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Polens vergangenheitslastige Ostpolitik

Der polnische Staatspräsident Andrzej Duda am 13. Dezember zu Besuch bei seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko. Bild: Presidential Administration of Ukraine/CC BY-SA-4.0

Polen galt einst als "erster Anwalt der Ukraine" bei deren Anbindung an den Westen, doch dies hat sich unter der Regierung der nationalkonservativen PiS geändert

Das Verhältnis zwischen Polen und der Ukraine gilt als angespannt. Dies änderte auch ein Treffen [1] in der vergangenen Woche zwischen dem polnischen Staatspräsident Andrzej Duda und seinem Amtskollegen Petro Poroschenko im ukrainischen Charkiw nicht grundlegend.

Polen galt einst als "erster Anwalt der Ukraine" in Sachen Anbindung an den Westen, doch dies hat sich unter der Regierung der nationalkonservativen "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) geändert. Hier ist das Verhältnis zu den Nachbarländern von der Last der Vergangenheit bestimmt. Der polnische Außenminister Witold Waszczykowski hatte im Vorfeld sogar von der Reise abgeraten, da von der ukrainischen Seite zu wenig für die Versöhnung getan werde.

Seit April hat die Ukraine dem polnischen "Institut für Nationales Gedenken" [2] die Exhumierung polnischer Toten der Konflikte des 20. Jahrhunderts verboten. Der Grund: Polen hatte auf seinem Territorium ein Denkmal der "Ukrainischen Aufständischen Armee" (UPA) [3] abgerissen und sich zu wenig von Angriffen auf ukrainische Gräber distanziert [4].

Duda verlangte darum bei seinem Aufenthalt, bei dem er am Mahnmal für die Opfer des sowjetischen Geheimdiensts NKWD einen Kranz niederlegte, die Aufhebung des Exhumierungsverbots. Polen stört sich vor allem an der Verehrung Stephan Banderas in der Ukraine, dem Gründer der UPA, welche die Massaker [5] an der polnischen Landbevölkerung während des Zweiten Weltkriegs in der westlichen Ukraine anrichtete. Das polnische Außenministerium hat darum eine Liste mit unerwünschten "antipolnischen Ukrainern" erstellt, darunter Beamte und Politiker, die mit einem Einreiseverbot nach Polen behaftet sind.

In der Ukraine gilt die UPA als Symbol des antisowjetischen Widerstands und ist angesichts der Annexion der Krim und den Kämpfen um die abtrünnigen Gebiete im Osten des Landes wieder identitätsstiftend.

Petro Poroschenko stellte [6] zwar die Aufhebung des Exhumierungsverbots in Aussicht, aber formulierte den Wunsch nach einer weniger geschichtslastigen Politik und mahnte an, dass ein Streit beider Länder vor allem Russland nutze.

Nationalistische Tendenzen in Polen und der Ukraine

Doch vielleicht ist die aktuelle Dissonanz der Preis, den die Staatsoberhäupter gegenüber nationalistischen Tendenzen in der jeweils eigenen Heimat zu zahlen haben (wobei Duda weit weniger Spielraum hat, da sich in die Außenpolitik das entsprechende Ministerium sowie der Parteichef Jaroslaw Kaczynski einmischen).

Petro Poroschenko, der derzeit von Michail Saakaschwili, dem ehemaligen Gouverneur Odessas, und seinen Anhängern drangsaliert wird (Ukrainische Regierung gegen Saakaschwili [7], muss auf die nationalistischen Kräfte im Lande Rücksicht nehmen, die nicht bereit sind, das Erbe der UPA in Frage zu stellen. Kurz vor dem Besuch Dudas wurde ein Bus polnischer Lokalpolitiker mit einem Granatwerfer beschossen, der leer auf einem Parkplatz stand.

Auch Polen kann nicht von seiner Geschichtspolitik abrücken. Der Film "Wolyn" [8], der die Massaker der Ukrainer (aber auch Gewalttaten der Polen) drastisch zeigt, hat das Thema wieder in die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gerückt. Die Nationalkonservativen lassen gegenüber den nationalistischen Strömungen Milde walten und überließen ihnen und ihren Parolen am Unabhängigkeitstag im November die Hauptstadt.

Gleichzeitig stehen im nächsten Jahr in Polen die Feierlichkeiten zu 100 Jahren der Unabhängigkeitserklärung an, bei denen die Vergangenheit und die Zweite Polnische Republik mit ihren ehemaligen Ostgebieten die Gegenwart dominieren werden. Schon für die neuen Pässe wurde geplant [9], Motive aus den alten Ostgebieten, die heute in der Ukraine und Litauen liegen, zu verwenden. Zu dem aktuellen Konflikt mit den prorussischen Rebellen in den abtrünnigen Gebieten im Südosten des Landes sagte Duda nicht viel, ein Besuch nahe der Front, wie dies polnische Medienberichte meldeten, fand doch nicht statt.

Einigkeit gegen Russland

Konkreter wurde es bezüglich des noch nicht genehmigten russischen Gaspipelineprojekts Nordstream 2, einer zweiten Pipeline von Russland nach Deutschland. Ukraine würde durch die "Umleitung" jährlich drei Milliarden US-Dollar Transitgebühren verlieren, da die Leitungen durch ihr Territorium nicht mehr benötigt werden. Andrzej Duda schlug [10] vor, Flüssiggas an die Ukraine zu liefern. Polen besitzt seit Ende 2015 einen eigenen LNG-Hafen in Swinemünde (Świnoujście). Kürzlich hat die Raffinerie Lotos einen Vertrag mit den USA über fünf Schifflieferungen abgeschlossen [11].

Doch ob der Zusammenhalt gegen Russland Bestand hat, bleibt offen. Aus dem Außenministerium in Warschau sind andere Töne zu hören: "Die Ukraine braucht Polen, Polen kommt ohne die Ukraine prima zurecht." Dieser Spruch von Jan Parys, dem Sprecher des polnischen Außenministeriums, sorgte am 10. Dezember für einen großen Widerhall auch in den russischen Medien.

Parys betonte auch, dass die Ukraine besseren diplomatischen Beziehungen mit Russland im Weg stehe. Der Spruch ist eine Gegenthese zu Donald Tusks Theorie, eine demokratische und sichere Ukraine sei auch für die Sicherheit Polens notwendig. Der ehemalige Premier Polens und aktuelle Präsident des europäischen Rates gilt den Nationalkonservativen als Erzfeind.

Unter der Regierung der Bürgerplattform (2007-2014) wirkte Polen als Mittler und Anwalt für die Westanbindung des Landes. Staatspräsident Aleksander Kwasniewski spielte 2004 bei der Orangenen Revolution eine entscheidende Rolle, als er nach dem angezweifelten Sieg von Wiktor Janukowitsch zwischen ihm und dem Gegenkandidaten Wiktor Juschtschenko vermittelte und so vermutlich eine Eskalation verhinderte [12].

Von dieser Mittlerrolle des linken Politikers Kwasniewski war auch der Nationalkonservative Lech Kaczynski begeistert, der sonst auf die Abrechnung mit ehemaligen Kommunisten pocht. Der damalige Staatspräsident versuchte diese Mittlerrolle 2008 im Konflikt Georgiens mit Russland zu übernehmen.

Als Versuch von polnischer Seite, die Ukraine und andere postsowjetische Republiken an die EU anzunähern, gilt die "Östliche Partnerschaft", offiziell angedacht um die dortigen Zivilgesellschaften zu stärke, die nun angesichts der Konflikte in der Ukraine eine eher untergeordnete Rolle spielt. Ihr letzter Gipfel im November wurde kaum beachtet.


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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.president.pl/en/news/art,631,president-andrzej-duda-visits-ukraine.html
[2] http://www.ipn.gov.pl/en
[3] http://de.wikipedia.org/wiki/Ukrainische_Aufst%C3%A4ndische_Armee
[4] http://www.thenews.pl/1/10/Artykul/332221,Ukraine-blocking-search-for-Polish-victims-of-wartime-crimes-expert
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Massaker_in_Wolhynien_und_Ostgalizien
[6] http://www.digitaljournal.com/news/world/ukraine-poland-in-effort-to-defuse-historical-dispute/article/509907
[7] https://www.heise.de/tp/features/Ukrainische-Regierung-gegen-Saakaschwili-3911175.html
[8] https://en.wikipedia.org/wiki/Volhynia_(film)
[9] http://wiadomosci.gazeta.pl/wiadomosci/7,114871,22186686,zdjecia-wilna-i-lwowa-w-polskich-paszportach-litwa-wzywa-ambasadora.html
[10] http://www.rp.pl/Energianews/312149923-Polsko-ukrainskie-gazowe-wespol-w-zespol.html
[11] http://www.reuters.com/article/us-lotos-supplies/polands-lotos-to-take-at-least-five-oil-shipments-from-u-s-in-2018-idUSKBN1E71TP
[12] http://www.spiegel.de/international/europe/spiegel-interview-with-aleksander-kwasniewski-on-ukraine-talks-a-937964.html