Pax Sinica: Wie nachhaltig ist der Wandel der Weltordnung?
Konflikt zwischen den USA und China: Washingtons Allmacht wird immer stärker infrage gestellt. Was den westlichen Partnern zu raten wäre. Einwurf in die Debatte.
Die Beziehungen zwischen den USA und China, ihrem Hauptkonkurrenten im Pazifik, im Nahen Osten und in der Welt, sind nicht einfach und waren es auch nie. Im Westen ist immer wieder von einer Konfrontation mit China und einem neuen Kalten Krieg die Rede.
Fast scheint es, als müssten alle Entwicklungen in der US-Außenpolitik vor dem Hintergrund des schwelenden Konflikts mit Peking verstanden werden. Tatsächlich haben sich sowohl die US-Regierung als auch die chinesische in den vergangenen Monaten und Jahren intensiv um neue Allianzen mit Partnern im Pazifik und im Nahen Osten bemüht.
Dabei geht es sowohl um die Erschließung neuer Märkte, genauer gesagt deren Sicherung, als auch um militärische Macht und Einflussnahme. Es geht um nackte Macht- und Geopolitik; mit dem Problem, dass sich die USA weigern, China den Platz in der Weltordnung einzuräumen, den es längst innehat.
Es ist gefährlich, dass die USA dennoch an der Allmachtsfantasie festhalten, theoretisch überall auf der Welt und zu jeder Zeit die eigenen Interessen notfalls auch militärisch durchsetzen zu können. Aber die Allmacht der USA ist infrage gestellt.
Russland und Nordkorea
Spätestens seit dem Ukraine-Krieg ist klar: Nicht jedes Regime beugt sich dem Willen der USA, schon gar nicht, wenn es über Atomwaffen verfügt. Dies wurde kürzlich erneut deutlich, als der nordkoreanische Diktator Kim Jong-un trotz aller Warnungen aus den USA den russischen Präsidenten Putin in Wladiwostok besuchte.
Russland sucht derzeit händeringend nach Verbündeten im Kampf gegen den Westen, denn der Krieg in der Ukraine verschlingt Unmengen an Geld, Ressourcen – primär Munition.
Wie es der Zufall – oder der Lauf der Geschichte – will, hat Nordkorea massenhaft Munition auf Lager, die mit den sowjetischen Waffensystemen Russlands kompatibel sind.
Westlichen Medienberichten zufolge waren die russischen Munitionsfabriken zuletzt in einen Produktionsrückstand geraten, weil niemand auf beiden Seiten des Krieges damit gerechnet hatte, dass der Einmarsch Russlands in die Ukraine in ein Artilleriegefecht im Stil des Ersten Weltkrieges ausarten würde.
Kim Jong-un dürfte über die Drohungen des US-Außenministeriums, seine Offenheit gegenüber Russland werde ihn teuer zu stehen kommen, nur müde gelächelt haben, denn es gibt kaum noch Aspekte des Sanktionsregimes gegen Nordkorea, die Washington verschärfen könnte.
Die USA sind also nicht mehr so furchterregend wie früher. Das liegt zum einen – wie die Beispiele Russland und Nordkorea zeigen - an den Nuklearwaffenkapazitäten einiger "Schurkenstaaten", zum anderen aber auch an der Erkenntnis dieser Regierungen, dass China inzwischen eine echte strategische Alternative zu den USA darstellt.
Taiwan
Niemand sonst würde es wagen, sich so offen mit den USA anzulegen, wie der Konflikt um Taiwan zeigt. Laut dem (inzwischen verschwundenen oder abgesetzten) chinesischen Verteidigungsminister Li Shangfu würde China in der Taiwan-Frage nicht vor einer militärischen Konfrontation mit den USA zurückschrecken:
"Sollte es jemand wagen, Taiwan von China abzuspalten, wird das chinesische Militär keine Sekunde zögern." (Tagesschau)
Diese Aussage kann eigentlich nur als Drohung an die Adresse Washingtons verstanden werden. Dort ist man jedoch fest entschlossen, sich weiterhin in die Geschicke Taiwans einzumischen und liefert munter weiter Waffen an die Inselrepublik. China reagierte jüngst mit Sanktionen gegen US-Rüstungsfirmen, die am Waffenhandel mit Taiwan beteiligt sind.
Taiwan ist nicht nur ein wichtiger Standort für die Herstellung von Halbleiterchips, sondern besitzt auch symbolische Bedeutung für die Kommunistische Partei China (KPCh). Denn einst waren es die Nationalistischen Streitkräfte unter Chiang Kai-shek, die sich, nach ihrer Niederlage im Bürgerkrieg gegen die Kommunisten auf die Insel Formosa zurückzogen, und dort eine Militärdiktatur von Washingtons Gnaden errichteten.
Für viele in der Führungsriege Chinas steht die Eingemeindung Taiwans für den letzten nie begangene Schritt in der endgültigen Restauration eines geeinten Chinas, und damit für das endgültige Ende des "Jahrhunderts der Demütigungen" durch die europäischen Großmächte und Japan.
Aber auch anderswo geraten China und die USA aneinander.
In Peking hat man schnell begriffen, dass die oft rücksichtslose Außenpolitik Washingtons eine Vielzahl potenzieller Klientelstaaten geschaffen hat, die sich gerne an die Regierung von Xi Jin Ping wenden, um auch nur den geringsten Zugang zur internationalen Gemeinschaft zu erhalten.
Der wohl bekannteste Fall ist Nordkorea. Einst war es die chinesische Volksarmee, die die Nordkoreaner, halb US und halb UN-Truppen über den 13. Breitengrad, wo heute Südkorea liegt, zurückdrängte. Seitdem war es immer wieder China, das ein zunehmend diktatorisches Nordkorea unterstützte und im Zaum hielt.
Syrien: exemplarisch für die neue geopolitische Lage?
Syriens Machthaber Baschar al-Assad reiste Mitte September, was auch die Medien hierzulande mit hochgezogenen Augenbrauen registrierten, nach Hangzhou in China, um an der Eröffnungsfeier der Asienspiele teilzunehmen.
China und Syrien planen, eine "strategische Partnerschaft" aufzubauen. Die Vertiefung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten werde ein wichtiger Meilenstein in ihrer Geschichte sein, sagte der chinesische Präsident Xi Jinping dem Staatssender CCTV.
Assad ist seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien, der schnell zu einem Religionskonflikt eskalierte, von der internationalen Gemeinschaft isoliert. Die USA unterstützten im syrischen Bürgerkrieg häufig IS-nahe Milizen. Im Syrienkrieg konnte sich Assad jedoch mithilfe Russlands durchsetzen.
Syrien steht damit exemplarisch für die neue geopolitische Lage. Die USA konnten dort keinen Regimewechsel erzwingen. Grund dafür war die Unterstützung des Assad-Regimes durch ein zunehmend antiwestlich orientiertes Russland, das bald selbst in den Krieg eintrat.
Die USA, empört darüber, dass Assad nicht das gleiche Schicksal ereilte wie einst Muammar al-Gaddafi, zeigten sich als schlechte Verlierer und schickten sich – ob gerechtfertigt oder nicht – an, das Assad-Regime und damit Syrien diplomatisch zu isolieren.
Auftritt China, das sich nun als großzügige Alternative zu den chronisch überinvolvierten USA präsentieren kann und damit seinen eigenen Einfluss in der Region weiter ausbaut.
Fairerweise muss gesagt werden, dass es Peking leichter fällt, die unangenehmeren Seiten seiner Verbündeten zu ignorieren. Im Gegensatz zum Westen, der die unangenehmen Seiten seiner Verbündeten zumindest oberflächlich kritisieren muss, um den Anschein einer liberalen, menschenrechtsbasierten Außenpolitik nicht zu gefährden.
Außenpolitik der westlichen Partner: Beherrscht von Gegenposition zu China?
Aktuell muss sich die Biden-Administration damit auseinandersetzen, dass nach Informationen des Sicherheitsbündnisses "Five Eyes" (Australien, Kanada, Neuseeland, Großbritannien und USA) das reaktionär-hinduistische Modi-Regime für den Mord an dem Aktivisten Hardeep Singh Nijjar in Ontario verantwortlich zu sein scheint.
Vielleicht lassen sich diese unangenehmen Probleme aus der Welt schaffen, der saudischen Königsfamilie wurde für ähnliche Verbrechen schließlich auch vergeben.
Aber vielleicht werden wir uns daran gewöhnen müssen, dass Bündnisse mit mehr als halbseidenen Partnern in Zukunft wieder mit dem Verweis auf einen geopolitischen Erzfeind begründet werden.
Es wäre ein Fehler der USA und ihrer Verbündeten, ihre gesamte Außenpolitik von einer voreingenommenen Gegenposition zu China bestimmen zu lassen.
Die Lehre aus dem Kalten Krieg, so Experten, bestehe nicht darin, den Willen des Gegners durch beharrliche Eindämmung zu brechen und so seine Macht zu untergraben. Nein, man muss den Gegner seine eigenen Fehler machen lassen.
In einem Artikel in Foreign Affairs aus dem Jahr 2018 stellten Kurt Campbell und Ely Ratner (beide jetzt Mitglieder der Biden-Administration) einleitend fest, dass "die Vereinigten Staaten immer ein übertriebenes Gefühl von ihrer Fähigkeit hatten, Chinas Kurs zu bestimmen".
Anstatt diesen falschen Ansatz zu wiederholen, sollten die politischen Entscheidungsträger lernen, abzuwarten. Jede Großmacht, auch China, wird eines Tages unweigerlich mit den Folgen eines übermäßigen Wirtschaftswachstums und eines übermäßigen Einflusses in Übersee konfrontiert werden.
Für die USA könnte es daher sinnvoller sein, erst einmal abzuwarten, welche Position China nach diesen "growing pains" im globalen Machtgefüge einnehmen kann und will. Der amtierende US-Präsident Joe Biden scheint allerdings davon auszugehen, dass China potenzielle interne Probleme nach außen tragen könnte.
Biden hatte China im August bei einer Wahlkampfveranstaltung im US-Bundesstaat Utah als "tickende Zeitbombe" bezeichnet.
Er wolle China nicht schaden, aber das Land befinde sich in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation und sei deshalb in "Schwierigkeiten". "Das ist nicht gut, denn wenn schlechte Menschen Probleme haben, tun sie schlechte Dinge", so Biden. Deshalb sei das Land "in vielen Fällen eine tickende Zeitbombe".
Vielleicht projiziert Joe Biden hier das bisherige Verhalten der USA auf ein imaginäres Gegenüber. Denn im Gegensatz zu den USA gibt es bislang keine Beweise dafür, dass die chinesische Regierung militärische Konflikte provoziert, um von sozialen und wirtschaftlichen Problemen im eigenen Land abzulenken.
Ob China in seiner neuen Rolle als Weltmacht einen ähnlichen Weg wie die USA gehen wird, ist noch offen. Hoffen wir, dass auch Washington dies erkennt, denn nur dann können sich die beiden Weltmächte auf Augenhöhe begegnen und die Pax Americana durch eine Pax Sinica ergänzen.
Eine solche Neuordnung des geopolitischen Machtgefüges hat immerhin das Potenzial, mehr Stabilität und Frieden zu bringen als das "amerikanische Jahrhundert".