Paracetamol: Vom Heilmittel zur Todesdroge auf TikTok?

Christoph Jehle
TikTok-Logo als Säge, die an die Leber ansetzt, Paracetamol-Tabletten

Gefährliche Challenge auf TikTok soll Jugendliche zur Überdosis Paracetamol animieren. Medien und Verbände schlagen Alarm und warnen vor tödlichen Folgen. Doch Suche nach Beweisen führt ins Leere.

Ursprünglich aus den USA stammend, breitet sich dieser Trend derzeit in Europa in immer mehr Medien aus, beginnend in Belgien und der Schweiz. Die Paracetamol-Challenge soll Jugendliche zur absichtlichen Überdosierung des rezeptfrei erhältlichen Schmerzmittels Paracetamol bewegen. Pharmazeutische Fachgesellschaften warnen vor schwerwiegenden Leberschäden, hin zum Leberversagen.

Pharma Deutschland, der mitgliederstärkste Verband der Arzneimittelbranche in Deutschland mit rund 400 Mitgliedsfirmen, warnt vor einer Teilnahme an der lebensgefährlichen Mutprobe.

Paracetamol (Acetaminophen) sei zwar ein sicheres und bei ordnungsgemäßer Dosierung gut verträgliches Schmerzmittel, auch wenn man im vergangenen Jahr neue Nebenwirkungen gefunden hatte, die jetzt als Hinweis in die Beipackzettel von Paracetamol-haltigen Medikamenten aufzunehmen sind.

Bei mutwilliger Überdosierung könne Paracetamol allerdings die Leber irreparabel schädigen und sogar zum Tod führen. Bereits in moderaten Überdosierungen kann die Leber geschädigt werden.

Eine frühzeitige Intervention nach einer Überdosierung könnte zwar Leben retten. Die Gefahr bei der Mutprobe bestehe jedoch darin, dass erst 24 bis 48 Stunden nach einer Überdosierung des Arzneimittels Beschwerden festgestellt würden, die auf eine Leberschädigung hinwiesen. Dann könne es für die Anwendung eines Gegenmittels bereits zu spät sein. Eventuell helfe dann nur noch eine Lebertransplantation. Dazu muss jedoch erst eine Leber zur Verfügung stehen.

Die Meldungen über die Challenge starteten vor einem Monat

In Europa erschienen die ersten Berichte über die Challenge am 18. Januar in den Niederlanden bei GVA und zwei Tage später in der Brussels Times in Belgien. SWI Swissinfo, ein Zweig von SRF, berichtete am 30. Januar über die Challenge in der Westschweiz. Am 5. Februar poppte die Meldung in Frankreich auf und am 6. Februar berichtete das ZDF, dass vermehrt Mediziner und Ärzteverbände vor den potenziellen Risiken der Challenge warnen.

Auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft warnt mit deutlichen Worten und Fachinformationen über das Schmerzmittel:

Paracetamol wird in der Leber vorwiegend über die Konjugation mit Glucuronsäure und Schwefelsäure metabolisiert. Ein geringer Teil wird über Cytochrom P450 CYP2E1 u. a. zu dem hochreaktiven, toxischen N-Acetyl-p-benzochinonimin (NAPQI) metabolisiert. NAPQI wird jedoch bei therapeutischen Dosierungen von Paracetamol durch die Konjugation mit Glutathion unmittelbar inaktiviert und kann daher keinen Leberschaden erzeugen.

Bei einer Paracetamolintoxikation ist aufgrund eines relativen Glutathionmangels die Kapazität der Leber zur Konjugation von NAPQI überschritten, sodass dieser toxische Metabolit an hepatozelluläre Proteine binden und so seine zytotoxische Wirkung mit dem Resultat von Leberzellnekrosen entfalten kann. Durch die geringe Geschwindigkeit der Stoffwechselprozesse kann bis zum Auftreten von Symptomen eine Latenzzeit von bis zu mehreren Stunden bestehen.

Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) hat sich ebenfalls warnend geäußert und dabei auf eine Meldung in der Apotheken-Umschau verwiesen:

Zu hoch dosiertes Paracetamol kann lebensbedrohlich sein. Wer schnell und richtig ärztlich behandelt wird, überlebt eine Paracetamol-Überdosierung in der Regel. Sind Leberzellen aber bereits unwiderruflich beschädigt, haben Betroffene ein Leben lang mit den Folgen zu kämpfen.

Gerade bei Kindern ist es besonders wichtig, vor einer Paracetamol-Dosis die richtige Menge zu berechnen – denn die Dosis richtet sich nach dem Körpergewicht. Vor Gebrauch also unbedingt die Packungsbeilage lesen und/oder mit dem Arzt, der Ärztin oder in der Apotheke besprechen.

Aber gibt es überhaupt Beweise für die Existenz einer Paracetamol-Challenge? Oder hat nur die Angst vor Social Media die eingesessenen Medien aufgescheucht mit einer Meldung, die ohne eigene Recherche verbreitet wurde, um ja nicht der Letzte zu sein, der die Öffentlichkeit warnt.

Zählt die Paracetamol-Challenge zu den Fake News?

Dem aus China stammenden TikTok traut man in Europa jede Boshaftigkeit zu und glaubt, vor seinen schädlichen Einflüssen warnen zu müssen. Da wird dann offensichtlich eine Meldung weitergegeben, die dieses Image unterstützt. Niemand kommt dabei auf die Idee, auf TikTok nach der Challenge zu suchen oder bei der europäischen TikTok-Niederlassung anzuklopfen.

Auf Anfrage von Euractiv soll TikTok vermerkt haben, dass seine internen Recherchen keine Beweise für die Challenge gefunden hätten. Auch BFTM Tech & Co konnte Anfang Februar keine Meldungen über eine Paracetamol-Challenge auf TikTok finden.

Was jetzt als TikTok-getriebene Challenge durch die Medien schwirrt, gab es vor zehn Jahren schon einmal. Damals sollte die Challenge auf Facebook ihr Unwesen getrieben haben. Auch 2015 ging es um Paracetamol und es gab auch damals offensichtlich keine realen Beispiele. Aber wozu benötigt man Belege, wenn man sich so schön gruseln kann?