Politische Entscheidungen zwischen Machtanspruch und Gemeinwohl

Versagen eines Systems. Unsere Demokratie muss völlig neu aufgestellt werden (Teil 1).

Auch wenn die Welt Corona überlebt hat und hoffentlich nicht bald durch eine kriegerische oder technische Katastrophe verheert wird: Sehr große Probleme lasten auf der globalen Menschheit, und es sind allesamt von Menschen geschaffene Probleme, genauer gesagt: von Politikern geschaffene Probleme.

Es ist dabei völlig belanglos, ob diese Politiker der jüngeren Generationen sehenden Auges Katastrophen verursacht haben, oder ob sie den Herausforderungen einfach nicht gewachsen waren, sich von Experten und Lobbyisten haben in die Irre führen lassen. Denn wir müssen keine Schuldfrage stellen. Wir müssen miteinander aushandeln, wie es besser geht, wie sich die bisherige Aneinanderreihung von politischen Fehlentscheidungen künftig vielleicht doch vermeiden lässt.

Das bisherige System fast ausschließlich hauptberuflicher Politiker hat die alleinige Entscheidungsgewalt über unsere gesellschaftliche Zukunft beansprucht – und hat damit für katastrophale Veränderungen auf der Welt gesorgt, global wie bei jedem Einzelnen. Und eine wirklich nachhaltige Lösung der vielen Probleme ist nicht in Sicht.

Was soll die Klimakrise anderes sein als komplettes Politikversagen?

Das Prinzip der Allmachtsbeanspruchung ist in der Menschheitsgeschichte freilich nicht neu, ganz im Gegenteil bauten alle Herrschaftsformen auf Selbstermächtigung, ob nun hergeleitet von Gottes Gnaden, familiärer Abstammung oder einer Carte blanche des Wählers. Eine Kosten-Nutzen-Analyse weist praktisch jede historische Herrschaft als Fiasko für die Menschheit insgesamt aus.

Auch die Akzeptanz des Herrschaftssystems ist nicht neu, die meisten Menschen unterwerfen sich jedem, der sich eine Krone aufsetzt – das ist unsere biologische Konstitution, und sie war für einige Jahrhunderttausende erfolgreich.

Doch je größer in erdgeschichtlich jüngster Zeit die Gesellschaften wurden, je weniger Herrscher und Beherrschte einen Clan bildeten, umso fataler wurden die Wirkungen und Nebenwirkungen politischer Machtausübung. Und nun sind wir an einem Punkt, an dem wir entweder etwas am Herrschaftssystem grundlegend ändern – oder unsere Geschichte endet.

Was soll die Klimakrise anderes sein als komplettes Politikversagen? Da sind nicht irgendwo ein paar Fehler unterlaufen, da waren nicht einige wenige Personen unfähig, korrupt oder blasiert, – da hat, aus Sicht der (jungen) Weltbevölkerung, ein Herrschaftssystem total versagt.

Entsprechend müssten gerade die Medien die überwiegend mit Wohlwollen bedachten Proteste der Klimabewegung als "Delegitimierung des Staates" lesen: als Vorwurf kompletten Scheiterns, der auch juristisch illegale Aktionen moralisch legitim macht.

Die globale Klimaerwärmung zeigt – zusammen mit dem drastischen Schwinden der Biodiversität – so deutlich wie nichts sonst die Verantwortungslosigkeit von Politikern.

Jedes Kind kann verstehen, dass es wohl nicht folgenlos sein wird, wenn der Mensch unvorstellbare Mengen im Boden gebundenen Kohlenstoffs durch Verbrennung in die Luft befördert. Es braucht dazu keinerlei wissenschaftliche Expertise und keine Modellrechnungen fürs Klima.

Es genügt völlig einzusehen, dass der Mensch mit diesem industriellen Fortschritt die Erde in einem Tempo verändert, wie es nie zuvor eine Spezies getan hat. Und man sollte prüfen, welche Folgen diese enorme Veränderung haben könnte. Denn es sind Veränderungen, die der Mensch schlicht nicht steuern kann.

Die Proklamation irgendwelcher Menschenrechte ist völlig wertlos, wenn die mit einer solchen anthropogenen Weltmacht offenkundig verbundenen Fragen nicht diskutiert und in einer Demokratie dem Souverän zur Entscheidung vorgelegt werden.

Doch nichts dergleichen ist passiert. Auch nicht, als die wissenschaftlich begründeten Zukunftsprognosen in der Welt waren, wie es Nathaniel Rich in "Losing Earth" beklemmend deutlich nachgezeichnet hat: Seit vier Jahrzehnten arbeitet die Politik weltweit angesichts ihrer eigenen Bekundungen im diametralen Gegensatz zu dem, was wissenschaftlich fundiert geboten ist. Das ist kein Versagen einzelner Führer oder einer parteipolitischen Richtung – es ist das Totalversagen eines Systems.

Die Verantwortung tragen Politiker

Eine demokratische Gesellschaft hätte sich vielleicht für die Klimakatastrophe entscheiden können, für Hochwasser, Stürme, Wüsten, Völkerwanderungen (wenn wir ihr mal kurz das Recht unterstellen, mit ihrem Lebenswandel auch über Leben und Tod aller Nicht-Stimmberechtigten einschließlich beliebiger anderer Gesellschaften auf der Welt zu entscheiden, wie dies rein empirisch betrachtet immer praktiziert wurde).

Eine demokratische Gesellschaft hätte sagen können: "Nach uns die Sintflut! Was interessieren uns die Chancen nachfolgender Generationen? Wir leben, wie es uns beliebt."

Aber keine Gesellschaft dieser Erde hat das je so entschieden – und sie hat auch nicht, wie gerne und billig behauptet wird, durch konkludentes Verhalten ihre Zustimmung erteilt: Weil sie nicht auf die Barrikaden gegangen sei, weil sie sich ihren kapitalistischen, sozialistischen oder theokratischen Herrschern nicht verweigert habe, weil auch im Kleinen ein jeder nach seinen Vorteilen gesucht hat. Nein, die Verantwortung tragen Politiker.

Denn Politiker beanspruchen seit Beginn der menschlichen Zivilisationsgeschichte Herrschaft über alles und jeden und halten "ihre" Bevölkerung, die irgendwie unter ihrer Fuchtel steht, in systemischer Unmündigkeit.

Über die Jahrtausende haben sich die Begründungen dafür zwar gewandelt – mal ist es Vorsehung, Gott, mal der Stammbaum, die Weisheit ... – das Prinzip aber ist stets dasselbe, schlicht, weil es in der biologischen Konstitution des Menschen gründet: Nur relativ wenige streben nach der großen Macht, die zwar einerseits Zugang zu großen Ressourcen verspricht, andererseits aber auch jede Menge kostet und damit ein hohes Risiko birgt, am Ende biologisch leer auszugehen.

Die meisten Menschen haben zwar gerne noch jemanden in der Hierarchie unter sich, aber sie sind auch froh über jemanden über ihnen; jemanden, der sagt, wo es langgehen soll und der behauptet, die Verantwortung zu tragen.

Es ist nicht nur das gute Recht der Bürger, alle Politik den von ihnen alimentierten Politikern zu überlassen, es entspricht vor allem exakt dem Geschäftsmodell der Parteien: Wir regeln alles, von der Geburt bis zum Tod, von der Pflichtversicherung für Hebammen bis zum Verbot fachkundiger Suizidhilfe, von der Demokratiesimulation im Kindergarten über Bildung, Arbeit und Gesundheit bis zum Siechtum auf Pflegegrad 5.