Politik am Bürger vorbei
Umfrage: Drei Viertel der Deutschen hält Parteien für realitätsfremd
"Sind politische Parteien Realitätsfremd?" Diese Frage stellte das Meinungsforschungsinstitut Emnid im Auftrag des Fernsehsenders N24. Dabei kam heraus: 42 Prozent der Deutschen antworteten auf die Frage mit: "Ja, stark". Und 32 Prozent der Bevölkerung gehen davon aus, dass Parteien sogar "sehr stark" fern der Lebenswirklichkeit sind.
Der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer geht davon aus, dass die Bürger die Politik für realitätsfern hält, weil die "parteiinterne Kommunikation" nicht mehr funktioniere. "Bestimmte Gruppen werden nicht mehr vertreten", so komme nur noch "ein kleiner Ausschnitt der Wirklichkeit an der Spitze an", sagte Neugebauer gegenüber der Welt.
Der Politikwissenschaftler Jürgen Falter hebt zwar hervor, dass Politikverdrossenheit schon immer in der Bevölkerung vorhanden gewesen sei, "in dieser Höhe", so Falter, "hat das jedoch eine neue Qualität." Ein Grund für die Verärgerung der Bevölkerung über die Politik liegt nach Worten von Falter darin, dass die Parteien zu Zeiten des Wahlkampfs so tun, als könnten sie nach der Wahl alleine regieren. In der Realität müssen sie dann aber Kompromisse eingehen. "Da fühlt sich der Bürger verschaukelt."
Bei der repräsentativen Umfrage, für die Emnid 1000 Wahlberechtigte befragte, ging es auch darum zu erfahren, ob die Menschen in Deutschland die Lebensverhältnisse für "gerecht" halten. Laut Welt.de halten 6 von 10 Deutschen die gesellschaftlichen Verhältnisse für insgesamt ungerecht. Einen Unterschied gibt es aber zwischen Anhängern der CDU/CSU und der SPD. Bei den Anhängern der Unionsfraktion gehen 58 Prozent der Befragten davon aus, dass die Lebensverhältnisse in Deutschland gerecht sind, während es bei den Anhängern der Sozialdemokraten 45 Prozent sind.
Ungerechtigkeit sehen die Teilnehmer der Umfrage vor allem beim Thema Steuern. 7 von 10 Deutschen gehen davon aus, dass die Abgabenlast nicht fair verteilt ist. Auch im Hinblick auf die Gestaltungsmöglichkeit der Bürger auf die Politik herrscht Frustration. Fast die Hälfte (47 Prozent) der Bevölkerung glaubt, dass sie keinen Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen vermag.
Emnid befragte die Deutschen auch zu den Medien. Demnach gehen Zweidrittel der Bevölkerung davon aus, dass Medien die Sorgen und Nöten der Bevölkerung nicht zur Genüge aufgreifen.
Eine vor kurzem im Hinblick auf das politische Klima in Deutschland durchgeführte Umfrage des Meinungsforschungsinstitut Allensbach, verweist ebenfalls auf eine starke Unzufriedenheit in der Bevölkerung. "Die Hälfte der Deutschen denkt verächtlich über Politiker... ", heißt es einem Artikel auf faz.net.
Zu einer erstaunlich einfachen Erklärung für das angeschlagene Verhältnis zwischen Volk und Politikern gelangt der Kommunikationswissenschaftler Thomas Petersen: Die Deutschen hätten "das Prinzip der repräsentativen Demokratie nicht verstanden". Petersen schreibt, ein wesentliches Element des populistischen Weltbildes sei die Vorstellung, Politik müsste genau das umsetzen, was das Volk wolle. Die Allensbach-Umfrage belege, dass diese Vorstellung aufseiten der deutschen Bevölkerung weit verbreitet sei.
Bei der Umfrage zeigte man den Teilnehmern ein Blatt Papier auf dem zwei Personen bei einem Dialog abgebildet waren. Die eine Person sagte: "Ich finde, ein Politiker kann auch mal gegen den Willen der Mehrheit des Volkes entscheiden. Schließlich wurde er gewählt, dass er Verantwortung übernimmt und stellvertretend für das Volk entscheidet." Die andere Person argumentierte: "Ich erwarte von einem Politiker, dass er sich so entscheidet, wie die Mehrheit des Volkes entscheiden würde. Schließlich wurde er deswegen gewählt." Die Umfrageteilnehmer sollten die Frage beantworten, welcher dieser beiden Argumentationen sie zustimmen würde. Heraus kam: 60 Prozent der Befragten finden, Politiker sollen sich so entscheiden, wie es das Volk möchte. Bei den Anhängern der AfD seien es 85 Prozent, die so dachten.