Pakistan: Die unverzichtbare Armee als Mühlstein
- Pakistan: Die unverzichtbare Armee als Mühlstein
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Geopolitik und Strategiefehler: Neben Afghanistan ist Pakistan das gesellschaftlich rückständigste Land Asiens. Die Streitkräfte definieren sich als Garant der Stabilität des Landes. Die Bilanz gibt das nicht her
Im Sommer 1947 hatte Mohammad Ali Jinnah, selber dem Ende nahe, "sein" Pakistan quasi im Alleingang Briten und Indern abgerungen. Ein Jahr später war er tot, ohne es auf ein festes Fundament gestellt zu haben. So wurde es von Beginn in einen Strudel hineingezogen, aus dem es sich bis heute nicht befreien konnte und der noch immer das Potential hat, es zu verschlingen.
Früh wurde offensichtlich, dass der Islam allein nicht genügte, um die verschiedenen Völker zusammenzuhalten, darunter die Bengalen, die in einem abgetrennten Landesteil fast 2.000 Kilometer weiter östlich hinter Indien lebten. Es war ein seltsames Konstrukt, basierend auf den Ideen des Poeten Mohammad Iqbal und der singulären Tatkraft Jinnahs. Die einzige Institution, die nach 1947 einigermaßen auf die Beine kam, war wenig überraschend das Militär.
Nach Jinnahs Tod schauten die Generäle einige Jahre lang den Irrungen und Verwirrungen der Politiker zu, ihrem Unvermögen, eine Verfassung zu verabschieden und ihren sinnfreien Machtkämpfen. 1958 reichte es ihnen: Mit General Ayub Khan putschte sich zum ersten Mal die Armee an die Macht.
Pakistan unter Präsident Ayub Khan
Aus heutiger Sicht sind die ersten Jahre unter Ayub Khan die gute, alte Zeit. Zweifellos gab es damals Erfolge. Pakistan wurde fest im Westen verankert, die Amerikaner zeigten sich erkenntlich, Wirtschafts- und Militärhilfe floss reichlich. Auf der ganzen Welt hatten sie mit rechten (Militär-)Diktatoren gute Erfahrungen gemacht, diese waren verlässlicher als zivile, oft linksorientierte Regimes.
Mit radikalem Islam hatte zu dieser Zeit niemand etwas im Sinn und es ist kaum mehr zu glauben, dass dem Land eine Zukunft prognostiziert wurde wie Südkorea, Taiwan und Malaysia.
Die Landwirtschaft boomte dank den Errungenschaften der Grünen Revolution, man war dem ungeliebten Nachbarn, nun Feind, Indien, der in einer scheinsozialistischen Starre verharrte, in fast allen Bereichen voraus. Aber die schönen Zahlen waren nicht die ganze Geschichte. Seit der Gründung - bis heute - scheitert jedes Regime, ob totalitär oder demokratisch (oder "hybrid", wie man die Kreuzung aus Militär- und Zivilverwaltung in Pakistan nennt) an der ungleichen Verteilung der Güter.
An der himmelschreienden sozialen Ungerechtigkeit änderte sich nichts, in weiten Teilen blieben Feudalismus und Tribalismus bestehen. In einem Land mit so großen ethnischen, regionalen und kulturellen Unterschieden ist das Gift. Im Vielvölkerstaat Pakistan fühlten sich praktisch alle benachteiligt. Aber ein Volk ganz besonders: die Bengalen, weit abseits hinter Indien.
Bevor die Lage in Ost-Pakistan vollends eskalierte, nahm ein verbrauchter Ayub Khan seinen Hut. General Yahya Khan stand vor einer unlösbaren Aufgabe. Um den Tumult auf den Straßen zu beenden und einen kurzen Aufschub zu erwirken, gab er der langjährigen Forderung nach Wahlen nach - und schob sein Land über den Rand. Ost-Pakistan, wo damals mehr Menschen lebten als im Westen, stimmte geschlossen für seinen Kandidaten Mujib-ur Rehman.
Egal wie man es betrachtete, Mujib würde Premier von (ganz) Pakistan werden. Das war jedoch unter der Würde der Westpakistanis. Von einem Bengalen würden sich die stolzen Punjabis und Paschtunen nicht regieren lassen. Doch dieses Mal konnte die Realität nicht ignoriert werden. Das ganze Trauma von 1971, das Scheitern von Jinnahs Zwei-Nationen-Theorie, die Kriegsverbrechen an der bengalischen Zivilbevölkerung, die bedingungslose Kapitulation im Krieg gegen Indien und die Abspaltung Ost-Pakistans zu Bangladesch gehen auf das Konto der Armee, die vollständig von Westpakistanis dominiert war.
Im Nachhinein wurde versucht, die Verantwortung für die Kriegsverbrechen in Ost-Pakistan auf die eigenen Mitbürger - Muslime - abzuwälzen, doch die historische Wahrheit bleibt unumstößlich: Die Armee hat Jinnahs Traum einer islamischen Nation auf dem Gewissen. Nicht zivile Politiker.
Die entscheidenden Jahre: Zia-ul Haq
Es ist symptomatisch für die Geschichtsvergessenheit des Landes, dass die Armee nur sechs Jahre benötigte, um von diesem Fiasko so gut wie unversehrt zurückzukommen. Der neue starke Mann General Zia-ul Haq war zunächst weniger beliebt als seine Vorgänger, doch dann kam ihm das Schicksal zur Hilfe: Die sowjetische Invasion in Afghanistan an Weihnachten 1979 (bis heute prägt diese "Ur-Krise" Afghanistan, Pakistan und selbst Indien).
Folgenreich war diese Invasion auch für die USA und heute legendär ihr Kalkül. Der Nationale Sicherheitsberater von Präsident Carter, Zbigniew Brzezinski, sagte es später offen - allerdings drei Jahre VOR dem 11. September - der französischen Zeitung Le Nouvel Observateur: "What is more important in world history? The Taliban or the collapse of the Soviet empire?"
Was ist wichtiger in der Weltgeschichte? Die Taliban oder der Zusammenbruch des Sowjet-Imperiums?
Zbigniew Brzezinski
Nachdem die USA 1971 ihren Alliierten in Ost-Pakistan gegen den indischen Gegner (verbündet mit der Sowjetunion) im Stich gelassen hatten - was dessen Bestreben erzeugte, in den Besitz von Atomwaffen zu kommen - war er nun wieder ganz oben auf der Liste der "most favoured nations". Zia und die Armee wurden für die Bereitschaft, das Land für einen Stellvertreterkrieg zur Verfügung zu stellen, reichlich belohnt. Und Zia nutzte die Gunst der Stunde, um Land und Gesellschaft nach seinen Vorstellungen umzubauen.
Im Gegensatz zu seinen Vorgängern war er ein engstirniger religiöser Hardliner. Er interpretierte die allgegenwärtige innere Misere als Folge der mangelhaften Beachtung der Gebote des Islam. Nach der Widerlegung von Jinnahs Zwei-Nationen-Theorie und dem Scheitern der Demokratie (Zia hatte den demokratisch gewählten Zulfiqar Ali Bhutto gestürzt und hinrichten lassen) herrschte ein ideologisches Vakuum. Pakistan war und ist ein Konstrukt - sonst hätte es der Teilung, der Partition, nicht bedurft - und nun war umso mehr die Frage: Welcher Art?
Für Zia konnte das nur der Islam saudischer, also wahhabitischer Ausrichtung sein. Ende der 1970er Jahre war Saudi Arabien zur dominierenden arabischen Macht aufgestiegen und bestimmte mit seinen Ölmilliarden und dem Prestige als Bewahrer der Heiligen Stätten den Diskurs über den Islam - seiner Version des Islam. Zia lehnte nicht nur die meisten westlichen Einflüsse auf sein Land ab, sondern auch die traditionell praktizierte Form des Islam, die sich auf die Orden der mystischen Sufis stützt.
Wie alle Wahhabiten sah er die Schiiten kritisch, obwohl vermutlich ein Fünftel der Bevölkerung dieser Konfession angehört. Unter Zia wurde die Armee so fest ins staatliche Gewebe integriert, dass sie ohne schwere Komplikationen nicht mehr herausgelöst werden konnte. Aus dieser Zeit stammt der Spruch:
"Nicht das Land besitzt eine Armee, stattdessen besitzt die Armee das Land."
Pensionierte Offiziere bekamen staatliche Posten, die Armee wurde zum größten Grundbesitzer des Landes. Und natürlich erhielt sie den Löwenanteil des Staatsbudgets und fast die gesamte ausländische Hilfe aus USA und Saudi-Arabien.
Als Zia wie viele vor und nach ihm unter ungeklärten Umständen im August 1988 starb, waren klammheimlich alle Beteiligen froh, selbst die Amerikaner. Afghanistan war für sie erledigt, Pakistan wieder Bürde statt Stütze. Doch Gesellschaft und Land hatte Zia seinen Stempel stärker aufgedrückt als alle Vorgänger, inklusive Jinnah.
"Demokratisches" Zwischenspiel
Als mit Benazir Bhutto, der Tochter des vom Militär gehängten Zulifqar Ali Bhutto, Ende 1988 das zweite demokratische Experiment begann, stellte die Armee unter General Mirza Aslam Baig von Beginn an klar, dass sie nicht die Absicht hatte, sich unter das Diktat demokratischer Politiker zu beugen. Sicherheitspolitik, das Atomwaffenprogramm, die Aktivitäten der Nachrichtendienste würden unter der Aufsicht der Armeeführung - und dies ausschließlich - in der bisherigen Weise fortgesetzt.
Dazu kam um diese Zeit ein neues Werkzeug der Außenpolitik: der Einsatz irregulärer Verbände in Afghanistan und in Kaschmir in Indien. Diese waren nach Abzug der Sowjets aus Kabul frei für neue Verwendungen. Zusätzlich verhielten sich die Amerikaner völlig verantwortungslos. Sie zogen sich aus dem Konflikt noch schneller zurück als ihr ideologischer Gegner. Anstatt sich nach deren Scheitern für die Befriedung und den Wiederaufbau der Region einzusetzen, überließen sie den rauchenden Schutthaufen den Anrainern, allesamt Länder, die Ende der 1980er Jahre zu erschöpft waren, um dem völlig zerrütteten Afghanistan auf die Beine zu helfen.
Während sich Benazir Bhutto und Nawaz Sharif im Amt des Premiers abwechselten und bei der Sanierung des Landes kaum weiterkamen, als dies während der unfruchtbaren Phase Anfang der 1950er Jahre der Fall war, verteidigte die Armee vehement ihren Einfluss. Immer stärker in Erscheinung trat dabei - obwohl das eigentlich vermieden werden sollte - der Militärgeheimdienst Inter-Services Intelligence (ISI).
Dieser hatte schon wichtige Aufgaben im Kampf gegen die Sowjetunion übernommen und führte nun quasi in Eigenregie die "informelle Außenpolitik" in Afghanistan und Kaschmir. Und wenn nötig betrieb er auch Innenpolitik. Die notorisch zum Aufruhr neigenden Stämme packte er an deren wunder Stelle, ihrer berüchtigten Uneinigkeit, und perfektionierte die Kunst, sie gegeneinander aufzuhetzen. Nirgendwo war er dabei erfolgreicher als unter den Paschtunen in ihren Stammesgebieten.
Gleichzeitig wurden Tausende junge Paschtunen für die Ziele des ISI rekrutiert. Pakistan kann jedoch nicht grundsätzlich zur Last gelegt werden, aus Mangel an Alternativen auf eine Kraft wie die Taliban gesetzt zu haben, um Afghanistan zu stabilisieren. In Washington war der Konflikt vergessen; vor Ort litt man konkret unter dem nicht endenden Chaos.
Hätten die Taliban 1996 Osamah bin Laden nicht Asyl gewährt, wären sie vielleicht noch heute in Kabul am Steuer. Jedoch unterliefen ISI und Armee ein gewichtiger Denkfehler: Wenn man die wahhabitische Dschihadisten-Ideologie buchstäblich auslegt (was z.B. bin Laden getan hatte), sind auch Amerikaner Feinde.
So betrachtet waren Pakistans Generäle Heuchler, was sie selbst weiter nicht störte. Aber manchen Sympathisanten der Taliban.