Piratenpartei größte Partei im Web

Darstellung der Parteiprofile zu zwei Zeitpunkten anhand der Dimensionen Zentralisierung und Zahl der Links. Alle Grafiken: H. Lietz

Eine Telepolis-Analyse der Web-Präsenz acht untersuchter Parteien zeigt erhebliche strukturelle Unterschiede

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Vor der Landtagswahl in NRW ist die Piratenpartei im Web nicht nur die größte Partei, sondern auch die am dezentralsten organisierte. Zweit- und drittgrößte Partei sind NPD und die Union, wobei die NPD sich seit September 2009, der Zeit vor der Bundestagswahl, dezentralisiert und die Union erheblich an Größe zugenommen hat. Ebenfalls groß sind FDP und Die Grünen, wobei erstere Partei erheblich zentralisierter ist. SPD, Die Linke und Freie Wähler sind mit eigenen Webseiten deutlich weniger präsent im Web und unterschiedlich strukturiert. Dies sind die Ergebnisse einer Telepolis-Analyse der Netzwerke, bestehend aus Webseiten und Weblinks, der acht untersuchten Parteien.

Am 9. Mai 2010 findet in Nordrhein-Westfalen die erste Landtagswahl seit der Bundestagswahl vom 27. September 2009 statt. Angesichts sinkender Zustimmung in Meinungsumfragen zur Politik der Bundesregierung wird der Landtagswahl im bevölkerungsreichsten Bundesland Signalwirkung zugeschrieben.

Wahlen werden zunehmend im Internet gewonnen. Parteien haben Webseiten der Verbände und ggf. Fraktionen auf Bundes-, Landes- und lokaler Ebene. Zu Wahlkampfzeiten – und zunehmend ist permanent Wahlkampf – werden Sonderseiten geschaffen, die Web und Massenmedien mit Storys versorgen. Blogger ergänzen das komplexe Netzwerk, das in seiner Gesamtheit keiner Planung mehr entspringt. Und doch sind für verschiedene Parteien strukturelle Unterschiede zu erwarten. Die Piratenpartei beispielsweise präsentiert sich als Mitmachpartei, die "von den Ideen und dem Engagement jedes einzelnen Bürgers" lebt. Von anderen Parteien ist leicht vorstellbar, dass sie einiges hierarchischer aufgestellt bzw. zentralisierter strukturiert sind, im Web etwa per Ausrichtung auf die Webseite der Bundespartei. Wie die Parteien tatsächlich im Web präsent sind, ist Gegenstand dieser Telepolis-Recherche.

Gegenstand der Analyse sind die sieben Parteien, die im September 2009 in mindestens einem Landtag vertreten waren – Die Grünen, Die Linke, FDP, Freie Wähler, SPD, NPD und Union (CDU/CSU) – sowie die Piratenpartei, die laut eigenen Angaben, gemessen an der Mitgliederzahl, bereits die siebtgrößte Partei Deutschlands ist. Zu allen Parteien wurden die Webadressen (URLs) der Bundespartei sowie der 16 Landesverbände gesammelt (lediglich die Freien Wähler hatten im September 2009 noch keine Webseite des Berliner Landesverbands).

Für jede Partei wurden die 17 URLs in das online verfügbare Programm IssueCrawler eingegeben. Der IssueCrawler wurde so eingestellt, dass jede Start-URL zunächst drei Schritte tief auf Subseiten durchforstet wird. Von allen derart identifizierten Webseiten werden alle ausgehenden Links gesammelt. Linken mindestens zwei Webseiten auf eine neue Seite, wird diese der Menge hinzugefügt. Auch dieses wird dreimal wiederholt. Das Ergebnis ist für jede Partei je ein Netzwerk, in dem Webseiten über Links verbunden sind. Dieses wurde Mitte September 2009, also einen guten Monat vor der Bundestagswahl, und Mitte April 2010, einen knappen Monat vor der NRW-Landtagswahl, durchgefügrt. Insgesamt liegen also 16 Netzwerke zum Vergleich vor. Aufgrund gleicher Startbedingungen sind die Netzwerke auch vergleichbar.

Jedes Netzwerk wurde auf Größe und Grad der Zentralisierung hin untersucht. Als Größe gilt die Anzahl der Links. Zur Messung des Grades der Zentralisierung wurde ein Algorithmus verwendet, der Hierarchien misst. Ein sternförmiges Netzwerk, in dem beispielsweise alle Landesverbände ausschließlich auf die Webseite der Bundespartei linken, ohne dass diese zurück linkt, wäre maximal hierarchisch (Wert 1). Ein vollständiges Netzwerk, in dem jede Seite auf jede linkt, hätte hingegen eine vollkommen flache Hierarchie (Wert 0). Die Anzahl der Links wird bei dieser Methode vernachlässigt.

Strukturelle Unterschiede der Web-Präsenz der acht untersuchten Parteien

Die folgende Grafik zeigt, wie sich die Struktur der acht Parteien von September 2009 auf April 2010 verändert hat. Nach rechts nimmt die Größe (Anzahl Links) des Parteinetzwerks zu. Nach oben nimmt der Grad der Zentralisierung zu. Der Profilraum ist in vier Quadranten aufgeteilt: große zentralisierte Netzwerke (I), große dezentralisierte Netzwerke (II), kleine denzentralisierte Netzwerke (III) und kleine zentralisierte Netzwerke (IV).

Die Netzwerke zeigen, wie die Parteien zu den jeweiligen Zeitpunkten im Web aufgestellt waren. Runde Netzwerkknoten gehören zu Webseiten der Top Level Domain (TLD) "de". Alle anderen TLDs sind eckig dargestellt. Außerdem wird nach Farben unterschieden. Webseiten in der entsprechenden Parteifarbe werden von der Partei betrieben. Links von einer Parteiseite zur anderen sind ebenfalls farbig. Alle anderen Webseiten und Links sind grau. Je dicker ein Pfeil, desto mehr Links weisen von einer Seite auf die andere. Die Größe einzelner Knoten richtet sich schließlich danach, wie viele Links auf die Webseite verweisen. Die vier oder fünf größten Webseiten sind jeweils benannt.

Piratenpatei

Die Piratenpartei war sowohl 2009 als auch 2010 die größte wie dezentralste Partei im Web. Strukturell hat sich nichts Wesentliches geändert. Es gibt zwei deutliche Partei-Cluster, einer deutsch mit piratenpartei.de und einer international mit pp-international.net als Hauptseite, mit starker gegenseitiger Vernetzung. Seiten wie wiki.piratenpartei.de, forum.piratenpartei.de und die der Organisation zur Reform des Urheberrechts creativecommons.org verdeutlichen den Kollaborationscharakter der Partei.

NPD

Die Nationalen haben erheblich an Größe zugelegt. Dabei haben sie sich auch erheblich dezentralisiert (Wechsel von Quadrant I nach II). Doch die fünf meistverlinkten Webseiten bleiben die gleichen. Neben der Bundespartei (npd.de) wird die Rechte getragen von den Landtagsfraktionen Sachsens (npd-fraktion-sachsen.de) und Mecklenburg-Vorpommerns (npd-fraktion-mv.de). Die Jungen Nationaldemokraten (jn-buvo.de) spielen eine wichtige Rolle. Auffällig ist die zentrale Rolle der Webseite für Werbemittel (werbemittel.npd.de).

Union

Die Webpräsenz der CDU/CSU hat seit der gewonnenen Bundestagswahl erheblich an Größe zugelegt. Vielleicht ist die Einführung des Instruments sharkness.de dafür verantwortlich, mit dem CDU-Verbände, -Fraktionen und -Gliederungen ihre interne und externe Kommunikation organisieren können.

Während 2009 noch Verband (cdu-saar.de) und Fraktion (cdu-fraktion-saar.de) aus dem Saarland viele Links anzogen – am 30. August 2009 war dort Landtagswahl –, ist es 2010 der Landesverband Brandenburg (cdu-brandenburg.de) – die Landtagswahl dort fand gleichzeitig mit der Bundestagswahl statt. Ansonsten ist die Bundespartei (cdu.de) die zentrale Seite. Bei keiner anderen Partei ist die Mutterseite derart attraktiv.

FDP

Wie die Union hat die koalierende FDP nach gewonnener Bundestagswahl den Sprung von einem relativ kleinen zu einem großen zentralisierten Netzwerk gemacht (Quadrant IV nach I). Die langjährige Zusammenarbeit der FDP mit der Kommunikationsagentur a.b.media zeigte sich vor der Bundestagswahl durch die starke Präsenz der Agenturwebseite abmedia-online.de und des von a.b.media verwendeten Content Management Systems (dev4u.de).

Ansonsten ist die Partei stark auf das Parteiportal liberal.de und die bundespolitischen Strukturen von Fraktion (fdp-fraktion.de) und Partei (fdp-bundespartei.de) ausgerichtet.

Die Grünen

Das Netzwerk der Grünen ist geprägt durch Konstanz, sowohl was Größe wie Zentralisierung angeht. 2009 wie 2010 war das Parteinetzwerk eher groß und dezentral. Im Zentrum stehen die Webseiten von Bundespartei (gruene.de) und -fraktion (gruene-bundestag.de). Die Partei ist eingebettet in Anti-Atom- und Pro-Umweltschutz-Webseiten, und gruene-jugend.de sowie die Nicht-Grüne-Webseite atomausstieg-selber-machen.de sind die Hauptbindeglieder in diese Aktivistenszene.

SPD

Die Sozialdemokraten haben seit Verlust der Regierungsbeteiligung etwas an Größe verloren. Die leichte Zentralisierung geht einher mit der wachsenden Rolle der Seiten von Bundespartei (spd.de) und -fraktion (spdfraktion.de). Zurückgegangen ist auch die Nutzung von Tools wie etracker.de, twitter.com und facebook.com.

Die Linke

Was ihre Größe angeht, führen die Sozialisten etwa im Vergleich mit den Rechten im Web ein Schattendasein. Die Linke sind mit die kleinste Partei im Web. Von 2009 auf 2010 legte sie nur unerheblich zu, dezentralisierte sich dabei jedoch nicht unerheblich. Auffällig ist, dass die Europäische Linke (european-left.org) neben der Bundespartei (die-linke.de) eine der zentralsten Webseiten ist. Die Linke ist also noch eine internationale Idee.

Freie Wähler

Wie nicht anders zu erwarten, ist die Identität der Freien Wähler bestimmt durch deren Präsenz im bayerischen Landtag. Alle großen Webseiten haben Bezug zu Bayern. Entsprechend der regionalen Ausrichtung der Partei spielt auch die Webseite der Bundespartei keine gewichtige Rolle. Die Größe des Netzwerks in 2010 ist im Wesentlichen durch den Link von dipbt.bundestag.de auf bundestag.de bestimmt und ist somit ein Artefakt.

Die Netzwerkdateien für das Analyseprogramm Pajek können inkl. aller Knotenbezeichnungen hier heruntergeladen werden.