Politik ist Privatsache

Im Gespräch mit Manu Chao

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Am ersten Oktober ging die Europa-Tournee von Manu Chao und seiner derzeitigen Band Radio Bemba zu Ende. Miriam Lang traf den Musiker in Berlin und sprach mit ihm über den Widerstand gegen die Globalisierung, seine neue Platte und Strategien gegen den Ruhm.

Genua, am 18.Juli: Der Piazzale Kennedy tanzt sich in Extase. Zehntausende sind gekommen, um Manu Chao und Radio Bemba zu hören, die am Vorabend der Demonstrationen gegen den G8-Gipfel ein Solidaritätskonzert geben. An diesem Abend geben die Rhythmen des ehemaligen Sängers von Mano Negra den GlobalisierungsgegnerInnen das sichere Gefühl, schon gewonnen zu haben gegen die acht Regierungschefs, die sich in der Roten Zone verbarrikadiert haben und aus Angst vor Protestierern auf Schiffen im offenem Meer übernachten.

Das gigantische Konzert, erzählt der Musiker später, wurde in wenigen Tagen spontan aus dem Boden gestampft, gemeinsam mit Leuten vom Genoa Social Forum, dem breiten Bündnis, das die Proteste trug, und Leuten aus besetzten Häusern. Er ist zufrieden: "Es ist viel Geld hereingekommen für Prozesskosten. Geld, das jetzt dringend gebraucht wird". Außer finanziell und durch Musik hat er die Proteste auch noch auf andere, originellere Weise unterstützt: An der Clandestino-Bar, einem Stand direkt am zentralen Treffpunkt der Protestierer, konnten DemonstrantInnen sich drei Tage lang kostenlos mit belegten Brötchen, Wasser und Äpfeln versorgen.

Manu Chao liebt Überraschungsauftritte. Große, wie in Genua, aber auch kleine, wo er in den Gemeinschaftsräumen von besetzten Häusern mit seiner Band akustisch spielt. "Ohne Verstärkung kommt die Musik erst richtig zur Geltung", meint er. Überhaupt ist Spontaneität eines seiner meist umkämpften Luxusgüter. Er setzt sie auch als Waffe ein, gegen die Fragen von JournalistInnen und gegen die Vermarktung und Verplanung seiner Person: Was er nach seiner Europa-Tournee vorhat, weiß er nicht. Wann er seine nächste Platte macht, weiß er nicht. Ob ihn, wie gerüchteweise kolportiert wird, seine nächste Tournee nach Afrika führen wird, weiß er nicht. Vielleicht.

Jedenfalls wird er dafür kein Geld von der französischen Regierung annehmen. Die hatte ihm welches angeboten für eine Tournee, die er gemeinsam mit einer französischen Freundin bereits durchgeplant hatte, als diese ihm als Lektüre zur Einstimmung noch ein Buch empfahl: "La Francafrique", von Francois-Xavier Verschave. Ein aktuelles Buch über die kriminellen Machenschaften der französischen Regierung im postkolonialen Afrika. Er hat es gelesen, und alles sofort abgesagt, die Tournee und auch das Geld: "Dieses Geld stinkt".

Der Mann, der mit seinen vierzig Jahren und seinen Millionen verkauften Schallplatten immer noch unsicher und etwas jungenhaft wirkt, ist von seinen Fans mit allen möglichen Ehrentiteln belegt worden. Im spanischsprachigen Web wird er gar als "neuer Messias" oder "Neuer Mensch" im Sinne von Che Guevaras Vision tituliert. Derartige Erwartungen verursachen ihm vor allem Gänsehaut. Auch Symbol oder künstlerischer Ausdruck der Anti-Globalisierungsbewegung will er auf keinen Fall sein:

"Die einzigen, die so etwas behaupten, sind die Medien. Die Leute sagen das nicht. Ich will diese Verantwortung nicht. Nicht nur weil es schwer ist, damit umzugehen. Ich habe einfach nicht die Verantwortung, das Symbol von irgendetwas zu sein. Es ist die Presse, die immer Führungsfiguren braucht. Ich denke aber, dass es für alles, was derzeit geschieht, gerade wichtig ist, dass es keine Führungsfiguren gibt. Wenn wir mit Führung anfangen, geht das in die ganz falsche Richtung. Die einzigen, die etwas anführen, das habe ich in Genua und auch danach immer wieder betont, sind die Menschenmassen."

Auch seine zweite Solo-Platte vom Frühjahr, Próxima Estación Esperanza, ist ein Statement in diese Richtung. Er habe bewusst die politischen Inhalte herausgelassen, nachdem Clandestino, das erste Album, unter anderem wegen des Titelsongs vor allem in Lateinamerika als hoch politisierte Protesthymne rezipiert worden war. Clandestinos, das sind illegale Einwanderer, die wie in den Lyrics beschrieben, von den sogenannten coyotes, also Schleusern, heimlich und unter Lebensgefahr über die US-Grenze gebracht werden. "Bei dem neuen Album war es wichtig für mich, meine Musik von meinen politischen Ideen zu trennen, weil politische Ansichten und Rebellentum ein sehr mächtiges Marketing-Instrument sind. Deshalb will ich die Dinge auseinanderhalten. Wenn die Leute meine Musik kaufen, sollen sie das wegen der Musik tun. Ich habe keine Probleme damit, mit meiner Musik Geld zu verdienen, das ist eben mein Beruf. Aber mit politischen Meinungen Geld verdienen ist schon etwas ganz anderes, oder?"

Ansonsten scheint ihn Próxima Estación Esperanza, die streckenweise wie ein zweiter Aufguss des ersten Solo-Albums klingt, nicht sonderlich zu interessieren - auch wenn in einem Monat so viele Exemplare davon über die Ladentische gingen wie in drei Jahren Clandestino: "Clandestino war ein Selbstläufer. Wenn du dann eine Platte nachschiebst, weißt du schon, daß sie sich auf Grund der Gesetze des Marktes von selbst verkaufen wird, auch wenn es wirklich Mist ist." Dass er da Mist produziert habe, will er damit selbstverständlich nicht gesagt haben - das Urteil bleibt den HörerInnen überlassen. Jedenfalls waren nur wenige Titel aus dem neuen Album im Tournee-Programm enthalten. Da heizte die Band dem Publikum lieber mit alten Mano Negra-Titeln und allen möglichen schnellen Ska-Kreationen ein - mit unweigerlichem Stimmungserfolg.

Trotzdem er behauptet, ursprünglich auch mit Clandestino kein politisches Statement beabsichtigt zu haben, wird der in Frankreich aufgewachsene Galizier gesprächig, wenn's um das Titelthema Einwanderung geht:

"Als die Berliner Mauer fiel, was das für viele ein wunderbarer Erfolg. Aber jetzt steht da eine andere, sogar noch undurchlässigere Mauer rund um Europa. Es ist genau dasselbe. Heute sterben zwischen Ceuta und Gibraltar täglich mehr Leute als in den ganzen 40 Jahren an der Berliner Mauer. Die Mauer ist also noch da, sie steht nur nicht am selben Ort, sie trennt nicht Ost und West, sondern Süden und Norden, aber es gibt eine sehr große Mauer. Da wird sehr falsch gespielt. Die europäischen Regierungen sagen, sie wollen keine illegale Einwanderung, aber ich denke, im Grunde wollen sie Menschen ohne Papiere. Wenn sie ihnen Papiere geben würden, müßten sie sie ordentlich bezahlen. Illegalisierte dagegen können sie sie wie Sklaven benutzen. Die gesamte spanische Landwirtschaft basiert auf der Arbeit von Afrikanern ohne Papiere."

Seine Ansichten sind klar und einfach verpackt. Im Grunde seines Herzens wirkt er selbst wie ein Hausbesetzer, und es verwundert nicht, dass er sich immer noch gerne mit seiner Gitarre auf die Straße stellt und ein bisschen Musik macht. Es soll schon vorgekommen sein, daß ihm jemand eine Münze hinwirft und sagt: "Du spielst gut, fast wie der echte Manu Chao!" Dann ist der echte Manu Chao in seinem Element. Seinen Erfolg sieht er als pures Glück an, Zufall, der schon morgen anders spielen kann.

Manu Chao ist weder intellektuell noch Politik-Profi. Auch deshalb liegt es ihm fern, im Rahmen der Anti-Globalisierungsbewegung Geschichte machen zu wollen:

"Meine politischen Projekte sind meine Privatangelegenheit. Ich habe viele Projekte, und alle Projekte die man hat sind irgendwie politisch. Was bedeutet schon politisch? Egal wo du arbeitest und was du tust, du tust es immer in einem sozialen Kontext. Du bist immer konfrontiert mit einer bestimmten sozialen Situation. Und dann schaust du entweder weg, oder Du schaust hin, und das tut weh, und dann steckst du schon mittendrin."