Pipeline for the people?

Bilanz des Erdölprojektes Tschad/Kamerun

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Erdöl-Pipeline zwischen Tschad und Kamerun galt als Modellprojekt der Weltbank. Es sollte beweisen, dass mit den Einnahmen aus Rohstoffen auch in autokratisch regierten Ländern Armutsbekämpfung möglich ist. Jetzt zog sich die Weltbank aus dem Projekt zurück.

Karte: Chad/Cameroon Development Project

Es begann wie ein Märchen: „Vertreter von Esso kamen, um uns zu ‚sensibilisieren’. Wir sollten verschiedene Projekte für unser Dorf aussuchen.“ Tamro Mbaidjéhuernan, der Dorfchef von Ngalaba, sitzt unter einem kolossalen Mangobaum und erinnert sich an die Anfänge des Erdölprojektes im Tschad. „Man hat uns Schulen und Gesundheitsstationen versprochen“ erzählt er, „wir bekämen Zugang zu Trinkwasser sowie eine Straße und einen Markt.“

Zigtausende Menschen in den Dörfern im Ölfördergebiet hofften Ende der 90er Jahre auf ein wenig Wohlstand. Das Erdöl und die Pipeline sowie die Verschiffung im Nachbarstaat Kamerun sollte ein Modellprojekt der Weltbank werden: „Es handelt sich um ein beispielloses Vorhaben“, heißt es in einer Pressemitteilung der Bank im Juni 2000 „bei dem der Reichtum aus den Öleinnahmen unmittelbar zum Vorteil der Armen eingesetzt wird.“

Unter der Führung von Esso Tschad, einer Tochter des US-amerikanischen Ölgiganten Exxonmobil, fördert ein Konsortium, zu dem außerdem die US-Firma Chevron-Texaco und Petronas aus Malaysia gehören, das Rohöl im Tschad. Von dort wird es durch eine unterirdische Pipeline 1000 Kilometer weit durch Kamerun bis an die Atlantikküste zur Verladung auf Supertanker geschickt. Für 4,2 Milliarden Dollar wollen die Konzerne 25 Jahre lang Öl im Tschad fördern. Exxon, das nach Marktwert größte Unternehmen der Welt, macht Geschäfte mit einem der ärmsten Länder der Welt, geprägt von jahrzehntelangen Bürgerkriegen.

Darauf hatten seinerzeit schon Vertreter der Zivilgesellschaft hingewiesen, wie etwa Samuel Nguiffo, Jurist und Direktor des Centre pour l’Environnement et le Développement (CED) in Kamerun. Sie hätten damals schon gewusst, dass der Ölreichtum in manchen Ländern Diktaturen, Korruption und die Verletzung von Menschenrechten befördert hätte, erklärt er, „aber die Weltbank sagte, mit ihrer Beteiligung werde das Öl die Entwicklung voranbringen.“

Beginn der Pipeline. Bild: Chad/Cameroon Development Project

Mangobäume ohne Früchte

Als das Heer von Bauleuten vor acht Jahren mit den Arbeiten für die Erdölförderung begann, legten sie rund um Ngalaba breite Sandstraßen entlang der zahlreichen Öl-Bohrlöcher an. Für ihr verlorenes Land erhielten die Dorfbewohner individuelle Entschädigungen. Esso Tschad gibt sich heute stolz über das Geleistete. Seit Beginn des Projektes seien rund 19 Millionen Dollar an individuellen Abfindungen ausgezahlt worden, schreibt Esso im ersten Vierteljahresbericht des Konzerns 2008.

Dabei hatte der Konzern schon vor zehn Jahren in Kamerun begonnen, ohne Verhandlungen mit der Bevölkerung Erstattungen auszuzahlen. Für eine Bananenstaude 50 Eurocent, für eine Ölpalme zwei Euro, für Kakao- und Kaffeesträucher maximal 2,50 Euro und für Orangen- und Mangobäume 5,50 Euro pro Exemplar. Wer sich darauf einließ und eine Quittung unterschrieb, wurde fotografiert und verzichtete damit auf jegliche Nachforderungen. Die Bauern beschwerten sich und NGOs beider Länder unterstützen die Bevölkerung in den 375 Dörfern entlang der Pipeline in ihrem zähen Kampf für höhere Entschädigungen. Der tschadische Agrar-Ingenieur Djeralar Miankéol berechnete den Wert für den Mangobaum neu. „Man kann einen solchen Baum nicht einfach fällen!“ erregt er sich noch heute. Davon könnten ganze Generationen leben. „Ein Baum, der 10 Jahre voll produziert, hat einen Wert von umgerechnet 1500 Euro. Esso hat das am Ende akzeptiert.“

Dann aber trat ein neues Problem auf, erzählt der Dorfchef von Ngalaba. Die Mangobäume waren nicht mehr so ertragreich wie vorher. Die vielen Esso-Fahrzeuge wirbeln große Mengen Staub auf den buckligen Sandpisten auf, der nur langsam sinkt und acht Monate im Jahr Menschen, Tiere und Pflanzen mit einer rostroten Schicht bedeckt. Die Blätter vieler eigentlich immergrüner Baumriesen werden hart wie Pergament und rollen sich ein. Der Staub verhindert die Fotosynthese; die Bäume sterben. Esso Tschad behauptet, die Pisten regelmäßig mit Wasser zu berieseln, aber die Bevölkerung merkt von diesen Verbesserungen nichts.

Die Weltbank stieg im Juni 2000 trotz internationaler Kampagnen der Zivilgesellschaft in das umstrittene Projekt ein. Organisationen aus Tschad, Kamerun, USA und Deutschland, u.a. Misereor, hatten zum Beispiel die völlig unzureichende Partizipation der Bevölkerung und die mangelhafte Abschätzung der Umweltschäden kritisiert. Aber die Weltbank gewährte 200 Millionen Dollar Kredite und 46 Millionen Dollar für begleitende Programme in den beiden afrikanischen Ländern. Damit gab sie dem umstrittenen Projekt den Anstrich von Seriosität und „Entwicklungshilfe“. Außerdem erließ sie strenge Umweltauflagen und verpflichtete die tschadische Regierung zu einem Armutsbekämpfungs-Gesetz.

Wie eine fette Spinne

The „Home of the World Greatest Drilling Team“ nennt Esso die Basis von Komé. Breite Straßen führen dorthin, an ihren Rändern stehen rotlackierte Pumpen. Eine scheinbar saubere und harmlose Technik. Hinter Zäunen liegt die brummende Erdölmaschinerie: eine in der Sonne glänzende Großanlage mit stählernen Pumpen, vier Turbinen für das werkseigene Kraftwerk, Öltanks und Kontrollzentrum. In den Wohnquartieren der Arbeiter leben nur wenige einheimische. Die meisten der rund 800 Facharbeiter kommen aus aller Herren Länder: Südafrika, Indien, Philippinen.

Wie eine fette, furchtlose Spinne liegt die Basis im Zentrum der Zone und breitet sich gierig weiter aus. Die Knotenpunkte ihres Netzes sind unbekannt, die Röhren verlaufen unterirdisch. Statt wie geplant drei Erdölfelder werden inzwischen sechs ausgebeutet. Statt an 300 Stellen haben sich die Bohrer inzwischen an fast 500 Fundpunkten in die Erde gewühlt. Inzwischen wurde der ursprünglich kalkulierte Landverbrauch um 65 Prozent überschritten.

Selbst die Armut im Land hat nicht wesentlich abgenommen. Staatspräsident Idriss Déby, der sich 1990 an die Macht geputscht hatte, kaufte 2001 aus Steuernachzahlungen der Ölkonzerne in Höhe von 25 Millionen US-Dollar Waffen. 2005 änderte er das Armutsbekämpfungsgesetz und Waffenkäufe wurden offiziell ermöglicht. Die Weltbank ließ nach kleinen Änderungen des Gesetzes den korrupten Autokraten Déby gewähren. Das „Modellprojekt“ in dieser auch gewalttätigen Diktatur ist im Scheitern begriffen. „Die Mission der Weltbank besteht nicht darin, Regierungen zu ändern,“ sagt dazu Noubissie Ngankam, Manager bei der Weltbank im Tschad. „Korruption ist kein Grund, Länder zu meiden.“

Endemische Korruption, mangelnde Kompetenz und ungenügende Transparenz im Tschad hatten die Weltbank und das Konsortium – oft erst nach Aufforderung durch das internationale Netzwerk – mit zahlreichen Überwachungs- und Managementplänen zu verhindern versucht. Außerdem sorgten Weltbank und Zivilgesellschaft für mehr oder weniger unabhängige Kontrollinstanzen. Und den gesamten Prozess überwachten unabhängiger Experten dreier internationaler Kommissionen.

Das Erdölprojekt ist zweifellos eins der bestüberwachtesten Projekte der Weltbank. Zumindest auf dem Papier. Der Beamtenapparat des Deby-Regimes aber lässt sich nicht in die Karten schauen. Und selbst Esso Tschad und die Weltbank verweigern wichtige Informationen wie Berilengar Dathol, Vertreter der Zivilgesellschaft im offiziellen Kontroll-Kollegium, berichtet: „Es ist schwierig, Informationen über Produktionsziffern, Anzahl der Bohrlöcher oder den Ölpreis im Tschad zu bekommen.“

Schwimmender Terminal. Bild: Chad/Cameroon Development Project

Fischer ohne Fischfang

Vor Kribi, dem schönsten Badeort Kameruns, landet das schwarze Gold aus der unterirdischen Pipeline in einem schwimmenden Terminal. Zwölf Kilometer vor den malerischen Stränden liegt der Koloss im hellen Dunst des tropischen Meeres. Bis zu fünf Mal im Monat legen Tanker am Verladeschiff an, die meisten aus den USA, die die Hälfte des tschadischen Öls abnehmen. An Land entladen die Fischer ihre Pirogen. Der Fischer Joqui Munenge erzählt, dass er heute nicht hinausgefahren ist. „Seit die Pipeline installiert wurde, ist es sehr schwer, genug Fisch zum Leben zu finden.“ Heutzutage brauchten die Fischer zwei Tage, um genug Fisch zu fangen. „Früher kamen wir nach fünf Stunden auf dem Meer zurück an Land.“ Er könne nicht mal mehr seine sechs Kinder auf die Schule schicken.

Firmin Semboung von der kamerunischen Umweltorganisation FOCARFE erklärt, das Konsortium habe für die Pipeline direkt vor der Küste ein großes natürliches Riff gesprengt. Genau da, wo die Einheimischen traditionell gefischt haben. „Das war eine ökologische Nische für den Fisch,“ erklärt er, „COTCO hat als Ersatz ein vier Kilometer langes künstliches Riff aus Gummireifen errichtet.“ Dieser Maßnahme der kamerunischen Tochter des Öl-Konsortiums, COTCO, vom Juli 2006 hat auch die Weltbank zugestimmt. Nun aber verweigere sie, die Auswirkungen dieses Gummi-Riffs auf den Fischbestand wissenschaftlich untersuchen zu lassen. Mit dem Argument, es fehlten Vergleichsdaten aus der Zeit des natürlichen Riffs. Firmin hält das für eine schlechte Ausrede: „Man könnte für einen Vergleich Daten über das Meeresleben anderer Riffs vor der Küste Kameruns erheben“, meint er. „Exxon muss seine Verantwortung übernehmen.“

Aber auch der Staat Kamerun ist an einer Aufklärung nicht interessiert. Er ist zu 15 Prozent an der Ölgesellschaft beteiligt. Das Regime des langjährigen Potentaten Paul Biya denkt nicht daran, die Einnahmen aus dem Pipeline-Projekt zu veröffentlichen. Hier hat sich die Weltbank mit der bloßen Versicherung zufrieden gegeben, dass das Geld für Armutsbekämpfung ausgegeben werde. Auch hier kann von unabhängiger Kontrolle keine Rede sein: Das sogenannte Kontrollorgan ist direkt bei der nationalen Erdölgesellschaft angesiedelt. Die füllte lange Jahre die schwarze Kasse des Präsidenten.

Vorzeigeprojekt misslungen

Das Prestigeprojekt der Weltbank darf als gescheitert angesehen werden. Trotz der Gesamteinnahmen zum Beispiel des Tschad von 2,5 Milliarden Dollar. Verantwortliche in Weltbank, Konsortium und Regierungen haben viele Verbesserungsvorschläge der Zivilgesellschaft ignoriert. Ausnahmslos alle Prüfungsorgane klagen über die Folgenlosigkeit ihres Tuns, auch die von der Weltbank bestellten internationalen. Selbst der bankeigene “Abschlussbericht” stellt 2006 – neben vielen Schönfärbereien – im Bürokratenjargon fest, es sei „unmöglich zu bestätigen, dass das Wachstum aus dem Öl signifikante Auswirkungen auf die arme Bevölkerung des Tschad hatte, insbesondere in den ländlichen Gebieten.“ Und weiter: „Das Niveau der Unsicherheit ist derart erhöht, dass es noch unmöglich ist, in diesem Stadium eine irgendwie geartete Nachhaltigkeit zu erkennen.“

Samuel Nguiffo vom CED bringt es auf den Punkt. Die Ärmsten im Tschad hätten nicht von den Öleinnahmen profitiert, stellt er fest. „ Wenn es jemals ein Projekt auf diesem Planeten gab, das die Weltbank gut ausführen musste, dann war es dieses. Ich glaube nicht, dass es an Nachlässigkeiten lag. Ich glaube man hat alles Menschenmögliche getan, aber man hätte die Schwierigkeiten erkennen müssen“. Die Zivilgesellschaft habe die Bank zum Beispiel von Anfang an gewarnt, „dass Präsident Deby niemals akzeptieren wird, die Öleinnahmen kontrollieren zu lassen - und das auch noch von außerhalb! Wir haben das vom ersten Tag an gewusst. Und ich denke, die Bank hat es auch gewusst.“

Nach einem Putschversuch im Februar hat sich Déby den vollen Zugriff auf alle Öleinnahmen gesichert - und zum wiederholten Male alle mit der Weltbank vereinbarten Kontrollmechanismen außer Kraft gesetzt. Die Weltbank hüllte sich in Schweigen. Bis sie Anfang September völlig überraschend erklärte, der Tschad habe über Jahre die vereinbarte Armutsbekämpfung nicht umgesetzt. Jetzt habe das Land seine Kredite zurück gezahlt und damit sei das Projekt beendet. Die Organisationen des großen internationalen Netzwerkes reagierten mit großer Empörung und „Bitterkeit“ auf diesen plötzlichen Rückzug und fordern, dass die Weltbank sich der „ skandalösen Bilanz“ ihres Modellprojektes stellen, die Gründe für dieses „aufsehenerregende Scheitern“ analysieren und einen „Fond zur Behebung der Schäden“ einsetzen muss.