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"Pakistan und Afghanistan sind schicksalhaft miteinander verbunden"

Ahmed Rashid glaubt, dass die Region eine Chance auf Stabilität hätte, wenn Peking, Teheran und Washington zusammenarbeiten würden

Ahmed Rashid, 1948 in Pakistan geboren und in Großbritannien aufgewachsen, ist Autor und Publizist. Er schreibt unter anderem für das Wall Street Journal. Rashid gilt als inernationaler Taliban-Experte, sein 2000 veröffentlichtes Buch "Taliban - Afghanistans Gotteskrieger und der Dschihad" stand über einen Monat auf der Bestsellerliste der New York Times.

Herr Rashid, 15 Jahre nachdem Beginn des "Krieges gegen den Terror", wie man es damals im Westen formulierte, sind weder Krieg noch Terror beseitigt wurden, weder in Ihrem Teil der Welt, noch im Westen. Afghanistan stand damals im Mittelpunkt des militärischen Engagements des Westen, flankiert von der Operation "Enduring Freedom". Wie lautet diesbezüglich Ihre Bilanz?
Ahmed Rashid: Kürzlich wurde ich von einem amerikanischen Magazin danach befragt, weshalb die Taliban nicht versessen darauf sind, an die Verhandlungstische zurückzukehren. Ich antwortete, dass dies darauf zurückzuführen sei, dass die Taliban in den vergangenen Monaten so viele militärische Erfolge zu verzeichnen hatten, dass sie selbstbewusst die militärische Linie fortführen, anstelle von Verhandlungen. Diese Ausführung beantwortet auch Ihre Frage nach meiner Bilanz bezüglich des "Krieges gegen den Terrors". Wenn die Taliban im Afghanistan des Jahres 2016 in der Lage sind, militärische Erfolge zu erzielen, dann ist dieser Krieg gescheitert, dessen ursprüngliches Ziel es ja 2001 war, die Taliban zu vernichten.
Stellen die heutigen Taliban in Afghanistan denn einen monolithischen Block dar, wie 2001, oder gibt es verschiedene Subgruppen?
Ahmed Rashid: Auch 2001 waren die Taliban kein monolithischer Block - weder in Afghanistan, noch in Pakistan (auch wenn es in den internationalen Medien so dargestellt wurde). Die Unterschiede zwischen afghanischen und pakistanischen Taliban wurden nicht reflektiert. Die heutigen Taliban in Afghanistan sind zerstrittener denn je. Das ist ja auch der Grund, weshalb Mullah Mansoor durch die Teilnahme an Verhandlungen nicht noch mehr Konfliktpotential innerhalb der Taliban entstehen lassen wollte.
Nach seinem Tod ist durch die Machtübernahme von Haibatullah Achundsada, der ja ein Hardliner ist, der interne Machttkampf verstärkt worden. Es gibt innerhalb der Taliban eine Friedens-Lobby, aber auch eine Kriegslobby. Darüber hinaus kommt es zu Streitereien innerhalb der Führung und zu Angriffen von Seiten des Islamischen Staates, der ihnen den Rang streitig machen möchte und Taliban-Kämpfer rekrutiert. Außerdem gibt es Streit mit Pakistan, obwohl die afghanischen Taliban abhängig von Pakistan sind, weil man in Islamabad die Taliban an den Verhandlungstisch drängen möchte.
Sie erwähnten die Unterschiede zwischen den Taliban in Afghanistan und Pakistan. Könnten Sie darauf bitte noch etwas genauer eingehen?
Ahmed Rashid: Sicherlich, denn die pakistanischen Taliban unterscheiden sich beträchtlich von denen in Afghanistan. Die Taliban in Pakistan haben eine ganz andere politische Strategie als die in Afghanistan.
Inwiefern?
Ahmed Rashid: Die pakistanischen Taliban haben das Ziel, ein islamistisches Regime im Lande zu installieren. Sie verfügen über viele Brückenköpfe und Stützpunkte in zahlreichen Regionen Pakistans. Schon seit langer Zeit setzen sich die pakistanischen Taliban nicht mehr ausschließlich aus Paschtunen zusammen. Inzwischen haben sie sich zu einer nationalen Bewegung entwickelt, in der man alle Volksgruppen findet - ganz im Gegensatz zu Afghanistan, wo mehr als 90% der Taliban der Volksgruppe der Paschtunen angehören.
Welche Auswirkungen haben die Ereignisse in Afghanistan auf die politische Stabilität Pakistans?
Ahmed Rashid: Pakistan und Afghanistan sind schicksalhaft miteinander verbunden, basierend auf dem demographischen Gewicht Pakistans und dessen Einfluss auch auf die afghanischen Paschtunen im Süden des Landes, vor allem wegen der geographischen Nachbarschaft und der langen gemeinsamen Grenze. Dadurch gelang es den afghanischen Taliban, sich teilweise auf pakistanisches Terrirorium zurückzuziehen, in die unzulänglichen Bergregionen Waziristans - ein Gebiet, das von den pakistanischen Behörden kaum kontrolliert werden kann. Natürlich genießen die afghanischen Taliban dort auch den Schutz ihrer pakistanischen Alliierten, basierend auf dem Paschtunwali, dem Sittenkodex der Paschtunen.
Was sind angesichts der von Ihnen geschilderten Rahmenbedingungen die Konsequenzen, die Pakistan ziehen kann und ziehen muss?
Ahmed Rashid: Ich denke, Pakistan hat keine andere Wahl, als sich um eine Beendigung des Krieges mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu bemühen. Die Regierung in Kabul ist sehr schwach, deshalb muss Islamabad intervenieren - zunächst diplomatisch, um eine Rückkehr an die Verhandlungstische zu fördern.

"Die USA haben sich viel zu sehr auf eine militärische Lösung der Probleme verlassen"

Aber das wird doch von Islamabad schon seit 2001 mit Hilfe der USA versucht, wenn Sie mir diese Zwischenfrage gestatten?
Ahmed Rashid: Und da liegt doch der Fehler. Unter den Pakistanis wächst der Unmut gegenüber den USA. Wie viele Zivilisten kamen schon durch Drohnen ums Leben? Gleichwohl ist das Misstrauen der USA gegenüber der Führung in Pakistan weit verbreitet. Nein, es ist höchste Zeit für einen Neuanfang.
Was war denn der größte Fehler in der amerikanischen Afpak-Strategie, wie ein ehemaliger CIA-Agent es auszudrücken pflegte?
Ahmed Rashid: Die USA haben sich viel zu sehr auf das Militär verlassen und auf eine militärische Lösung der Probleme. Ein Großteil der Gelder aus den USA wurde in die Rüstung gesteckt, kaum etwas in den Aufbau von zivilgesellschaftlichen Strukturen (beziehungsweise den Abbau der Missstände Pakistans, wie etwa der Korruption).
Während all dieser Jahre fand ein Prozess statt, den ich die Talibanisierung der pakistanischen Gesellschaft nenne.
Selbst in Lahore, meiner Heimatstadt, bestimmen junge Absolventen der Koranschulen die Gesetze auf den Straßen, zwingen Frauen den von ihnen propagierten Kleidungsstil auf, attackieren Vertreter eines anderen Lebensstils. Natürlich gibt es noch eine starke urbane Mittelschicht, die aber zunehmend ins Fadenkreuz gerät. Bisher bin ich nicht der Überzeugung, dass diese Militanten den Großstädten ihr Gedankengut aufzwingen können - leider gibt es aber zu wenig Widerstand, was mir Sorgen bereitet.
Pakistan ist eine Atommacht und hat mehr Einwohner als Russland. Halten Sie denn diesbezüglich die These für richtig, welche im Westen zu hören ist, wonach es sich bei Pakistan um den gefährlichsten Staat der Welt handelt?
Ahmed Rashid: So weit ist es glücklicherweise noch nicht - aber das Potential, der gefährlichste Staat der Welt zu sein, besitzt Pakistan auf jeden Fall.
Gibt es eine Möglichkeit, die drohenden Risiken, die aus diesen Konflikten erwachsen, zumindest einzuschränken?
Ahmed Rashid: Sicherlich, aber nur unter Einbindung der nichtwestlichen Regional- und Supermächte in der Region - in diesem Fall Iran und die Volksrepublik China. Beide Staaten spielen eine bisher positive Rolle und haben ein großes Interesse an Stabilität in der Region.
Iran hat sowohl eine Grenze mit Afghanistan als auch eine zu Pakistan. Teheran spielt hierbei die gleiche Rolle für die Tadschiken in Afghanistan wie Pakistan für die Paschtunen. Teheran war schon immer ein Feind der Taliban, schon aus religiösen Gründen.
China hat das ökonomische Potential, massiv in die Infrastruktur Afghanistans zu investieren.
Wenn Peking, Teheran, und Washington zusammenarbeiten würden, an der Stabilität der Region, bestünde eine Chance auf Frieden.
Vielen Dank Herr Rashid.

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