen der Bundespolitik informieren. Wem das zu abstrakt erscheint, dem verabreicht Höhn auf Wunsch ein wirksames Mittel gegen Politikverdrossenheit:

Und weil Politik auch immer greifbar sein soll, flankieren wir Papiere und Veranstaltungen mit den klassischen Mitteln wie rote Brillenputztücher, Kugelschreiber und Kondome - wichtige Dinge für den Alltag, nicht nur für den Wahltag.

Alternative für Deutschland: "Wir bringen das Glück in die Heimat zurück."

Deutschland, jeder weiß es, geht es durch die Eurokrise besonders schlecht. Massenarbeitslosigkeit, Zusammenbruch der Sicherheit und Gesundheitsversorgung, Millionen verlassen das Land, Notverkäufe von Immobilien in München, Sylt und Köln, dazu ständig steigende Zinsen, die den Staatshaushalt belasten. Zum Glück gibt es nun eine Alternative für Deutschland, die im Wahlkampf an die kritische Bardentradition von Wolf Biermann und Franz-Josef Degenhardt erinnert.

"Wir bringen das Glück in die Heimat zurück", versprechen die Barden der AfD. Wo war es denn dann seit 2008?

"Wir geben nicht auf", heißt die positive Message des gleichnamigen Songs des Duos Ralf Maas und Jörg Schreiner, der das originelle Werbemittel der "Alternative für Deutschland" bildet, wie sich die medial erfolgreiche Neugründung nennt. Zitatwürdige Zeilen: "Wir bringen das Glück in die Heimat zurück" - "Hier kommt die Wende, Euer sicheres Ende" - der Song erweckt das Gefühl, nicht in Deutschland, sondern in Ägypten oder Syrien zu leben. Wo war das Glück eigentlich seit 2008 unterwegs, wenn es nun zurückkommen soll? Und wem soll das "sichere Ende" bereitet werden? Der Regierung der Allparteienkoalition etwa, die sich seit Jahrzehnten auf die Zustimmung einer breiten Mehrheit ebenso bequemer wie gut versorgter Deutscher verlassen kann?

"Wir halten zusammen" lautet der zweite Satz des Refrains. Wer diesen Song hört, versteht, warum die Alternative an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern wird: Die große Koalition der Bequemen hält nämlich längst zusammen - und zwar gegen Krisenpropheten und Miesmacher jeglicher Couleur.

Und das Glück? Es mag zwar öfters unverdient sein, aber dass es in Deutschland besonders gerne zu Gast ist, kann nicht ganz ausgeblendet werden. Die Alternative zu Glück aber ist Unglück - eine Alternative, die Wähler eher ungern bevorzugen.

Piraten: BGE in einem kleinen Landkreis testen

Als einzige Partei gestatten die Piraten die Kommentierung ihres Wahlkampfes. In der Serie "Liquid Broadcast" sollen "in einfachen Worten" dem Wahlvolk per Video die Inhalte der Piraten erklärt werden. Seit 8. August zeigt diesem daher Marina Weisband am Beispiel einer Matrjoschka-Puppe, wie das bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) funktioniert. "Für verschiedene Lebensmodelle ist das bedingungslose Grundeinkommen der Kern", erklärt Grundschullehrerin Weisband ihren Nachsitzern und Wiederholern.

Wie die bisher 55 Kommentare zeigen, kann dieses didaktische Experiment als geglückt bezeichnet werden. So bestätigt User "Karl Hasenberg" seiner geduldigen Pädagogin: "Faulheit ist was gutes. Es wird ohnehin zu viel Gearbeitet in Deutschland..." (Bitte beachten: Gutes klein, gearbeitet groß)

Für den Erfolg beim Wähler ist offenbar das Verständnis des Wahlprogramms nicht entscheidend. User "andi": "Also ich werde zwar Piraten wählen, aber das mit dem BGE versteh ich nicht." Ein "Hans-Joachim Kreuzahler", der sich als Wähler der Piraten-Konkurrenz AfD zu erkennen gibt, meldet sich mit folgender Idee zur Umsetzung des BGE: "Man sollte den Gedanken tatsächlich in Fachkreisen diskutieren und in einem kleinen Landkreis ausprobieren." Das Problem, so lernen wir, sind nicht die Parteien und ihre Programme. Das Problem sind die Wähler. Am 23. September wird dieses lästige Problem für weitere vier Jahre außer Sichtweite sein.

Dürfen wir vermuten, dass die Wähler der CDU die Soziale Marktwirtschaft nicht verstehen? Die Wähler der FDP nicht den Liberalismus? CSU-Wähler nicht die päpstliche Enzyklika "Deus caritas est"? Zum Glück schadet das dem Funktionieren des Landes in keiner Weise.