Personalnot wächst in Deutschland: Zwei Millionen Stellen bleiben wohl unbesetzt
Mehr als die Hälfte der deutschen Unternehmen kann offene Stellen nicht besetzen. Darunter leidet der gesellschaftliche Wohlstand. Die Industrie hat auch Probleme, sich Zukunftsaufgaben zu stellen.
In Deutschland fehlt es an Fachkräften – das ist lange bekannt. Auch, dass dieser Mangel einen erheblichen Verlust an gesellschaftlichem Wohlstand bedeutet. Die Unternehmensberatung Boston Consulting Group hatte geschätzt, dass deshalb die Wirtschaftsleistung im Wert von 86 Milliarden Euro verloren geht.
Der am Donnerstag veröffentlichte Fachkräftereport der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) macht deutlich: Das entgangene Wertschöpfungspotenzial dürfte in diesem Jahr sogar noch höher ausfallen. Auf fast 100 Milliarden Euro wird es von der DIHK geschätzt.
Den Grund dafür sieht Achim Dercks, stellvertretender DIHK-Hauptgeschäftsführer, darin, dass wohl in diesem Jahr "in Deutschland rund zwei Millionen Arbeitsplätze vakant bleiben".
Die derzeit noch stabile Entwicklung am Arbeitsmarkt und die vielen offenen Stellen dürften nicht zu dem Fehlschluss verleiten, alles sei in Ordnung und den meisten Unternehmen ginge es gut. "Unter der Oberfläche braut sich seit geraumer Zeit eine gefährliche Mischung zusammen."
Der Fachkräftemangel koste Wertschöpfung und gleichzeitig würden etwa die Herausforderungen zur Finanzierung der öffentlichen Haushalte erhöht. Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung gehen verloren. Dercks sprach am Donnerstag laut Deutscher Presse-Agentur (dpa) davon, dass den öffentlichen Haushalten aus diesem Grund etwa 30 Milliarden Euro nicht zur Verfügung stehen.
Unter Umständen könnte er dazu beitragen, dass Produktion und Dienstleistungen ins Ausland verlagert würden. Denn er trifft auf weitere Faktoren, welche die Entwicklung der Wirtschaftsleistung beeinträchtigen oder Herausforderungen darstellen. Hohe Energiepreise etwa oder die Transformation der Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität.
Die zunehmenden Personalengpässe könnten aber auch dazu führen, dass es der Wirtschaft in Deutschland schwerer fällt, mit aktuellen Entwicklungen mithalten zu können. "Das Fehlen von Fachkräften belastet nicht nur die Betriebe, sondern gefährdet auch den Erfolg bei wichtigen Zukunftsaufgaben: Energiewende, Digitalisierung und Infrastrukturausbau – für diese Aufgaben brauchen wir vor allem Menschen mit praktischer Expertise", so Dercks.
Für den Fachkräftereport wurden fast 22.000 Unternehmen befragt. Mehr als die Hälfte (53 Prozent) von ihnen gab an, nicht alle offenen Stellen besetzen zu können. Im Vergleich mit dem Vorjahr ist das eine Zunahme von zwei Prozent.
Betroffen sind hauptsächlich Industrie und Bauwirtschaft. Hier klagten jeweils rund 58 Prozent der Unternehmen, offene Stellen nicht besetzen zu können. Stark betroffen seien etwa der Maschinen- und Anlagenbau im Bereich von Spitzen- und Hochtechnologie. Hier behinderte laut DIHK der Personalmangel wichtige Vorhaben wie den Ausbau der Elektromobilität oder der erneuerbaren Energien.
Etwas weniger betroffen sind die Unternehmen im Dienstleistungsbereich, von denen 52 Prozent von Problemen bei der Stellenbesetzung berichteten. Hier sind es primär die Gesundheits- und Sozialdienstleister (71 Prozent), der Verkehrs- und Logistikbereich (65 Prozent) und das Gastgewerbe (60 Prozent), die offene Stellen nicht besetzen können.
Schlechte Arbeitsbedingungen und niedrige Gehälter will Dercks allerdings nicht als Ursache der Misere in einigen Branchen erkennen. Deutschland sei schließlich noch nie ein Niedriglohnland gewesen. Trotz hoher Gehälter hätte die Bundesrepublik aber dank Energiesicherheit, stabiler Preise oder beruflicher Bildung punkten können. Diese Vorteile, so Dercks, geraten nun aber ins Rutschen.
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