Pop~Event: 6thCyberconf

The fe.mail data_set - subtopic AVATARE

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Pop~Tarts hinterfragen Rituale der akademischen Textproduktion und präsentieren Höhepunkte der Cyberconf, sowie einige sehr animierte Personen.

6th International Conference on Cyberspace, 5.-8. Juni1997,
The University of Oslo
Konferenz URL televr.fou.no/cyberconf/

3D Avatar von Marcos Novak

Die Konferenz folgte dem allgemeinen Modus der akademischen Produktion: Die Auswahl der Beiträge erfolgte anhand von Kurzfassungen, die bereits Monate zuvor erstellt wurden. Diese "Abstracts", die wie für einen PR- oder Verkaufstext Inhalte reduzieren, sind zu einem Standardformat für die elekronischen Festivalnomaden geworden. Interessante Kurzfassungen sind die Voraussetzung, um als Sprecher ausgewählt zu werden. Dieses Verfahren garantiert aber nicht, dass die tatsächliche persönliche Präsentation der Langversion auch wirklich interessante Qualitäten aufweist.

So hielten auch viele der regelmässigen Cyberconf Teilnehmer bei der 6thCyberconf Routinevorlesungen, die ähnlich "selbsttätigen Programmroutinen" abliefen. Manuel DeLanda beschrieb solche Programmroutinen in seinem Beitrag "Intelligent Interfaces" zur Geschichte und zum Wandel von Hard- und Software, von Jacquards Webstuhl zu objektorientierten Programmen, wobei er aber auf die Vordenkerin aller Computersprachen, Lady Ada Lovelace vergass. Jedenfalls können dies Programmroutinen als Beispielfall für den Festivalevent sebst gelten. Es gab kein "Masterprogramm" mehr, auf das sich die Subroutinen beziehen. Es gab eine Gegenverschiebung in die Richtung, dass einige der unbekannten Vortragenden die spannendsten Inhalte in dieses "Meshwork" von Cyberconf-Ideen brachten. (Manuel DeLanda sehr animiert )

Am ersten Tag der Konferenz präsentierte sich Telepolis als Online-Interface für Netzkultur und als unabhängiges Format unter den Webcastern. Das offene Konzept des Telepolis Journals schien vom Cyberconf Publikum gut aufgenommen zu werden. Insbesondere die zweisprachige Hypertextstruktur, die spezifischen Online-Themen, die das Projekt in die Nähe von Online Kunst rücken, sowie die Möglichkeit der Interaktion waren für die Cyberconf -Gemeinde attraktiv. Armin Medosch, neben Florian Rötzer Haupteditor von TP, präsenierte erstmals öffenlich das neue Webdesign von Telepolis. Pop~Tarts beschrieben ihre speziellen Fe-mail Themen und das kollektive zweisprachige Textfiltering ihrer Produktion, das für die inernationalen NetzwerkerInnen von besonderem Ineresse zu sein schien.

Die Einheitlichkeit, Homogenität durch Standardisierung im Gegensatz zur Vielschichtigkeit, zur Heterogenität von Software können wir genauso als Modell für die Festivalstruktur nehmen, wie es DeLanda als Modellfall für soziale Verflechtungen von Entwicklungen bestimmter "Interfacerouten" nahm. Das Erlernen der Schaffung von sogenannten "Meshworks", vielleicht frei als verzerrte Netzwerkanordnungen übersetzbar, ist im allgemeinen wichtig, auch für selbständige soziale Untersysteme, wie auch das Kunstsystem eines ist.

Das Publikum der Cyberconf bestand diese Jahr aus rund 100 Personen, die hauptsächlich aus Nordamerika und Westeuropa stammten. So gab es nur zwei Teilnehmer aus Osteuropa, die Mehrzahl stammte aus Norwegen und Schweden. Überraschender Weise benutzten dieses Jahr viele der Sprecher kritiklos den Begriff Cyberspace, um jene nachhaltige Online Umgebung zu beschreiben. Diese kulturelle Akzeptanz des von der Science Fiction geprägten, vom Kommerz geschluckten Begriffs, war sicherlich durch die amerikanischen Teilnehmer bestimmt. Im Vergleich dazu wurden bei der letztjährigen 5thCyberconf in Madrid verschiedenste Bezeichnungen wie Dataspace, E-space zur Diskussion gebracht. Auch wenn alle Umschreibungen das selbe bezeichnen, zeigen sie doch einen vorsichtigen Umgang und Hinterfragungen industriell vorgefertigter Begriffe und lassen Auswege für persönliche Identifizierung offen. Mit Cyberspace wird auch ein Schlagwort der VR Industrie aufgenommen, die alle Versprechungen der Zukunft des Mediums zu erfüllen verspricht.

Einige für Pop~Tarts diskussionswürdige Beiträge der 6th Cyberconf:

Sally Jane Norman

Sally Jane Norman, die quirrlige, in Paris lebende Kanadierin, stellte Konzepte des Körpers in Frage. Sie brachte Beispiele und Lösungsvorschläge für darstellende Kunst in szenischen Umgebungen. Sie meinte, dass wir unser Wissen über den physischen Körper verfestigen müssen, um im Cyberspace leben zu können. Sie zeigte den Einfluss digitaler Geometrie auf Strömungen in der Performance-Kunst anhand von Motion Capture Beispielen und sprach von der männlichen Verschwörung im Kartesianischen Koordinatensystem, die den Mythos vom allgemeingültigen Cyberspace schafft.

Steve Pettifer von der Computerwissenschaftlichen Abteilung der Universität von Manchester (www.cs.man.ac.uk/aig) präsentierte "Worlds within Worlds: on the Topology of Virtual Space". Er entwickelte diese pragmatischen Überlegungen zur Topologie des Cyberspace in Zusammenarbeit mit Adrian West.
Die ganzheitliche Erfahrung durch VR, die multidimensionale Repräsentation von Daten, die vordefinierten Gesetzen und Ordnungen folgen, wurde in den Mittelpunkt gestellt. Diese Überlegungen sind eindeutig eine Folge der Denkweise von Programmierern, die sich an objektorientierten Sprachen und Voraussetzungen orientieren. Das Projekt DEVA soll eine Methode sein, um Ursache und Wirkung von abstrakten 3D und 4D Welten verstehen zu können. DEVA als Weg um das Metaversum betrachten zu können ist kein räumliches Layout aber eine Sammlung von möglichen Typologien von Welten. Pettifer blieb aber im Konzept von fixen Parametern verstrickt, was auf der Notwendigkeit beruht, daß vordefinierte Bedingungen geschaffen werden müssen, um eine Anwendung funktionieren lassen zu können. Diese Festlegung irritierte viele Teilnehmer philosophisch und theoretisch, wie etwa Perry Hoberman, der die Möglichkeiten von sich verändernden Gesetzen und des Unerwarteten gerade im Cyberspace mitdenken wollte.

Patrizia Futterer, in Kanada studiert habende Wienerin, las ihr Arbeitspapier mit dem Titel "Cyber-selves and the Architecture of Fantasy"
Ihre Analyse begann mit der Geschichte der Wahrnehmung des Selbst. Insbesondere wies sie auf anatomische Zeichnungen der Renaissance hin, die den Blick in das Innere des Körpers mit üppigen Blüten und Früchten umrandeten. Sie hinterfragte anhand der Kunstgeschichte, was die Bedeutung des Selbst definiert und wie der Gebrauch von Fantasie sich in den heutigen digitalen Welten fortsetzt. Sie stellte ihre Behauptungen auf modernistische, postmodernistische Ideen ebenso wie auf das zirkulierende technische Bild des Körpers der Informationsgesellschaft. Interessanterweise wurde sie sofort dafür attackiert, dass sie Beispiele der nazideutschen Strategien zur Manipulation der öffentlichen Meinung durch Architektur in Beziehung zu VR brachte. In der Diskussion wurde aber klar, dass virtuelle Architektur, wie etwa Lichtarchitektur gemeint war, und dass die Nazionalsozialisten den in der Fotografie aufgehobenen Masstab ausnutzten und Modellfotos als reale Gebäude publizierten.

Barbara Becker beim Vortrag

Barbara Becker von der GMD, German National Research Center of Computer Science saturn.darmstadt.gmd.de/ diskutierte "Virtual Subjects on the Road". Die Schaffung künstlicher Identitäten im Cyberspace, das Annnehmen anderer Persönlichkeiten und Geschlechter in textbasierten Umgebungen wie MUDs und MOOs nahm die in Computersprachen bewanderte Linguistin und Theoretikerin der Computerwissenschaften als Ausgangspunkt. Die Wissenschaftlerin arbeitete auch mit der KHM Köln zusammen (zu Projekten im Umfeld der KHM siehe das pop~Feature zu Stahl Stenslie). Eine ihrer Fragen war auch die nach den Grenzen unserer Körperkonstrukte in digitalen Umgebungen (siehe dazu auch das pop~Feature über Gash().

Verschiedene Techniken und Strategien der Selbstkonstruktion durch Textkörper wurden angerissen. Becker benutzte die Metapher eines Whirlpools von Sätzen, in denen das Subjekt in die Bewegung von Text eingeschrieben wird. In dieser Situation verliert das Selbst sich selbst. Auf welche Weise wird das Imaginative, die Vorstellungswelt nun in der virtuellen Welt konkret, welche Arten von Strategien und Praxen greifen hier wirklich? Historische Bezüge zur Beantwortung dieser Fragen reichten von allgemeinen Erfahrungen aus der physischen Welt, aus der Literatur, zu Spielen, zu Festen und vor allem zum Tragen und Annehmen von Masken. Dabei muss aber immer den inneren Gesetzen und Strukturen der Sprache gefolgt werden, die aber erlauben, das Selbst in vorgestellten Situationen zu entwickeln.

Janet Rolph Richardson von WorldsAway's DREAMSCAPE brachte euphorische Berichte über die Fujitsu Software Umgebung auf CompuServe als "Constructing and Engaging Virtual Body-Mind in an Interactive Animated Cyberspace Community". In der Traumlandschaft bringen die Benutzer ihre Bezüge vom wirklichen Leben in das virtuelle Environment. Überraschende Anekdoten von Eheschliessungen und Erfahrungen mit multiplen Persönlichkeiten repräsentiert als Avatare waren zu hören. Sie betreut unter der Bezeichnung "Oracle" Neuankömmlinge in dieser vordefinierten virtuellen Welt von über 50.000 Einwohnern.

Suzanne Meszoly, Leiterin des C3 Budapest beschrieb die Aktivitäten des C3, Soros Center for Communication and Culture.
In einer RealAudio-Übertragung des jüngsten C3 Programms ParaRadio wurden die digitalen Versionen traditioneller Musik einer Gruppe von jungen Romas, eingespielt.
C3, das Privatsponsoren, wie die ungarische Telefongesellschaft und die Stiftung von George Soros zusammenbringt, ist Provider, Forschungs-und Ausstellungszentrum. Nun ist es eine interessante Perspektive, dass C3 der nächste Gastgeber für die Cyberconference98 sein soll. Dies könnte sicherlich eine Chance sein, verstärkt Teilnehmer aus dem Ex-Osten in die Diskussionen einzubinden. (Hintergrundbericht zur Eröffnung des C3)

Rahmenprogramm: e~on: the future is your friend
Im Kunsthaus (Kunstnerhes Hus) fand die Ausstellung elektronischer Kunst zur Konferenz statt. Highlights waren:

Solve et Coagula, mating man and machine von Knut Mork, Stahl Stenslie, Lars Nilsson und Karl-Anders Oygard war sicher die herausragendste Installation der Ausstellung. Ein massives Eisengestell umgab die Cybernauten im Body-Suit, mittels dessen sie mit der Maschine verschmelzen konnten. (siehe)

Motherboard/lawhat al-umm, die "Digitale Moschee", war ein anregender Mix aus gekonnter 3D Animation, Tanzperformance und Video. Die unerwartete Gegenüberstellung der westlichen Frau im weissen Brautkleid mit der moslemischen Frau im schwarzen Schleier brachte gemeinsame Zwänge und Konventionen ins Bewusstsein. (Tänzerin von Motherboard, animiert )

watz+pendry, with Licktoad Jubenia war eine Performance-Umgebung, die einer gotischen Legende entsprach. 5 Teilnehmer konnten Schauspieler im Cyberspace sein.

Einige anwesende Cyberspace Stars waren die Krokers, Sandy Stone, die die erste Konferenz vor sechs Jahren in Texas initiierte, Marcos Novak, Architekt, Künstler und Theoretiker, der das Konzept flüssiger Architektur einführte, Perry Hoberman, Pierre Levy und Thekla Shiphorst. Leider gab es auch einige Ausfälle, wie den angekündigten Florian Rötzer, Timothy Druckery und Calin Dan. (Die Krokers, sehr animiert ).