Pharmacogenomics

Gentests zur Identifizierung der Menschen, die auf Medikamente ansprechen, versprechen viel, lassen aber auch neue Probleme entstehen

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Der Begriff Pharmacogenomics ist noch neu. Vor 1997 wurde er noch gar nicht verwendet, gleichwohl verspricht das mit diesem Begriff bezeichnete Gebiet eines der interessantesten und profitabelsten der medizinischen Biotechnologie zu werden. Und wie bei allem, was aus der Genforschung kommt, sind auch die daraus entspringenden Möglichkeiten sowohl begrüßenswert wie auch bedenklich.

Pharmacogenetics ist das Zusammengehen der pharmazeutischen Genetik mit der boomenden Bioinformatik und den daraus erwachsenden Erkenntnissen aus der Sequenzierung des menschlichen Genoms, der Identifizierung von Genen und vor allem der individuellen Variationen eines Gens, das bedingt, dass Menschen unterschiedlich auf Medikamente ansprechen. Wenn man erkennt, welche genetische Faktoren dafür verantwortlich sind, ob ein Patient etwa auf die geeignete Weise auf ein Medikament anspricht oder ob es bei ihm schädliche Nebenwirkungen auslösen kann, dann können Menschen individuell therapiert werden oder es lassen sich Medikamente auf bestimmte genetische Variationen maßgeschneidert erzeugen. Damit entfallen würden allgemeine Verschreibungen von Medikamenten reduziert werden können, die fast niemals bei allen Menschen gleichermaßen wirksam sind. Damit ginge auch die medizinische Behandlung mit Medikamenten vom Zeitalter des pharmazeutischen "Broadcasting" zu einem "Microcasting" über.

So will etwa der Konzern Glaxo Wellcome in zwei Jahren ein neues Medikament gegen HIV auf den Markt bringen, bei dem aber zuerst mit DNA-Chips getestet werden soll, ob der Empfänger auf das Medikament anspricht oder nicht. In einem Artikel in der Zeitschrift The Lancet vom 15. April meint Allen Roses, der Leiter der genetischen Forschungsabteilung von Glaxo Wellcome, dass aufgrund von Gentests maßgeschneiderte medikamentöse Behandlung in naher Zukunft möglich sein werde und viele Vorteile verspreche. Ein gutes Medikament heile oder verhindere Krankheiten, ohne nachteilige Wirkungen auszulösen. Mit Pharmacogenetics könne der Arzt nicht nur die wahrscheinliche Reaktion eines Patienten auf ein Medikament vorhersagen, sondern es könnten auch Medikamente schneller klinisch getestet, mehr Behandlungen für mehr Patienten durchgeführt, Kosten für die Entwicklung von neuen Medikamenten gesenkt und daher auch mehr Medikamente für weitere Krankheiten entdeckt werden.

Die Verkürzung der langwierigen klinischen Erprobung von Medikamenten steht dabei natürlich im Vordergrund der Interessen des Konzerns. Bei den klinischen Tests an Menschen sollen durch Gentests bereits alle diejenigen nicht mehr teilnehmen, die aufgrund ihrer Gene nicht oder nur mit unerwünschten Nebenwirkungen auf die neuen Medikamente ansprechen, was Erprobung wesentlich beschleunigen soll. Dann soll das Medikament zunächst nur an Patienten ausgegeben werden, die sich einem Gentest unterziehen. Wenn dabei unerwünschte Nebenwirkungen auftreten, könnte man den Gentest dementsprechend modifizieren.

Wie bei allen Gentests könnte dies für Menschen ein großes Problem darstellen, die sehen, dass es ein wirksames Medikament für ihre Krankheit gibt, aber damit fertig werden müssen, dass es für sie nicht in Frage kommt. Schwerwiegender könnte jedoch eine andere Möglichkeit sein, nämlich dass die auf Profit ausgerichteten Konzerne Medikamente vornehmlich für diejenigen Bevölkerungsschichten entwickeln, die das meiste Geld für Behandlungen aufwenden können, beispielsweise in den reichen westlichen Ländern. Auf der anderen Seite könnten Einsparungsmaßnahmen bei den Krankenkassen auch dazu führen, dass Patienten, deren Erbgut "schwierig" für gegebene medikamentöse Behandlung ist, vielleicht gar nicht mehr, klassifiziert als "genetisch hoffnungslose Fälle", therapiert werden, obgleich es natürlich auch besser sein kann, gar nicht als falsch behandelt zu werden.

So wurden im Universitätsklinikum Charite eben Gen-Varianten entschlüsselt, die mit darüber bestimmen, wie Medikamente wirken können. Menschen, die bestimmte Varianten des Multi-Drug-Resistance-Gens (MDR-1-Gen) besitzen, reagieren wesentlich empfindlicher und mit größeren Nebenwirkungen auf Medikamente. Während diese Menschen niedriger dosiert werden müssten, gibt es andere, die mehr Medikamente zu sich nehmen müssen, weil diese nicht so gut vom Darm in das Blut übergehen können. Diese Wissenschaftler des Charite-Instituts erwarten, dass in den nächsten Jahren ein Test zur Erkennung der Varianten dieses Gens zur Verfügung stehen würde. Auch das ist natürlich eine wichtige und gute Erkenntnis, wenn allerdings die Krankenkassen Einsicht in die Gentests erlangen könnten oder es überhaupt ein allgemeines DNA-Profil der einzelnen Menschen gibt, dann ist zu erwarten, dass sich dies auch auf die Beiträge auswirken dürfte. Schon heute drohen jenen, die einen Gentest durchführen, bei privaten Kranken- und Lebensversicherungen höhere Prämien - und er muss die Ergebnisse der Tests den Versicherungsgesellschaften mitteilen. Umgekehrt könnten irgendwann auch jene auftrumpfen und einen Rabatt verlangen, die genetisch besser ausgestattet sind und ein geringes Krankheitsrisiko besitzen. Und welche Versicherungsgesellschaft besser über die genetischen Daten ihrer Kunden Bescheid weiß, kann als genetischer Big Brother besser kalkulieren und so Wettbewerbsvorteile erringen.

Ein fataler Kreislauf, der aus an sich medizinisch positiven Erkenntnissen entsteht und datenschutzrechtlich kaum zu bändigen sein wird, da der ökonomische Druck zu groß ist. In mancher Hinsicht waren da die Zeiten, als die genetische Ausstattung keine Rolle spielte und wirklich nur eine Lotterie war, im Hinblick auf die Entscheidungen einfacher, zumindest solange, bis nicht auch jeder genetische "Defekt" gentechnisch und für alle erschwinglich repariert werden kann. Das aber wird, wenn überhaupt, noch lange dauern. Vorher werden Kinder mit genetisch ungünstiger Ausstattung abgetrieben, wenn einmal die pränatalen Gentests perfektioniert sind, denn wer wird seinen Kindern schon den Eintritt in eine benachteiligte Klasse zumuten wollen. Und die genetisch schlecht ausgestatteten Menschen werden sich vielleicht überlegen, ob sie Kinder bekommen wollen, die wegen ihres erhöhten Risikos sofort mit höheren Versicherungsprämien belegt werden und auch ansonsten möglicherweise im Berufsleben oder auch privat mancherlei Diskriminierung erfahren könnten. Schon durch solche Selektionen könnten die genetischen Variationen geringer, die Menschheit einheitlicher werden, was der evolutionären Entwicklung der Menschen aber nicht unbedingt förderlich sein muss.