Pack das Vorhängeschloss ein

Berlin existiert stellenweise nur noch auf dem Papier

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Berlin schwitzt. Und sehnt sich nach Wasser. Allerorten werden Brunnen zur Badeanstalt umfunktioniert. Ist nämlich gar nicht so leicht, ein Schwimmbad zu finden in Berlin. Eines, das geöffnet ist. Das Sommerbad Neukölln zum Beispiel schließt um 18 Uhr. Auch wenn es noch so heiß ist. Der Grund: Personalmangel. Erst ab Mitte Juni darf bis 20 Uhr gebadet werden. Das Stadtbad Neukölln (Kleine Halle) ist vom 19.07. bis 31.08.2003 geschlossen: Sanierung. In derselben Zeit bleibt auch das Stadtbad Mitte zu. Keine Ahnung warum. So ist das in Berlin. Die Stadt ist pleite, und wenn was zu teuer wird oder kaputt geht, dann muss man halt ohne zurecht kommen. Die Stadtplanverlage kommen mit dem Streichen gar nicht mehr hinterher. Wer schnell frustriert ist, sollte deshalb niemals einfach mal so ins Schwimmbad oder in die nächstbeste Stadtbücherei fahren, bloß weil im Stadtplan (Ausgabe 2003) was eingezeichnet ist. Weil viele der Bäder und Büchereien nur noch auf dem Papier existieren.

Am ehesten ist auf das Internet Verlass. Allerdings gelangt man erst über Umwege auf die aktuelle Seite der Berliner Bäder-Betriebe (BBB. Freilich werden hier nur die städtischen Bäder präsentiert. Und wer nicht weiß, dass das legendäre Prinzenbad offiziell "Sommerbad Kreuzberg" heißt, kann sich im Internet dumm und dämlich suchen. Da ist man schneller hingeradelt.

Doof nur, wenn man außer einem Badeanzug und einem Handtuch auch noch einen Geldbeutel, ein Handy und ein Schlüsselbund dabei hat. Sollte man in Berlin nicht einfach so rumliegen lassen. Zu viele Arme und Arbeitslose in der Stadt. Besonders in Kreuzberg. Zwar gibt es im Schwimmbad Schließfächer. Doch sind die alle ohne Schloss. Entweder man bringt sein eigenes Vorhängeschloss mit - oder man kauft für 3,50 Euro eines an der Kasse. 3,50 Euro ist ne Menge Geld für ein Schloss. Besonders in Berlin. Da lohnt es sich fast, schnell noch mal eine Runde zu drehen und sich woanders was Billigeres zu besorgen. Andererseits könnte man es vielleicht doch riskieren und die Habseligkeiten unterm Handtuch verstecken: Seit die Eintrittspreise auf 4 Euro (ermäßigt 2,50 Euro) angehoben wurden, ist es nicht mehr ganz so voll, folglich müsste sich auch die Zahl der Diebe reduziert haben. Was aber, wenn die verbliebenen Diebe angesichts der gestiegenen Betriebskosten jetzt noch häufiger zuschlagen? Außerdem kostet es ab 17.30 Uhr nur noch 2 Euro. Für alle. Also auch für Feierabend-Diebe. Es hilft nichts: ohne Schloss kann man in Berlin nicht ins Schwimmbad.

Apropos Schloss: Um säumige Steuerzahler an ihre Pflichten zu erinnern, hat die Stadt jetzt ein Dutzend Parkkrallen angeschafft. Die Botschaft der knallgelben Wegfahrsperren ist denkbar einfach: wer seine Steuern nicht bezahlt, muss mit Pfändung rechnen. Egal, ob es sich bei den Schulden um nichtbezahlte Kfz-Steuer, Umsatz-, Gewerbe- oder Lohnsteuer handelt. Aktuell belaufen sich die Steuerrückstände in Berlin auf insgesamt 586 Millionen Euro, davon entfallen 13 Millionen Euro auf die Kfz-Steuer. Ist die Kralle erst mal montiert, hat der Zahlungsunwillige drei Tage Zeit, seine Schulden zu begleichen. Vorbild dieser Form von Steuereintreibung sind Städte wie Köln, Hamburg sowie das nordrhein-westfälische Wülfrath. Teilnehmer am Berliner Modellversuch sind die Finanzämter von Kreuzberg, Treptow/Köpenick, Hellersdorf/Marzahn und das Finanzamt für Körperschaften.

Gegner der Fiskus-Kralle sehen in ihr die Rückkehr des mittelalterlichen Prangers und fürchten nicht zuletzt um den Datenschutz. Es müsse ja nicht gleich die ganze Nachbarschaft mitbekommen, wer seine Steuern bezahlt und wer nicht. Aus diesem Grund hat der Datenschutz-Ausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses dafür gesorgt, dass der Modellversuch erst mal vertagt wird. Während der Sommerpause soll der Wissenschaftliche Parlamentsdienst ein rechtliches Gutachten zur Parkkralle erstellen. Danach wird neu verhandelt. Doch wenn es um die Eintreibung von Steuergeldern geht, muss nach Auffassung deutscher Gerichte der Datenschutz häufig hintanstehen.

Natürlich muss man sich der Zahlung schon recht hartnäckig verweigern und allerlei Warnungen ignorieren, bevor das Finanzamt tatsächlich die Krallen ausfährt. Wenig Mitleid mit Steuersündern haben denn auch die Leser des Tagesspiegels: Bei einer Telefonumfrage Pro und Contra Parkkralle waren 92,8 Prozent der Anrufer für die Kralle und nur 7,2 Prozent dagegen. Wahrscheinlich zieht es bei der aktuellen Hitze auch die Leser des Tagesspiegels ins Schwimmbad. Die könnte man mit den ausstehenden Millionenbeträgen locker bis Sonnenuntergang öffnen - und damit nebenbei ein paar Arbeitsplätze schaffen. Außerdem könnten Bezirke wie Kreuzberg-Friedrichshain all jene Brunnen wieder sprudeln lassen, die in den vergangenen Jahren aus Geldmangel trocken gelegt wurden - ohne sich in Abhängigkeit von Sponsoren zu begeben.

Auch für Privatanleger gibt es sommerliche Angebote. In Brandenburg zum Beispiel sind aktuell sieben Seen zu haben: Krummer See, Roter See, Blankenburger See, Grünower See, der Stegelinsee bei Angermünde, der Schulsee in Joachimsthal sowie der Kähnsdorfer See. Direkt zu erwerben bei der bundeseigenen Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft (BVVG). Die BVVG ist "ein Immobilien-Dienstleister des Bundes, der ehemals volkseigene Äcker, Wiesen und Wälder in den Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen privatisiert." Für die Reinwaschung von Schwarzgeld dürften diese Seen also eher ungeeignet sein. Die Mindestgebote liegen zwischen 4.500 Euro und 99.000 Euro. Als privates Badeparadies sind die Seen allerdings nur begrenzt geeignet. Erstens müssen die Seen öffentlich zugänglich bleiben. Zäune sind also tabu. Zweitens müssen etwaige Badestellen genehmigt werden. Und drittens sind manche der Gewässer an Angler verpachtet.

Wer nichts übrig hat für Seen, kann selbstverständlich auch einen Wald oder einen Acker kaufen. Die Gelder fließen in die Bundeskasse. Und von dort über die verschlungenen Wege des Föderalismus dann vielleicht auch eines Tages wieder zurück in die Schwimmbäder von Berlin. Wäre prima, wenn sich Geld- und Wasserkreislauf auf diese Weise schließen ließen.