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"Pazifismus ist kein Verbrechen": Darum geht es beim Protest vor der Botschaft der Ukraine

Peter Nowak

SolidaritĂ€t mit der Ukraine und Pazifismus gelten bei der Mahnwache nicht als Widerspruch. Schließlich sterben im Abnutzungskrieg viele Ukrainer. Foto: Peter Nowak

Ukrainer Yurii Sheliazhenko steht unter Anklage: Er lehnt das Sterben auf beiden Seiten ab. Doch welche Alternativen gibt es zum militÀrischen Kampf gegen die Besatzung?

Pazifistische Organisationen aus vielen LĂ€ndern rufen aktuell die ukrainische Regierung auf [1], die Anklage gegen GeschĂ€ftsfĂŒhrer der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung, Yurii Sheliazhenko [2] fallen zu lassen. Am 3. August 2023 durchsuchten Angehörige des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes die Wohnung des Sozialwissenschaftlers und beschlagnahmten Computer und Telefone. Zudem wurde Sheliazhenko mitgeteilt, dass er wegen Rechtfertigung der russischen Aggression angeklagt wird.

Seitdem setzten sich Pazifisten in aller Welt mit Petitionen [3], aber auch Kundgebungen fĂŒr den entschiedenen MilitĂ€r- und Kriegsdienstgegner ein.

Dauermahnwache vor der ukrainischen Botschaft in Berlin

"Pazifismus ist kein Verbrechen" steht auf einem Transparent, das vor der ukrainischen Botschaft in Berlin zu sehen ist. Am Montag wurde dort eine Dauermahnwache eröffnet, deren Teilnehmer sich mit Sheliazhenko solidarisieren. Besonders empört sind die Kriegsdienstgegner, dass der Pazifist angeklagt wird, den russischen Angriff zu rechtfertigen.

TatsĂ€chlich hatte die Ukrainische Pazifistische Bewegung vor dem russischen Einmarsch eine ErklĂ€rung [4] veröffentlicht, in der sie vor einem Krieg mit Russland gewarnt hatte und von Kriegsvorbereitungen auch auf Seiten der Nato und der Ukraine ausgegangen war, nachdem dort MilitĂ€rmanöver mit Nato-Beteiligung [5] stattgefunden hatten. Gefordert wurden in der ErklĂ€rung eine friedliche Beseitigung des bewaffneten Konflikts in der Ostukraine und weltweite AbrĂŒstungsbemĂŒhungen.

"Es ist eine alte Methode der Militaristen aller LÀnder, Kriegs- und MilitÀrdienstgegner als Handlager des militÀrischen Gegnern zu diffamieren", sagt ein Teilnehmer der Mahnwache. Auch in Deutschland wurden immer Pazifisten stigmatisiert und kriminalisiert. Nach den russischen Einmarsch in die Ukraine haben selbst Linke und Linksliberale von "Lumpenpazifismus" gesprochen.

Anarchisten fĂŒr MilitĂ€r oder gewaltfreien Widerstand

Die Auseinandersetzung um den Pazifismus sorgt auch innerhalb der anarchistischen Bewegung fĂŒr Diskussionen. Da gibt es in der Ukraine Anarchisten, die in der staatlichen Armee dieser Klassengesellschaft kĂ€mpfen und dabei zumindest akzeptieren, dass auch Ultrarechte Teil dieses Kampfes sind – wie eine Anarchistin in einem Video des ND [6] erklĂ€rt. Diese kriegsbefĂŒrwortentetn Anarchisten pflegten auch in militaristischer Tradition eine Heldenverehrung, die im Krieg Gestorbene als Gefallene glorifiziert.

So heißt es in der anarchistischen Zeitung Barrikade [7]: "Am 19. April 2023 fiel unser Genosse Dmitriy Petrov, einer der GrĂŒnder und aktives Mitglied von BOAK, in der NĂ€he von Bakhmut in der Ukraine im Kampf fĂŒr die Freiheit."

UnabhĂ€ngig von der Frage, wie die politische Organisation zu beurteilen ist, der Dmitriy Petrov angehörte, stellt sich die Frage, warum in anarchistischen Kreisen völlig unkritisch der Terminus Gefallene verwendet wird, mit dem seit Jahrhunderten die Unterklassen in den Tod geschickt werden fĂŒr staatliche Interessen. Der grausame Tod wird aber immer mit Begriffen wie Heimat, Freiheit, Demokratie versĂŒĂŸt.

MĂŒssten Gegner von Staat und Nation nicht trauern um den Tod jedes Menschen, statt ihn zu verklĂ€ren? Diese Frage stellen sich Anarchisten, die es strikt ablehnen fĂŒr eine Seite in den Krieg zu ziehen. Eine bekannte Publikation dieser gewaltfreien Anarchisten ist die ĂŒber Deutschland hinaus bekannte Monatszeitung Graswurzelrevolution [8]. Dort wird auch das Konzept der sozialen Verteidigung [9] propagiert, die auch historisch öfter durchgefĂŒhrt wurde [10]. Ein solches Konzept basiert auf der AufkĂŒndigung jeglicher Zusammenarbeit mit Macht- und Gewaltorganen.

Die AnhĂ€nger des Konzepts argumentieren, dass dadurch weniger Menschen sterben wĂŒrden und auch die Zerstörungen von StĂ€dten und Natur minimiert wird. Auch Yurii Sheliazhenko ist ein AnhĂ€nger dieser gewaltfreien Verteidigung. Er will sich nun juristisch gegen die Anklage wehren und so verhindern, dass er zu einer langjĂ€hrigen Haftstrafe verurteilt wird oder gar ins Exil gehen muss.

Asyl fĂŒr Kriegsdienstverweigerer jetzt!

"Asyl fĂŒr Kriegsdienstverweigerer jetzt!" lautet die Forderung einer Kommunikationsguerilla-Gruppe, die in den letzten Tagen auf kreative Weise in die Öffentlichkeit getragen wurde. Die unbekannten "Adbuster" brachten an verschiedenen Stellen in der Berliner Innenstadt Plakate an, die die Forderung nach Asyl fĂŒr MilitĂ€r- und Kriegsdienstgegner bekannt machten. Auch in unmittelbarer NĂ€he der Botschaften Dreier LĂ€nder waren diese Poster zu finden.

"Putins Krieg sabotieren? Ihre Antwort: Mit Asyl fĂŒr Kriegsdienstverweigerer*innen!" lautete die Parole auf dem Plakat in der NĂ€he der russischen Botschaft. Aber auch nahe der ukrainischen Botschaft wurden antimilitaristische Plakate angebracht. Denn Sheliazhenko ist nicht der erste Pazifist, der in der Ukraine verfolgt wurde. Der christliche Pazifist Ruslan Kotsaba [11] wurde von der ukrainischen Justiz verfolgt und von Ultrarechten verletzt [12]. Mittlerweile hat er das Land verlassen. In einer in Berlin veröffentlichten Grußadresse, die auf der Dauermahnwache in Berlin verlesen wurde, schreibt er:

"Yurii Sheliazhenko wartet derzeit auf eine PrĂ€ventivmaßnahme. Wir wissen nicht, ob es sich um eine Haftstrafe, eine Kaution oder vielleicht um einen 24-Stunden-Hausarrest mit elektronischer Fußfessel handelt. Aber wir wissen mit Sicherheit, dass Pazifisten sich angesichts der Gefahr vereinen mĂŒssen, denn Pazifisten auf der ganzen Welt leben von einer gemeinsamen Idee – dass Krieg und Militarismus bekĂ€mpft werden mĂŒssen. Wir mĂŒssen mit aller Kraft kĂ€mpfen und den Beginn des Dritten Weltkriegs verhindern."


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9237475

Links in diesem Artikel:
[1] https://de.connection-ev.org/article-3834
[2] https://worldbeyondwar.org/de/yurii/
[3] https://actionnetwork.org/petitions/tell-the-ukrainian-government-to-drop-prosecution-of-peace-activist-yurii-sheliazhenko/
[4] https://de.connection-ev.org/article-3444
[5] https://www.spiegel.de/ausland/ukraine-startet-militaermanoever-mit-nato-staaten-a-54ec8b8f-b22b-4c46-a3c6-34e15c771d79
[6] https://twitter.com/ndaktuell/status/1684866285811687425
[7] https://barrikade.info/article/5905
[8] https://www.graswurzel.net/gwr/
[9] https://www.soziale-verteidigung.de/artikel/symposium-aktiven-gewaltfreiheit
[10] https://www.graswurzel.net/gwr/2022/08/soziale-verteidigung-fallbeispiel-bulgarien-1943/
[11] https://de.connection-ev.org/article-2546
[12] https://www.telepolis.de/features/Pazifist-im-Visier-der-ukrainischen-Rechten-6120512.html