Polizeigewalt bringt Regierung in Bedrängnis

Unangekündigte Ansprache ans Volk: Premierminister Kyriakos Mitsotakis. Bild: Griechische Regierung

Griechenland: Eskalation der Gewalt in Athen. Premierminister Mitsotakis versucht, mit einer spontanen TV-Ansprache die Wogen zu glätten

Mehrere Tausend Demonstranten haben am Dienstag im Athener Vorort Nea Smyrni gegen die wachsende Polizeigewalt im Land demonstriert. Bei den Ausschreitungen, die im Rahmen der Demonstration stattfanden, wurden drei Polizisten verletzt. Einer von ihren erlitt durch den Angriff von knapp dreißig Personen schwere Gesichts- und Kopfverletzungen. Die beiden anderen sind erheblich leichter verletzt.

Bei der Demonstration kam es zu einem für Griechenland denkwürdigen Ereignis. Die Fan-Clubs der Fußballvereine der Hauptstadt hatten sich vereint auf die Seite der Demonstranten gestellt. Die Fan-Clubs in Griechenland sind normalerweise untereinander verfeindet und prügeln sich bei jeder Gelegenheit. Ebenso vereint traten die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) und zahlreiche anarchistische Gruppen des Landes zur Demonstration an.

Legendäre interne Feindschaften

Auch hier sind die internen Feindschaften zwischen diesen politischen Gruppen legendär. An der Demonstration, die am Tag mit den bislang höchsten Infektionszahlen für 2021, mit 3.215 Neuinfizierten, stattfand, nahmen zahlreiche Bewohner von Nea Smyrni teil, die ansonsten nicht zu Demonstrationen gehen.

Die Polizisten wurden verletzt, als sich eine Gruppe von dreißig bis fünfzig Personen von den übrigen Demonstranten trennte und gezielt die Polizisten angriff. Das Resultat war, dass die Berichterstattung der griechischen Fernsehsender ausschließlich auf die Chaoten konzentrierte und dass die übrigen, friedlichen Demonstranten ihrerseits von der Polizei angegriffen wurden.

Polizeigewalt und Victim-Blaming

Vorangegangen war am Sonntag eine nach bisherigen Erkenntnissen vollkommen ungerechtfertigte Prügelattacke mehrerer Polizisten auf einen jungen Mann. Dessen "Vergehen" bestand darin, dass er die Polizisten ansprach und dafür kritisierte, dass sie zwei mit ihren Kindern im Park auf dem zentralen Platz von Nea Smyrni spazierenden Müttern Bußgeldbescheide in Höhe von jeweils 300 Euro verpassten.

Die beiden Mütter hatten ihren Spaziergang regelkonform per SMS mit dem Code 6 an die zentrale Nummer 13033 angemeldet. Die Reaktionen der Regierung auf die massive Kritik waren mehr als unglücklich. Statt auf die auch vom staatlichen Obmann registrierte, wachsende Polizeigewalt zu reagieren, wurde Victim-Blaming praktiziert.

Die Parlamentarier der Regierungspartei erhielten in einem non-paper sämtliche persönliche Daten des Verprügelten. Der Abgeordnete Konstantinos Kyranakis, ein studierter Jurist, gab diese Daten in Live-Sendungen im Fernsehen bekannt und folgerte aus der politischen Gesinnung des Opfers, der autonomen Gruppierungen nahesteht, eine Rechtfertigung der Prügelattacke.

Ein Vorgehen, das von der Regierungssprecherin Aristia Peloni beim Briefing ausdrücklich gerechtfertigt wurde. Die Griechen hörten von mehreren Abgeordneten der Regierungspartei, dass es keinen Datenschutz für Personen gebe, die sich auf öffentlichen Plätzen zeigen. Dies brachte die Gemüter umso mehr zum Kochen.

Am Dienstagabend versuchte Premierminister Kyriakos Mitsotakis mit einer unangekündigten Ansprache ans Volk die Wogen zu glätten. Er zeigte sich unrasiert und ohne Krawatte in seinem Amtssitz und appellierte an die Bürger:

Die traurigen Bilder der Gewalt, die wir heute Abend alle in Athen gesehen haben, darf es nicht mehr geben. Dass das Leben eines unseres Mitbürgers, des jungen Polizisten, in Gefahr war, ist ein Weckruf. In diesen Momenten müssen Selbstbeherrschung und Gelassenheit dominieren. Ich appelliere besonders an unsere Jugend, die dazu bestimmt ist, etwas zu schaffen und nicht zu zerstören. Blinde Wut führt nirgendwo hin.

Leider haben einige Personen unsere Warnungen ignoriert. Jenen, die versuchen, Hass und Spaltung in der Gesellschaft zu säen, um ihrer eigenen Ausweglosigkeit zu entkommen, so wie sie dies bereits in der Vergangenheit getan haben, antworte ich Folgendes: In der Nacht des Wahltages, am 7. Juli 2019, habe ich erklärt, dass ich hier bin, um die Einheit, die Sicherheit und den Wohlstand aller Griechen zu garantieren. Ich wiederhole dies jetzt. Ich werde niemandem erlauben, unter uns Zwietracht und Uneinigkeit zu säen. Wir werden nicht zulassen, dass uns jemand in vergangene Zeiten zurückwirft.

Kyriakos Mitsotakis

Mitsotakis hatte sich vorher mit dem Juraprofessor Nikos Alivizatos getroffen. Alevizatos saß einer staatlichen Kommission vor, die mit der Untersuchung von Polizeigewalt beauftragt war. Seit mehr als einem Jahr war die Kommission von der Regierung kaltgestellt worden. Nun soll sie offenbar wieder aktiviert werden.

Aufstockung nicht der Pflegekräfte, sondern der Polizei

In der Pandemie hat Griechenland nicht in Ärzte und Pflegepersonal investiert, sondern stattdessen Tausende neue Polizisten eingestellt. Diese wurden im Schnellverfahren innerhalb von zwei bis drei Monaten ausgebildet.

Die Pandemiebekämpfung im Land findet vor allem mit den erheblich strengen Ausgangsbeschränkungen statt, deren Einhaltung mit einem massiven Polizeiaufgebot kontrolliert wird. Alivizatos und Mitsotakis sind sich offenbar einig, dass bezüglich der Ausbildung der Beamten erhebliche Mängel feststellbar sind.