EU will Medikamente wieder in Europa produzieren – doch das Geld fehlt

Pillenstreifen mit chinesischen, indischen, und EU-Tabletten gefüllten sowie leeren Depots

EU möchte die Produktion von Medikamenten zurück nach Europa holen. 80 Millionen Euro sind dafür bis 2027 eingeplant. Doch diese Summe reicht nicht einmal für einen einzigen Wirkstoff.

Der zunehmende Kostendruck in der Gesundheitsversorgung und die nicht öffentlich verhandelten Rabattverträge der Krankenkassen hat zu einer Produktionsverlagerung vieler pharmazeutischer Wirkstoffe nach Fernost gesorgt und inzwischen auch zu einer in Europa lange Zeit unbemerkten Konzentration der Produktion in wenigen Ländern und an nur noch wenigen Standorten.

Jetzt hat man in Brüssel festgestellt, dass diese Entwicklung zu einer hohen Abhängigkeit von asiatischen Lieferanten gesorgt hat und man im Falle der möglicherweise bevorstehenden Handelskriege wohl nicht mehr mit einer gesicherten Versorgung rechnen kann und hat im März 2025 den Critical Medicines Act (CMA) veröffentlicht.

Schon heute sind 539 Medikamente laut Angaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte in Deutschland nicht lieferbar. Ein Teil der fehlenden Verfügbarkeit ging in der Vergangenheit auf Hamsterkäufe besorgter Patienten zurück, ein anderer auf Beschaffungslücken und Fehleinschätzungen des Bedarfs aufseiten der Hersteller, die sich von den mehrmals pro Jahr angesetzten Rabattverhandlungen der knapp 100 gesetzlichen Krankenkassen unter Druck gesetzt fühlen.

Marktmacht Asiens

David Francas, Professor für Daten- und Lieferkettenanalyse, Hochschule Worms, University of Applied Sciences, arbeitet schon länger zur Medikamentenknappheit in Deutschland und hat 2023 den Beitrag "On the Drivers of Drug Shortages: Empirical Evidence from Germany" veröffentlicht. Aktuell stellt er zum CMA fest:

Insbesondere im Segment der für die Breitenversorgung wichtigen Generika ist die Abhängigkeit von asiatischen Herstellern erheblich: Rund zwei Drittel der Wirkstofflieferanten befinden sich in Asien, überwiegend in China und Indien. […]

Die geplante Förderung von europäischen Produktionskapazitäten durch die EU im Rahmen des Critical Medicines Act (CMA) ist eine Maßnahme, die von unterschiedlichsten Stakeholdern bereits seit Langem gefordert wird – insbesondere deshalb, weil die erforderlichen Investitionskosten für die nationalen Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten als kaum tragbar gelten.

Darüber hinaus erfordert die effiziente Auslegung der entsprechenden Produktionskapazitäten Skaleneffekte, die sich nur erreichen lassen, wenn für einen größeren Wirtschaftsraum wie die gesamte EU produziert wird.

David Francas

Erfolg des CMA fraglich

Die Wirksamkeit dieser Maßnahme hängt allerdings von den bereitgestellten Mitteln ab. Das hierfür explizit genannte, indikative Budget des Vorschlags für den CMA beläuft sich für den Zeitraum 2026 bis 2027 auf rund 80 Millionen Euro.

Berücksichtigt man weiter, dass diese Summe ungefähr den in früheren Studien geschätzten Kosten für die Rückverlagerung eines einzigen Antibiotika-Wirkstoffs entspricht und rund 280 Wirkstoffe durch den CMA adressiert werden, ist zu bezweifeln, dass eine derartige finanzielle Ausstattung für eine umfangreiche Stärkung ausreichen oder gar zur Umkehr der Abhängigkeit von Asien führen wird.

David Francas

Grundsätzlich steht die Rentabilität einer EU-Produktion damit aufgrund fehlender Mittel infrage, denn die derzeit vorherrschende Abhängigkeit vieler Arzneimittel-Wirkstoffe von asiatischen Herstellern ist eine direkte Folge der dort herrschenden niedrigeren Produktionskosten. Die Wirkstoffproduktion von nicht mehr unter Patentschutz stehenden Arzneimitteln ist in Asien in vielen Fällen etwa 20 bis 40 Prozent günstiger als in Europa.

Unter diesen Voraussetzungen ist es für europäische Hersteller äußerst schwer, in einem reinen Preiswettbewerb zu bestehen. Ohne finanzielle Unterstützung durch die öffentliche Hand war eine Produktion in Europa meist nicht aufrechtzuerhalten. Und jetzt dürfte eine wirtschaftlich tragfähige Rückverlagerung der Produktion ziemlich unrealistisch sein, solange die Rabattforderungen der GKV weiterhin die Preise drücken.

Doch wer soll die jetzt dringend benötigten finanziellen Anreize oder Subventionen dauerhaft bereitstellen, die nicht nur die Kosten der Produktionsrückverlagerung nach Europa übernehmen will und den Kostenvorteil der asiatischen Produktion dauerhaft ausgleichen könnte?

Die Gesetzlichen Krankenkassen, die aktuell ihren Mitgliedern höhere Beiträge abverlangen, dürften keinen Spielraum haben, der die Verlagerung der Pharmaproduktionslieferketten nach Europa finanzieren könnte. Mittel aus dem Europäischen Verteidigungsfonds könnten die Lösung sein.

Könnten Risikozuschläge bei den Rabattverträgen helfen?

Bislang ist bei den Rabattverträgen der Gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland der Preis das ausschlaggebende Argument. Der CMA adressiert nun eine aus Risikosicht durchaus sinnvolle Abkehr vom Preis als einzig ausschlaggebendes Vergabekriterium.

Und zudem könnten die bislang deutschen Vorgaben in europäische umgewandelt werden, die dann eine stärkere Berücksichtigung europäischer Produktionsstandorte bei den Ausschreibungen der Rabattverträge beinhalten. Damit könnten diese Verträge dazu beitragen, die Produktion in Europa zu stärken.

Die Erfahrungen mit dem deutschen Lieferengpassgesetz (ALBVVG) zeigen jedoch die derzeit unüberwindbaren Grenzen einer gesetzlichen Vorgabe auf. So sieht das ALBVVG vor, dass bei Antibiotika-Ausschreibungen von Krankenkassen zusätzlich Hersteller berücksichtigt werden müssen, die ihre Wirkstoffe in der EU produzieren.

Wenn der Markt diese jetzt gar nicht anbietet und bei manchen Ausschreibungen überhaupt keine Wirkstoffe aus europäischer Produktion angeboten werden, ist diese schöne Idee in der Praxis gar nicht umsetzbar.