Pakistan auf dem Weg zu einem Sozialstaat?

Seite 2: Hohe Kinder- und Müttersterblichkeit

Laut Unicef sterben immer noch 65 von 1.000 Kindern bevor sie das fünfte Lebensjahr erreichen und die Müttersterblichkeit liegt bei 140 Frauen per 100.000 Lebendgeburten. (Zum Vergleich: Laut Weltbank lag die Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren 2019 in Deutschland bei 3,8; die Müttersterblichkeit 2017 bei sieben.)

Unter den zehn häufigsten Todesursachen in Pakistan gibt es neben der hohen Kindersterblichkeit und Herz-Kreislauf-Erkrankungen einige weitere, die sich mit vergleichsweise geringem Aufwand bekämpfen lassen: Durchfallerkrankungen, Tuberkulose und Diabetes.

Gesundheit ist jedoch nicht das einzige Thema sozialer Entwicklung, dem die Regierung von Imran Khan verpflichtet ist. Ein weiteres, deutlich größeres Programm, zielt auf nicht weniger als auf die schrittweise Verwandlung Pakistans in eine Art Sozialstaat ab.

Es firmiert unter dem Namen Ehsaas (etwa: "Mitgefühl"). Diese Bezeichnung ist etwas unglücklich, weil es sich bei der Verwirklichung sozialer Menschenrechte um international vereinbarte Staatenpflichten handelt, die nicht "freiwillig" sind.

Obwohl Ehsaas landesweit operiert, ist es kein zentral geplantes und durchgeführtes Vorhaben. Stattdessen hat sich Islamabad erst einmal vorgenommen, die vorhandenen staatlichen Initiativen zusammenzuführen und zu koordinieren.

Ehsaas schließt daher aktuell 288 Politiken und Programme ein, die von 34 Behörden durchgeführt werden. Und diese Liste wächst weiter. Gleichzeitig bemüht sich die Regierung zumindest ansatzweise um Transparenz: 2019 wurden öffentliche Online-Konsultationen durchgeführt, um die Strategie für Ehsaas festzulegen.

Ehsaas verknüpft so unterschiedliche Projekte wie Stipendien für Millionen benachteiligter Frauen (z.B. Witwen), zinslose Darlehen, ein Netzwerk von Obdachlosenunterkünften, die Verteilung kostenloser Mahlzeiten mittels LKWs, finanzielle Unterstützung für arme Familien und ein spezielles Programm, um die Mangel- und Fehlernährung von Kindern zu bekämpfen.

Anmeldung bei Gesundheitsprogrammen per App

Die Fäden laufen bei der Abteilung für Armutsbekämpfung und Soziale Sicherheit der pakistanischen Regierung zusammen. Sie hat es vor allem möglich gemacht, dass die Menschen sich per App über das Handy bei unterschiedlichen Programmen anmelden können.

Für westliche Vorstellungen sind die Zuwendungen zwar gering. So erhalten etwa bedürftige Familien für Jungs, die die Primarschule besuchen, umgerechnet 7,5 Euro pro Quartal, für ein Mädchen sind es 10 Euro. Das ist kein Bafög, aber doch ein spürbarer Zuschuss zu den Aufwendungen für Schuluniformen und Unterrichtsmaterial wie Bleistifte und Hefte.

In der Sekundarstufe steigen diese Sätze auf 17,5 Euro respektive 20 Euro. Zu bedenken ist dabei auch, dass im pakistanischen Durchschnittshaushalt vier Kinder leben. In einem Land, in dem das durchschnittliche Monatseinkommen im Jahr 2020 bei nur etwa 100 US-Dollar lag, sind schon minimale Zuwendungen bedeutend.

Auch im Westen hat man den Schuss vernommen und unterstützt die Initiativen. So hat die Weltbank im Frühjahr 2021 über ihre Entwicklungsagentur IDA 600 Millionen US-Dollar locker gemacht. Damit wurde die Krisenreaktionskomponente von Ehsaas weiter ausgebaut, um der Covid-19-Herausforderung zu begegnen. Auch die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit unterstützt die Umsetzung von Ehsaas.

Es ist davon auszugehen, dass Pakistan auf absehbare Zeit von Zuwendungen verschiedener Geberländer wie Saudi-Arabien und China sowie den von den USA kontrollierten internationalen Finanzinstitutionen abhängig bleibt.

Der Schuldenstand des Landes im Ausland ist mit über 85,6 Milliarden US-Dollar ziemlich beachtlich und steht bei 83,5 Prozent des Bruttonationaleinkommens. Über 25 Milliarden wurden allein in den letzten beiden Haushaltsjahren aufgenommen. Schon drängt der Internationale Währungsfonds auf Steuererhöhungen.

Andererseits hat Islamabad es in den letzten beiden Jahrzehnten hervorragend verstanden, gute Beziehungen zu fast allen entwicklungspolitisch relevanten Akteuren zu unterhalten und vor allem die Konkurrenz zwischen China und den USA produktiv zu nutzen. Es bleibt also abzuwarten, ob die Bemühungen der Regierung von Imran Khan auch dauerhaft von Erfolg gekrönt sein werden.