Polens unmoralischen Moralisten
Die polnische Regierung kommt wegen der "Glücksspielaffäre" ins Straucheln, die von der Zentralen Antikorruptionsbehörde vermutlich aus politischen Gründen ausgelöst wurde
Seit fast zwei Wochen diskutiert Polen über die so genannte "Glücksspielaffäre", deren Ende bisher nicht in Sicht ist und von der man bisher auch nicht weiß, ob dies tatsächlich der schlimmste Korruptionsskandal seit sieben Jahren ist. Fakt ist jedoch, dass es auch innerhalb der sich bisher als integer gebender Regierungspartei Bürgerplattform Politiker gibt, denen das eigene Wohl näher ist als das des Landes. Unbestreitbar ist aber auch, dass diese Affäre ein Skandal auf Bestellung ist. Das Zentrale Anti-Korruptionsbüro löste diesen Skandal aus, um Einfluss auf die im nächsten Jahr anstehenden Präsidentschaftswahlen zu nehmen. Die Leitung der Behörde steht politisch dem jetzigen Präsidenten Lech Kaczynski nahe. Die Auswirkungen des Skandals bekommt sein wahrscheinlicher Gegner, Premierminister Tusk bereits zu spüren. Innerhalb der PO wird diskutiert, ob Tusk tatsächlich der geeignete Präsidentschaftskandidat ist.
Aus seiner Wut machte Polens Premierminister Donald Tusk keinen Hehl, als er vorletzten Freitag aus dem Belvedere trat. "Das ist der Beginn des Präsidentschaftswahlkampfs" schimpfte Tusk, der sich nicht einmal bemühte, seinen Zorn vor dem Sitz des polnischen Präsidenten zu bändigen. "Ich habe den Präsidenten darauf hingewiesen, dass er sich damit noch einige Monate gedulden muss", sagte der Premier mit ziemlich wütender Stimme und zeichnete damit der polnischen Öffentlichkeit ein neues Bild von sich. Bisher pflegte Tusk eher das Image eines besonnen Politikers.
Dementsprechend sind auch die Kommentare zu Tusks Auftritt vor dem Präsidentenpalais ausgefallen. "Man erkennt, dass diese Angelegenheit Donald Tusk ganz schön mitgenommen und sein Nervenkostüm ziemlich angegriffen hat", lästerte Jerzy Smajdzinski, Vize-Sejmmarschall und Politiker des postkommunistischen Bündnisses der Demokratischen Linken (SLD), danach auf einer Pressekonferenz. Dabei müsste Smajdzinski zumindest etwas Verständnis für seinen politischen Konkurrenten haben. Denn die "Angelegenheit", von der der SLD-Politiker spricht und Anlass für das vorzeitig beendete Treffen beim polnischen Präsidenten war, ist die so genannte "Glücksspiel-Affäre". Sie stellt für Donald Tusk nicht nur die bisher größte innenpolitische Herausforderung dar, sie wird auch von den meisten konservativen Politikern und Kommentatoren mit der Rywin-Affäre verglichen. Und von diesem 2002 ausgebrochenen Korruptionsskandal hat sich die damals regierende SLD bis heute nicht erholt. Seit den Parlamentswahlen 2005 dümpelt die linke Partei, die 2001 noch mit 41 Prozent der Stimmen klar den Urnengang für sich entschieden hat, bei ungefähr 10 Prozent herum.
Dieses Schicksal wollen Tusk und seine liberale Bürgerplattform (PO) bei den im nächsten Jahr anstehenden Präsidentschaftswahlen, bei denen Tusk gegen Lech Kaczynski antreten möchte, sowie den Parlamentswahlen 2011 unbedingt vermeiden. Die "Glücksspiel-Affäre" brisant und undurchsichtig genug, um Tusk und seiner Partei Schaden zuzufügen.
Korrupte Politiker der Regierungspartei
Seit mehr als einem Jahr arbeitet die Regierungskoalition aus PO und der Bauernpartei PSL an einem neuen Gesetz, das die Besteuerung von Glücksspiel neu regeln soll. Mit dem dadurch gewonnenen Geld, rund 110 Millionen Euro, soll nach den Plänen der Regierung der Ausbau der Infrastruktur für die gemeinsam mit der Ukraine 2012 ausgetragene Fußball-Europameisterschaft finanziert werden.
Wie jedoch nicht anders zu erwarten, stießen diese Pläne bei den Betreibern von Spielhallen und Casinos, deren Einnahmen jährlich wachsen, von Anfang an auf großen Widerstand. Doch während der gewöhnliche Bürger Steuererhöhungen hinnehmen muss, ließen die Casinobetreiber ihre erstaunlich guten Verbindungen nach ganz oben spielen. Wie die Tageszeitung Rzeczpospolita am 1. Oktober mit der Veröffentlichung von Protokollen abgehörter Telefonate publik machte, versuchten ausgerechnet der PO-Fraktionsvorsitzende Zbigniew Chlebowski und der Sportminister Miroslaw Drzewiecki das neue Steuergesetz zu verhindern.
Den beiden Spitzenpolitikern ist dies allerdings nicht gelungen. An dem neuen Abgabegesetz für Glücksspielanbieter wird bis heute gearbeitet. Doch die von der Rzeczpospolita veröffentlichten Abhörprotokolle sind voller Brisanz und lösten nicht ohne Grund die schwerste innenpolitische Krise seit Sommer 2007 aus, als die damals bestehende Regierung von Jaroslaw Kaczynski wegen, wie die Rzeszower Staatsanwaltschaft mittlerweile glaubt, eines inszenierten Korruptionsskandals zerbrach (Polen: Das Ende einer formellen Koalition). Denn die von der Tageszeitung an mehreren Tagen veröffentlichten Abhörprotokolle belegen nicht nur, dass die beiden Politiker enge Kontakte zu den Casinobetreibern Ryszard Sobiesiak und Jan Kosek unterhielten und auf deren Betreiben das neue Steuergesetz kolportierten. Wie die Rzeczpospolita ebenfalls herausfand, versuchten die beiden "Biznesmeny" mit Hilfe der zwei Politiker den Vize-Finanzminister Jacek Kapica, den Autor des Steuergesetzes, durch einen fingierten Skandal zu diskreditieren.
Für ihre Dienste wiederum ließen sich Chlebowski und Drzewiecki mit kostenlosen Wellnessurlauben und anderen Annehmlichkeiten entlohnen. Für die Annehmlichkeiten waren angeblich auch andere PO-Politiker zugänglich, wie die Rzeczpospolita herausfand. Von ihnen profitierte auch die gesamte Partei. Nach Angaben der Zeitung sollen Sobiesiak und Kosek der PO nicht unbeträchtliche Summen gespendet haben.
Premierminister reagiert mit Entlassungen und Versetzungen
Die Veröffentlichungen lieferten den politischen Gegnern von Donald Tusk Munition. So forderte Staatspräsident Lech Kaczynski bei dem bereits erwähnten Treffen im Belvedere am 2. Oktober die sofortige Verhaftung der in den Skandal verwickelten Personen. Und auch von Donald Tusk verlangten einige Gegner Konsequenzen, die auch folgten, aber nicht den Premierminister betrafen, wie es sich manche Politiker der größten Oppositionspartei wünschten, sondern die Tusk innerhalb der Bürgerplattform und seiner Regierung zog. Noch am 2. Oktober wurde Zbigniew Chlebowski von seinem Amt als PO-Fraktionschef suspendiert. Drei Tage später trat Sportminister Miroslaw Drzewiecki von seinem Amt zurück.
Die größten personellen Veränderungen gab Tusk jedoch am vergangenen Mittwoch bekannt. Mit Justizminister Andrzej Czuma, Innenminister Grzegorz Schetyna, einem engen Vertrauten Tusks und seinem möglichen Nachfolger im Amt des Premierministers, der nun neuer Fraktionsvorsitzender werden soll, sowie dem Vize-Wirtschaftsminister Adam Szejnfeld, mussten gleich drei Regierungsmitglieder zurücktreten. Und Veränderungen gab es auch in der Kanzlei des Premierministers. Mit Regierungssprecher Pawel Gras, dem Kabinettschef Slawomir Nowak und seinem Berater Rafal Grupinski verloren gleich drei weitere wichtige PO-Politiker ihre Positionen.
Inwieweit diese Entlassungen mit der Verwicklung der betroffenen Personen in die "Glückspiel-Affäre" zusammenhängen, ist jedoch unklar. Noch vor einer Woche erklärte Tusk auf einer einstündigen Pressekonferenz, dass er mit der Versetzung von Schetyna, Nowak, Gras und Grupinski seine besten Leute ins Parlament schickt, damit diese "den Krieg gegen die PiS" aufnehmen, die mit "Hilfe des Zentralen Antikorruptionsbüros die Regierung und die Bürgerplattform angreifen möchte."
Die Machenschaften des Zentralen Antikorruptionsbüros
Und tatsächlich scheint Donald Tusk mit dieser Behauptung nicht falsch zu liegen. Die Anti-Korruptionsbehörde CBA, an deren Spitze bisher der PiS-Mann Mariusz Kaminski stand, geriet in den vergangenen Jahren schon öfters in den Verdacht, mit ihren Aktionen und medienwirksamen Verhaftungen mehr die Interessen der nationalkonservativen Recht und Gerechtigkeit zu verfolgen als die des polnischen Staates (Achtung, Geheimdienste außer Kontrolle!). Bestes Beispiel dafür sind die Korruptionsvorwürfe gegen die ehemalige PO-Abgeordnete Beata Sawicka, die der CBA wenige Tage vor den Parlamentswahlen 2007, als die Umfragen Tusk und seiner PO einen deutlichen Sieg vorhersagten, auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz erhob. Der Fall beschäftigt noch heute die polnische Justiz.
Und auch in der "Glücksspiel-Affäre" gibt es einige Hinweise darauf, dass die aktuellen Aktionen der CBA schon den vorzeitigen Beginn der anstehenden Präsidentschaftswahlen sowie der Parlamentswahlen in zwei Jahren einläuten sollen. So ist es mehr als verwunderlich, dass die Abhörprotokolle des Anti-Korruptionsbüros, obwohl die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind, an die Presse gelangten und ausgerechnet von einer Zeitung veröffentlicht wurden, deren leitende Redakteure keinen Hehl aus ihrer Sympathie für die Kaczynski-Partei Recht und Gerechtigkeit machen.
Ebenso fraglich ist aber auch die Informationspolitik des CBA gegenüber dem Premierminister. Mitte August teilte CBA-Direktor Kaminski dem Regierungschef in einem persönlichen Gespräch mit, dass Zbigniew Chlebowski und Miroslaw Drzewiecki mit ihrem Handeln dem polnischen Staat bewusst Schaden zufügen wollen und deswegen gegen die beiden ermittelt wird. Eine Information, die für Tusk eine Falle bedeutete. Hätte Tusk die beiden Politiker auf das Thema angesprochen oder es gar publik gemacht, hätte er eine staatliche Geheimaktion verraten und sich dadurch strafbar gemacht. Gleichzeitig hätte man ihm aber auch vorwerfen können, dass er trotz der Informationen des CBA keine Schritte gegen die verdächtigen Politiker unternommen hat. Dieser Vorwurf wird nun tatsächlich gegen ihn erhoben. Und nicht nur das. Weil Chlebowski und Drzewiecki ihren Freunden aus der Glückspielbranche vor einigen Wochen mitgeteilt haben, "dass da irgendetwas nicht stimmt" und sie deswegen ihre Bemühungen beenden müssen, dies geht jedenfalls aus den publizierten Abhörprotokollen hervor, wird Tusk verdächtigt, die beiden Parteifreunde gewarnt zu haben.
So ist es nicht verwunderlich, dass Tusk in den letzten Tagen nicht nur innerhalb seiner Mannschaft aufgeräumt hat, sondern auch an der Spitze des Zentralen Anti-Korruptionsbüros. Neben einigen Ministern verlor vergangene Woche auch Mariusz Kaminski seinen Posten als Direktor des CBA. Das führte in Warschau zu einer Verschärfung der politischen Situation. Denn der Direktor des Anti-Korruptionsbüros kann vom Premierminister nur mit der Zustimmung des parlamentarischen Ausschusses für die Spezialdienste sowie des Kollegiums für die Spezialdienste entlassen werden. Zusätzlich muss der Premier die Meinung des Präsidenten einholen.
Da die Staatsanwaltschaft in Rzeszow momentan Mariusz Kaminski vorwirft, bei den 2007 erhobenen Korruptionsvorwürfen gegen den damaligen Vize-Premier und Landwirtschaftsminister Andrzej Lepper Dokumente gefälscht zu haben, stimmten der parlamentarische Ausschusses und das Kollegium der Entlassung sofort zu, weshalb am Dienstag Marius Kaminski offiziell entlassen wurde.
Die Entscheidung wurde von der nationalkonservativen PiS heftig kritisiert. Verfassungsbruch wurde Tusk von dem PiS-Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski vorgeworfen, da er nicht die Meinung des Präsidenten abgewartet habe. Andere Politiker der nationalkonservativen Partei drohten Tusk sogar mit einem Staatstribunal. Und Kritik an der Entlassung Kaminskis gibt es natürlich auch aus dem Präsidentenpalast. In einer am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme bezeichnet Lech Kaczynski die Entlassung Kaminskis als unbegründet und mit der Gesetzgebung, die eine vierjährige Amtszeit des CBA-Direktors vorsieht, unvereinbar.
Mit ihrer Kritik stehen der Präsident und die nationalkonservative Partei jedoch ziemlich alleine da. Die Mehrheit der Polen betrachtete das Treiben des Zentralen Antikorruptionsbüros eher mit Skepsis, da es einfach in zu viele Skandale verwickelt war. Und auch die Ereignisse in den letzten Tagen haben nicht zum positiven Renommee der Behörde beigetragen. Am Wochenende erhob das CBA an die Regierung gerichtete Korruptionsvorwürfe im Fall der misslungenen Werftenprivatisierungen in Stettin und Gdingen. Und trotz angeblich belastender Dokumente, die diesmal dem konservativen Wochenmagazin Wprost zugespielt wurden, erwiesen sich diese innerhalb weniger Stunden als haltlos.
Für die Zustimmung zur Abberufung des CBA-Direktors sind aber auch die Aktivitäten eines anderen Spezialdienstes verantwortlich. Wie am Donnerstag bekannt wurde, wirft die Lodzer Staatsanwaltschaft dem ehemaligen Chef des Inlandsgeheimdienstes ABW Witold Marczuk vor, für den Tod der SLD-Politikerin Barbara Blida mitverantwortlich zu sein. Im April 2007 beging die ehemalige Bauministerin während einer Hausdurchsuchung durch den ABW Selbstmord. Ein Fall, der Polen erschütterte und mit dem sich seit fast zwei Jahren eine parlamentarische Untersuchungskommission befasst. Und diese kommt immer mehr zu der Erkenntnis, dass Blida Opfer politischer Intrigen der damaligen PiS-Regierung wurde.
Schwächung von Tusk und seiner Partei
Die politisch motivierten Aktivitäten der beiden Geheimdienste bedeuten für Donald Tusk jedoch nicht, dass er unbeschadet aus der aktuellen Glücksspiel-Affäre, mit der sich demnächst eine parlamentarische Untersuchungskommission beschäftigen wird, davonkommt. Denn die Affäre zeigt, dass die Bürgerplattform, die sich bisher als vollkommen integer gegeben hat, auch korrupte Politiker in ihren Reihen hat. Und auch wenn Tusk in den letzten Tagen immer wieder auch an seine Parteifreunde appelliert hat, den Verlockungen der Korruption nicht zu erliegen und mit den Korrupten selbst hart ins Gericht zu gehen, lastet jetzt ein Makel auf seiner bisher weißen Weste. Auch deshalb, weil Grzegorz Schetyna, den er zum Fraktionsvorsitzenden machte, anscheinend auch engen Kontakt zu den Casinobetreibern hatte, wie in dieser Woche bekannt wurde.
Und diese negativen Nachrichten haben schon die ersten Auswirkungen. Auch wenn die Ergebnisse der aktuellen Umfragen sich teilweise deutlich voneinander unterscheiden, ist dennoch ersichtlich, dass die Zustimmung für Tusk und seine Partei abnimmt. Mit für Tusk erheblichen Folgen. In seiner Partei wird immer lauter darüber diskutiert, ob der Premierminister und Parteivorsitzende nicht besser auf seine Kandidatur bei den im nächsten Jahr anstehenden Präsidentschaftswahlen verzichten sollte.
"Wenn er seine Meinung nicht ändert und auf Kosten der Bürgerplattform weiterhin auf seine Präsidentschaftskandidatur besteht, dann wird er nicht nur die Wahlen, sondern alles verlieren", schrieb am Dienstag Janusz Palikot, das enfant terrible der polnischen Politik und Parteifreund von Donald Tusk, in seinem Blog. Und einen möglichen Alternativkandidaten haben manche PO-Politiker bereits ausgemacht. Anstatt Tusk wird EU-Parlamentspräsident Jerzy Buzek als ein möglicher Präsidentschaftskandidat gehandelt, auch wenn dieser dies bisher ablehnt.