Plagiate und die "Süddeutsche": Den Skandal hinter dem Skandal sehen nur wenige
Affäre um Traditionsblatt: Vorwürfe gegen Journalistin mit verheerenden Folgen. Doppelmoral und fehlende Medienethik sind offensichtlich. Ein Telepolis-Leitartikel.
Es gibt mal wieder einen Skandal um Medien – zu Recht und doch anders, als man zunächst vermuten könnte. Grund der Aufregung ist ein mutmaßlicher Plagiatsskandal um die stellvertretende Chefredakteurin der Süddeutschen Zeitung.
Sie soll sich fremde Schreib- und Denkleistungen angeeignet haben, so geistert es seit Wochen durch das Netz. Zuerst hatte der Branchendienst Medieninsider darüber berichtet, zuletzt folgte ein Gutachten des österreichischen Kommunikationswissenschaftlers Stefan Weber, der auch für Telepolis schreibt.
Plagiatsvorwürfe erschüttern Medienbranche
Glaubt man Branchennews, so reagierte die Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung von Beginn an äußerst unsouverän: In internen Sitzungen sei zunächst von einer "Verschwörung" rechter Akteure die Rede gewesen.
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Berichte über entsprechende Darstellungen der Chefredaktion sind glaubwürdig, weil später Redaktionsmitglieder ins Visier von Chefredakteur Wolfgang Krach gerieten, die offenbar Interna aus den Redaktionssitzungen nach außen getragen hatten.
Nach Beinahe-Tragödie: Leitmedien in Selbstschutz-Modus
Dann der Showdown: Am 5. Februar erklärte die Süddeutsche "in eigener Sache": "Bis zum Abschluss dieser Prüfungen wird sich Föderl-Schmid aus dem operativen Tagesgeschäft der SZ zurückziehen."
Drei Tage später wurde die Kollegin vermisst, Suizid wurde befürchtet, ein Großaufgebot der Polizei in Deutschland und Österreich suchte nach der Frau. Tags darauf fanden sie die Einsatzkräfte. Seitdem tobt die Debatte um Schuld und Sühne.
Vertreter der Leitmedien verteidigen vor allem … die Leitmedien. Das klingt mitunter demütig, wie bei Zeit-Chef Rainer Esser: "Könnte dies nicht ein dringender Weckruf sein, uns an die Bedeutung von Mitgefühl und Vergebung auch bei kleinsten Fehltritten zu erinnern?"
Oder wütend, wenn es um Plagiatsjäger Weber geht, dem nicht nur der Schweizer Tages-Anzeiger eine "Hetzjagd auf eine Journalistin" vorwarf.
Plagiatsjagden und Ihre Folgen
Das Konfliktpotenzial ist enorm. Ein Mann treibt eine Frau fast in den Suizid, lautet eines der Narrative. Dahinter stehe ein selbsterklärter Experte, der für seine Gutachten auch noch bezahlt werde, ein anderes.
Die redaktionelle Wut aber speist sich aus einer anderen Konstellation, nämlich der, dass dieser Mann es wagt – und es ihm auch noch gelingt – diejenigen an den Pranger zu stellen, deren Selbstverständnis es ist, andere bloßzustellen, unter Druck zu setzen, zu benennen und zu blamieren.
Vergangene Fälle von Plagiatsvorwürfen
Nun sind Plagiatsjagden nichts Neues, wie unter anderem der CSU-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg, die Politologin Ulrike Guérot oder die CDU-Politikerin Annette Schavan bezeugen können. Mit ihnen kannte die Süddeutsche Zeitung ebenso wenig Gnade wie mit ihrer eigenen Kollegin, auch wenn man es jetzt anders darzustellen versucht.
Plagiatsverdacht – das ist in der akademischen und journalistischen Welt moralisch gleichbedeutend mit Putin-Spionage, Rammstein-Aftershowparty, Kinderpornografie oder einem antisemitischen Flugblatt im Schulranzen.
Die Rolle der Süddeutschen Zeitung
Wolfgang Krach und die Leitung der Süddeutschen Zeitung hätten alle Möglichkeiten der Welt gehabt. Sie hätten schreiben können:
Wir stehen hinter unserer Kollegin, wir vertrauen ihr, aber wir lassen die Vorwürfe trotzdem prüfen. Bis dahin gilt auch für uns die Unschuldsvermutung.
Aber die Süddeutsche schrieb am 5. Februar:
Bis zum Abschluss dieser Prüfungen wird sich Föderl-Schmid aus dem operativen Tagesgeschäft der SZ zurückziehen.
Die Frau musste also gehen, auch wenn die Vorwürfe, wie es jetzt aus dieser Richtung tönt, von einem "selbsternannten Plagiatsjäger", von einem Scharlatan, von einem Geschäftemacher stammen.
Dieser Widerspruch scheint niemandem aufzufallen. Ein Widerspruch, der nur dadurch zu erklären ist, dass die Leitung der Süddeutschen alles aufbot, um sich selbst zu schützten, Verschwörungstheorien und die öffentliche Degradierung ihrer Kollegin inklusive.
Geschlechterdiskriminierung bei Plagiatsvorwürfen
Und man darf getrost fragen: Hätte das männliche Mitglied der Chefredaktion, ein Wolfgang Krach eben, auch gehen müssen, wäre er in eine ähnliche Situation geraten; wäre er mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert worden?
Diese Frage harrt ebenso der Klärung, wie Webers Plagiatsgutachten nun einer Überprüfung unterzogen werden muss. Allein schon, weil seine launisch-distanzlose Kommentierung eines Interessenkonflikts Fragen nach der Professionalität aufwirft.
Der Ton, den Weber derzeit in den sozialen Netzwerken anschlägt, wenn er Widerspruch zu seiner Arbeit etwa als "ideologisch motivierte Propagandalüge" abtut, untergräbt jedenfalls seine Rolle als unabhängiger und vor allem souveräner Gutachter.
Plagiatsjagd: Große Medien führen Kampagnen
Allein, der Ehrenrettung der Leitmedien dient das alles nicht. Es waren und sind gerade die großen Zeitungen und Online-Portale, die sich von jeher mit Begeisterung auf jede vermeintliche oder tatsächliche Enthüllung gestürzt haben.
Geht man die Liste dieser manchmal mediengemachten, immer aber mediengetriebenen Skandale durch, sind es erstaunlich oft Frauen, die an den Pranger gestellt werden: Annette Schavan, Alice Weidel, Annalena Baerbock, Ulrike Guérot, Stefanie Stahl, Claudine Gay.
Arbeiten Frauen in Wissenschaft und Journalismus also nachlässiger? Oder ist es der besonders scharfe Blick auf ihre Arbeit, der den Unterschied macht? Auch diese Frage muss diskutiert werden.
Es ist in den letzten Tagen oft darauf hingewiesen worden, dass ein einheitlicher Umgang mit Plagiatsvorwürfen fehlt. Es gibt aber keine Ansätze, einen solchen Standard zu schaffen.
Politischer Plagiatskampf wird wieder eröffnet
In der Konsequenz heißt das: Wenn sich der Schock, die Betroffenheit und die Aufregung gelegt haben, wenn also Gras über die Causa Süddeutsche gewachsen ist, dann steht zu befürchten, dass Plagiate wieder zu einem Instrument der politischen Auseinandersetzung werden, was in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung verheerend ist.
Dann werden die Vorwürfe etwa im Fall einer in Ungnade gefallenen Politikwissenschaftlerin der Universität Bonn wieder genauso ungeprüft und unwidersprochen präsentiert wie im Fall der führenden AfD-Politikerin. Weil es politisch opportun erscheint. Der Deutsche Presserat kann hier eingreifen, aber er erweist sich einmal mehr als schwaches und möglicherweise interessengeleitetes Gremium.
Oft sind es nicht die Selbstkontrollgremien der Presse, die hier für Korrekturen sorgen, sondern Gerichte. Über ihre Entscheidung wird dann aber viel weniger berichtet.
Medienethik und Kampagnenjournalismus
Die Demut, mit der viele Medien nun den Fall der Kollegen aus der Redaktionsleitung der Süddeutschen kommentieren, die jetzt Ethos einfordern, lassen ihn selbst in vielen Fällen vermissen. "Das volle Programm der Ethik", fordert die den Grünen nahestehende taz nun von der Branche: "Was ist richtig und was ist falsch? Was ist vernünftig, was verhältnismäßig?"
Dabei waren es einige dieser Medien, die bei den beiden jüngsten Fällen von Kampagnenjournalismus federführend waren.
Da war die Kampagne gegen die Band Rammstein und ihren Frontmann Till Lindemann. Sie ging einher mit Forderungen, Auftritte zu verhindern, also ihre berufliche Existenz zu vernichten. Die Vorwürfe lösten sich in Schall und Rauch auf.
Einige der beteiligten Medien wurden allerdings im Nachhinein selbst juristisch zur Verantwortung gezogen. Aber das haben erneut viel weniger Leute mitbekommen, weil darüber viel weniger berichtet wurde.
Medien und Skandale: Alles dient zur Kampagne, egal was
Da ist die Kampagne gegen den Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger aus Bayern, dem, auf schwacher Faktenbasis, wenige Wochen vor der Landtagswahl im Freistaat ein Flugblatt vorgeworfen wurde, das er Jahrzehnte zuvor mit sich herumgetragen haben soll.
Da sind die Kampagnen auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemiepolitik, die sich gegen Experten aus verschiedenen wissenschaftlichen Bereichen wendeten, die übereilte und demokratisch nicht legitimierte Maßnahmen kritisieren.
In nicht wenigen Fällen hat sich diese Kritik im Nachhinein als richtig erwiesen. Kennen Sie ein Medium, das sich für die damalige Berichterstattung entschuldigt hat?
Ethik im gesellschaftlichen Umgang braucht mindestens zwei Seiten. Der Schock über die persönlichen Konsequenzen für eine Kollegin, die wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Fehler an den Pranger gestellt wurde, scheint in vielen Fällen eher dem Selbstschutz zu dienen.
"Redaktion und Verlag der Süddeutschen Zeitung stehen in engem Kontakt mit der Familie, um sie gegebenenfalls zu unterstützen", hieß es von der Süddeutschen Zeitung, nachdem die betroffene Kollegin von der Polizei gefunden und ins Krankenhaus eingeliefert worden war.
Das liest sich gut, wäre aber nicht nötig gewesen, wenn sich Redaktion und Verlag ohne Rücksicht auf mögliche negative Auswirkungen schützend vor die Frau gestellt hätten.
Etwas mehr Kategorischer Imperativ, etwas weniger klickbaitinggetriebener Regel-Utilitarismus – das wäre schon was.
Sofortige Hilfe finden Suizidgefährdete in Deutschland kostenfrei und rund um die Uhr per Telefon unter 0800 / 111 0 111, 0800 / 111 0 222 oder 116 123 per Mail und Chat unter online.telefonseelsorge.de In Österreich finden Sie ebenfalls kostenfrei und 24 Stunden täglich Hilfe unter 142 (Notruf) oder https://www.gesundheit.gv.at/leben/suizidpraevention.html.
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