Patentschutz für Impfstoffe vorübergehend aussetzen!
Seite 3: Die Kanzlerin droht Indien ganz unverhohlen
- Patentschutz für Impfstoffe vorübergehend aussetzen!
- Zur Lage der Pandemie
- Die Kanzlerin droht Indien ganz unverhohlen
- Wäre eine vorübergehende Aussetzung des Patentrechts überhaupt zulässig?
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In ziemlich herablassender Form hat daraufhin Kanzlerin Angela Merkel in der Fernsehsendung Berlin direkt diesem Land gedroht:
Wir haben natürlich Indien überhaupt nur zu einem so großen Pharmaproduzenten auch europäischerseits werden lassen(!), in der Erwartung, dass Zusagen dann auch eingehalten werden, sollte das jetzt vielleicht nicht der Fall sein, werden wir umdenken müssen, das wird dann aber auch durchaus nicht nur zum Vorteil von unseren Handelspartnern sein.
Kein Wunder, dass man angesichts solcher Anmaßung und Drohung dort empört ist; man verweist zu Recht darauf, dass zu der Zeit als Europa das Epizentrum der Pandemie war, es auch Indien war, das lebensrettende Medizin geliefert hat, jetzt, da dieses Land selbst ums Überleben kämpfe, verlange die Kanzlerin "Berlin zuerst".
Die Drohung der Kanzlerin gegenüber Indien ist in mehrfacher Hinsicht arrogant und doppelzüngig. Arrogant, weil es nicht an der Gnade oder an der Förderung der Europäer lag, dass Indien zum weltweit größten Hersteller von generischen Medikamenten wurde und dieses Land - gemessen an US-Qualitätskriterien - die meisten Produktionsanlagen für Arzneimittel hat.
Nicht nur die Arzneimittelhersteller, sondern das gesamte Gesundheitswesen Deutschlands hängt "am Tropf" der Importe aus Indien, das aber nicht, weil wir so generös waren, sondern schlicht, weil dort billiger produziert wird als in Europa und die Produktion aus Kostengründen ausgelagert wurde.
Es ist auch doppelzüngig, wenn man die Impfquoten zwischen Deutschland mit rund 39 Prozent Erstimpfungen und Indien mit knapp zehn Prozent miteinander vergleicht, kann man schon daran ablesen um wie viel größer die Not dort ist. Selbst wenn man nicht auf die absoluten, sondern auf die relativen Infektions- und Todeszahlen schaut, ist die indische Situation in der Krankenversorgung gemessen an deutschen Maßstäben katastrophal. Man möchte nicht darüber spekulieren, wie es um die deutsche Exportbereitschaft für Impfstoffe stünde, wenn bei uns in der Krankenversorgung ähnliche Zustände einträten.
Im Gegensatz zu Indien hat die Kanzlerin gegenüber der britischen oder der amerikanischen Regierung nicht mit Sanktionen gedroht, als diese den Export der bei ihnen produzierten Impfstoffen einschränkten bzw. die Ausfuhr durch entsprechende Verträge mit den Impfstoff-Produzenten massiv behinderten.
Und schließlich: Hat nicht auch die EU-Kommission schärfere Regeln für deren Export eingeführt?
Die Europäische Union verklagt nicht etwa die Staaten, sondern die Firma AstraZeneca darauf, dass sie die Lieferverträge nicht eingehalten habe und droht damit, den Vertrag auslaufen zu lassen.
Es ist nicht zu leugnen, dass in den reichen Ländern schon längst damit begonnen wurde, in größerem Umfang Gruppen mit geringerem Risiko zu impfen - bei uns im Lande werden wohl demnächst sogar schon Jugendliche geimpft. In vielen ärmeren Ländern wurden nicht einmal die Hochrisikogruppen erreicht.
Es bleibt bisher dabei, die ärmeren Länder müssen warten, was ihnen die reicheren an Impfstoff übrig lassen. Covax ist - bislang jedenfalls - nicht viel mehr als ein "Feigenblatt" der Reichen.
Es geht nicht (nur) um Moral
Der Generaldirektor der WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, hat erklärt, die Welt stehe "am Rande eines katastrophalen moralischen Versagens, dessen Preis die ärmeren Länder zahlen".
Die neue Generaldirektorin der WTO, die Nigerianerin Okonjo-Iwela, hält es nicht für akzeptabel, "dass zehn Länder 70 Prozent der Impfstoffdosen verwalten".
Der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa nennt es eine "schmerzhafte Ironie", dass in Afrika zwar die klinischen Studien durchgeführt wurden, der Kontinent aber um den Zugang zum Impfstoff betteln muss und er spricht gar von einer "Impfstoff-Apartheid".5
Nun will ich nicht in den Geruch eines "Gutmenschen" kommen und (nur) moralisch argumentieren, obwohl es genügend und gute Argumente gäbe, dass die Pharma-Unternehmen und die reicheren Länder Solidarität mit der großen Zahl der ärmeren üben sollten, dass man keinen Impf-Nationalismus befördern und dass man für Gerechtigkeit bei der Verteilung des Impfstoffs eintreten sollte.
Wenngleich diese wertbezogenen Argumente durchaus Gewicht haben, soll es hier vor allem um die Auseinandersetzung mit den Argumenten derjenigen gehen, die für den Patentschutz bzw. - überhöht ausgedrückt - für den "Schutz des geistigen Eigentums" eintreten.
Die Grundfrage ist: Was wiegt schwerer - der Schutz des geistigen Eigentums oder das Leben von Menschen, die dem Virus weitgehend schutzlos ausgeliefert sind?