Polyzentrische Landesplanung im digitalen Zeitalter
Das dezentrale Netzwerk der Autobahnstationen als Grundlage des neuen Urbanismus
Vor mehr als 30 Jahren hat der Computerpionier Iann Barron drei Diagramme unterschiedlicher Netzwerke gezeichnet, dei später in dem Buch The Future with Microelectronics veröffentlicht wurden, das er zusammen mit Ray Curnow geschrieben hat. Das erste Netzwerk, das er als zentralisiertes Netz bezeichnete, besteht aus einer großen Zahl einzelner Verbindungen, die von einem zentralen Punkt in einem elliptischen Muster zu außerhalb gelegenen Punkten führen. Das zweite, dezentralisierte Netzwerk besteht aus Verbindungen, die Außenpunkte mit einer kleinen Zahl von Knotenpunkten verknüpfen, die wiederum mit einem anderen Netzwerk verbunden sind. Das dritte Diagramm, das er zeichnete, nannte er ein verteiltes Netzwerk, das nach seiner Ansicht für Computersysteme am geeignetsten ist. Es ist ein Netzwerk von Stationen von gleicher Bedeutung, die sich ungefähr in derselben Entfernung voneinander befinden , um ein durchgängiges Netz ohne herausragende Knoten zu bilden.
Barrons Diagramme sollten in Bezug auf die Idee interaktiver elektronischer Kommunikationssysteme stehen, die sich in jener Zeit noch in ihren Anfängen befanden, aber diese drei Darstellungen können auch in anderen Bereichen etwas verdeutlichen.
Militärexperten des israelischen Hauptkommandos probierten dieselben Diagramme zur Optimierung von Verteidigungsstellungen aus und setzten sie mit einigem Erfolg im Yom Kippur Krieg ein. Mediziner, die das menschliche Gehirn untersuchten, entdeckten starke Hinweise für verteilte Netzwerke in seinem neuronalen System. Zur selben Zeit bemerkte Joachim Krausse, der deutsche Mitherausgeber von Your Private Sky, der zweibändigen Analyse des Werks Buckminster Fullers, dieselben Muster in der Stressverteilung des geodätischen Doms.
Das alles geschah natürlich vor langer Zeit, aber ein gutes Diagramm verliert niemals seinen Wert, was man am Torten- oder am Venn-Diagramm sehen kann. Jetzt schaut es so aus, als ob Barrons optimiertes Programm noch einmal wiederkehrt, dieses Mal ganz an der Spitze des entmutigend Haufens an neuen Ideen zur Lösung der Verkehrsstaus und des öffentlichen Transport in England.
Im Mai erschien endlich am Ende des Tunnels des hoch verdichteten urbanen Denkens, das unsere Planer schon zu lange verwirrt hat, die Nachricht, dass ein Durchbruch geschehen sei. Verhandlungen zwischen Granada, dem Besitzer von nahezu der Hälfte aller Autobahnstationen des Landes, dem Verkehrsministerium und der Autobahnbehörde führten zu dem Plan, der fast ganz dem dritten Barrandiagramm entspricht. Die Idee ist, der Verkehrsplanungskarte Großbritannien nicht das alte, feudale zentralisierte Diagramm zugrunde zu legen, bei dem Verbindungen von alten Dörfern und Städten ausgehen, die sowieso schon halb verlassen sind, sondern das 3200 Kilometer große Autobahnsystem des Landes, das ein nichtzentralisiertes, entstädtertes verteiltes Netzwerk mit einem Alter von gerade einmal 50 Jahren ist. Es umgeht praktisch alle alten Siedlungen und weist seine eigenen verkehrsfreundlichen Knoten - also seinen eigenen abstrakten Urbanismus - in Gestalt seiner Autobahnstationen auf.
Natürlich gibt es mit dem Projekt Probleme, soweit Einzelheiten überhaupt veröffentlicht wurden, aber es gibt kein Problem, das Autobahnnetz als Ausgangspunkt zu verwenden. Gegenwärtig basiert der Plan noch auf der puritanischen Vorstellung, dass eine hoch motorisierte Bevölkerung keinen anderen Wunsch besitzt, als aus den Wagen auszusteigen, zu warten und dann in einen Bus einzusteigen, aber das ist nur eine kurzfristige Perspektive.
Die Vision der Blair-Regierung von den Fahrern, die ihre Autos auf riesigen Parkplätzen bei bestimmten Autobahnstationen zurücklassen, um in hochgezüchtete Shuttle-Busse mit Klimaanlage umzusteigen und schnell in das nur für Fußgänger reservierte Zentrum Londons zu fahren, muss sich dem Versuch verdanken, von der verkehrten Seite aus durch das Fernrohr zu schauen.
Viel wahrscheinlicher ist ein Bauboom an den hundert Autobahnstationen selbst auf den überreichlich vorhandenen landwirtschaftlich genutzten Flächen um sie herum. Hier könnten wir, nach entsprechender Zeit und mit umsichtiger Planung, jede wünschbare Art von Diensten ansiedeln, wie dies zunehmend an amerikanischen Flughäfen geschieht: unbegrenzte Parkflächen, eine spektakuläre Landschaft, eine vernünftige Verdichtung, eine schöne Architektur und ein Ort, der ein wirklich polyzentrisch verteiltes nationales Netzwerk mit Bedeutung erfüllt.