Patentschutz für Impfstoffe vorübergehend aussetzen!
- Patentschutz für Impfstoffe vorübergehend aussetzen!
- Zur Lage der Pandemie
- Die Kanzlerin droht Indien ganz unverhohlen
- Wäre eine vorübergehende Aussetzung des Patentrechts überhaupt zulässig?
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Dem Leben von Hundertausenden und der Gesundheit von Milliarden Menschen muss höchste Priorität eingeräumt werden (Teil 1)
"Höchste Priorität für geistiges Eigentum! - Patentschutz für Impfstoffe sichern", das hat Friedhelm Ost in seinem Beitrag auf dem Blog der Republik gefordert. Einspruch, Euer Ehren! Halten zu Gnaden: Höchste Priorität haben die Gesundheit von Milliarden Menschen und das Leben von Hunderttausenden auf dem Globus - und deshalb plädiere ich für eine vorübergehende Freigabe der Patente für Impfstoffe, solange die Corona-Pandemie nicht eingedämmt ist.
Ich gehöre somit zu den (Friedhelm Ost nutzt diesen auch historisch vorbelasteten Begriff) "Gutmenschen", die für die Aussetzung des Patentschutzes für Corona-Impfstoffe eintreten. Und ich befinde mich dabei in guter Gesellschaft, wie etwa mit dem amerikanischen Präsidenten Joe Biden, mit dem UN-Generalsekretär António Guterres, mit dem Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Tedros Ghebreyesus, wie auch mit der neuen Generaldirektorin der Welthandelsorganisation (WTO) Okonjo-Iwela und weiteren mehr als 100 WTO-Mitgliedsländern, nicht zuletzt sei Papst Franziskus genannt.
Auch Parteien wie etwa hierzulande die Linkspartei oder die Grünen/Bündnis 90 vertreten diese Forderung. Rund 400 Abgeordnete des EU-Parlaments und nationaler Parlamente haben sich kürzlich der Forderung von 175 Nobelpreisträgerinnen und -trägern sowie ehemaliger Staats- und Regierungschefs angeschlossen, den Patentschutz für Impfstoffe zeitweilig auszusetzen.
Weil darüber in den Medien seltener berichtet wird, erwähne ich auch noch die Hilfsorganisationen Ärzte ohne Grenzen oder Amnesty International oder die internationale Fazilität zum Erwerb von Medikamenten "Unitaid" sowie weitere über 200 Organisationen aus dem Globalen Süden oder die europäische Bürgerinitiative "Jeder verdient Schutz vor Covid-19! Kein Profit durch die Pandemie!". Es sind noch viele weitere Einzelpersönlichkeiten und andere Organisationen mehr, die sich für die vorübergehende Freigabe des Patentrechts einsetzen.
"Koalition der Willigen" auch in der EU denkbar
Selbst EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU), die bislang immer als unerbittliche Interessenvertreterin der Pharmaindustrie aufgetreten ist, erklärte nach dem Vorstoß des US-Präsidenten: "Die Europäische Union ist bereit, jeden Vorschlag zu diskutieren, der diese Krise wirksam und pragmatisch angeht". In der Europäischen Union versuchen Belgien und Irland eine "Koalition der Willigen" zu bilden. Die spanische Regierung hat vor dem EU-Gipfel in Porto am 7. Mai dafür geworben, dass sich die Europäer dem Vorstoß der USA anschließen. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron und Italiens Regierungschef Mario Draghi äußerte sich offen gegenüber der US-Initiative.
In den Ländern der G7 sind laut Umfragen sieben von zehn Menschen dafür, die Rezepturen und Technologien für die Impfstoffe zu teilen. Über 183.000 Unterschriften wurden in der Europäischen Union dafür gesammelt.
Obwohl Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sich schon kurz nach der Zulassung von Corona-Impfstoffen für deren "gerechte globale Verteilung" eingesetzt hat, meldete sie - ebenso wie Gesundheitsminister Jens Spahn und Entwicklungsminister Gerd Müller - Zweifel an der Initiative des US-Präsidenten an.1 Der SPD-Politiker Karl Lauterbach hat zwar den Anstoß zu einer Patentschutz-Freigabe durch Joe Biden begrüßt, glaubt aber nicht, "dass ein solcher Schritt große Unterschiede bei der Produktion der Impfstoffe machen würde".
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) meinte zu einer Aufweichung des Patentschutzes: "Wenn das ein Weg ist, der dazu beitragen kann, dass mehr Menschen schneller mit Impfstoffen versorgt werden, dann ist das eine Frage, der wir uns stellen müssen". Die Regierungsparteien CDU/CSU und SPD sowie die Oppositionsparteien FDP und AfD haben jedoch der Aufforderung von Linkspartei und Grünen, sich dem Washingtoner Vorstoß zur Aussetzung des Patentschutzes anzuschließen, am 6. Mai im Bundestag eine Absage erteilt. Lediglich Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) stimmte aus Versehen dafür.
Auf dem EU-Sozial-Gipfel am 7. Mai gab es für den Vorschlag einer Aussetzung von Patenten für Corona-Impfstoffe eine "Beerdigung zweiter Klasse". Nur wenige Länder, wie etwa Frankreich, Polen und Spanien haben sich für mehr Entgegenkommen gegenüber dem Antrag von Südafrika und Indien beim TRIPS-Rat der Welthandelsorganisation (WTO) ausgesprochen, für die Dauer der Pandemie "auf einige Bestimmungen des TRIPS-Abkommens zur Prävention, Eindämmung und Behandlung von Covid-19" zu verzichten.2
Die Mehrheit der Teilnehmer auf dem Gipfel war nicht der Meinung, dass eine Freigabe "kurzfristig eine Wunderlösung" sei. Weil man die USA aber nicht brüskieren wollte, bat am um eine Konkretisierung des US-Vorstoßes.
Unsere Kanzlerin, die es nicht für nötig erachtete, auf einem "Sozial"-Gipfel persönlich anwesend zu sein, legte von Berlin aus nach:
Ich habe hier noch einmal deutlich gemacht, dass ich nicht glaube, dass die Freigabe von Patenten die Lösung ist, um mehr Menschen Impfstoff zur Verfügung zu stellen.