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Pop aus dem Eis

Bisherige Erwärmung in Deutschland, sowie die künftige. Letztere wurde auf der Grundlage unterschiedlicher Szenarien für die weitere Entwicklung der Treibhausgasemissionen berechnet.Bild: DWD

Die Energie- und Klimawochenschau: Erstes Halbjahr in Deutschland zu trocken, in den USA kommt ein Teil der Klimadatensammlung unter die Räder und das tauende Eis der Arktis setzt alte Gifte frei

Auch in Deutschland wird es wärmer. Gegenüber den 1960er Jahren ist die über das ganze Jahr und das ganze Territorium gemittelte Durchschnittstemperatur bereits um rund 1,5 Grad Celsius angestiegen, womit hierzulande die Klimaveränderungen sogar deutlicher als im globalen Mittel sind. Bis zum Ende dieses Jahrhunderts könnten nach den pessimistischsten Prognosen weitere drei Grad hinzu kommen, meint der Deutsche Wetter Dienst (DWD [1]).

Der DWD hat am Dienstag, wie berichtet (Treibhausgase nehmen weiter zu [2]), seine jährliche Klima-Pressekonferenz [3] abgehalten, um die Öffentlichkeit über den Stand der Entwicklung zu informieren. Demnach setzt sich der Erwärmungstrend auch in diesem Jahr bisher fort, wie der Leiter des Bereichs Klimaanalyse beim DWD, Gerhard Müller-Westermeier, feststellte [4].

Nach einem sehr kalten Dezember waren Januar und Februar gemessen an den Durchschnittswerten für diese Monate eher milde. Dennoch war der Winter 2010/2011 unterdurchschnittlich kalt. Damit war es der dritte Winter in Folge, der unter dem Mittelwert der Jahre 1961 bis 1990 lag. Eine derartige Häufung kalter Winter hatte es zuletzt 1985 bis 1987 gegeben, so Müller-Westermeier.

Auf den kalten Winter folgte jedoch ein Frühjahr, das mit einer mittleren Temperatur von 10,1 Grad Celsius auf dem zweiten Rang seit 1881 Jahr lag. Besonders der April stach heraus, der extrem warm, trocken und sonnenreich war. Seine Durchschnittstemperatur lag beachtliche 4,2 Grad über dem Referenzwert, das heißt dem Mittel der Jahre 1961 bis 1990. Damit lag er hinter 2009 und vor 2007 an zweiter Stelle der Rangliste der wärmsten April-Monate seit 1881.

Auch der Juni fiel um 1,2 Grad Celsius zu warm aus. Immerhin wurde aber die Trockenheit, die im Frühjahr über geherrscht hatte, gebrochen. Allerdings wurden die Niederschlagsdefizite, so Müller-Westermeier, trotz oft ergiebiger Niederschläge auch bis Ende Juli noch nicht ausgeglichen. Für die Landwirtschaft seien die Regenfälle meist zu spät gekommen, um Trockenheitsschäden zu vermeiden oder auszugleichen. Der Meteorologe geht daher davon aus, dass die Ernteerträge in diesem Jahr "unbefriedigend" ausfallen werden.

Damit ergibt sich für das 1. Halbjahr 2011 (...) die folgende Einordnung: Es war das Zweitsonnigste und das Neunttrockenste seit Beginn der Messungen. Alle sechs Monate waren zu warm. Die erste Jahreshälfte fiel in Deutschland 1,5 Grad wärmer aus, als es hierzulande typisch ist. Das ist der 9. Platz seit 1881. (...) Die ersten sechs Monate 2011 zeigen (...), dass der Erwärmungstrend in Deutschland wie auch weltweit ungebrochen ist.

Gerhard Müller-Westermeier, DWD

Angewandte Klimaforschung

Inzwischen gehen Klimaschutzgegner ja so weit, nicht nur die Klimawissenschaftler anzugreifen und oft auch persönlich zu verleumden (siehe zum Beispiel: Rabiate Wissenschaftsfeinde [5]), sondern sie greifen auch Messprogramme und die Erhebung von Daten an, die uns überhaupt erst Aufschluss über Veränderung und Zustand des Klimasystems liefern können.

In den USA droht derzeit im Streit um Schuldengrenze und Bundeshaushalt die Klimaforschung unter die Räder zu kommen. Um 200 Millionen US-Dollar sollen entsprechende Programme bei NASA und NOAA (US-Wetter- und Ozeanbehörde) gekürzt werden, berichtet [6] die American Association for the Advancement of Science. Betroffen sind vor allem neue Erdbeobachtungssatelliten. Andere Quellen [7] sprechen sogar davon, dass bei der NASA die Satellitenprogramme insgesamt um 300 Millionen US-Dollar zusammengestrichen würden.

Was die meist republikanischen Wissenschaftsfeinde, die hinter diesen Kürzungsvorhaben stecken, gerne außer Acht lassen, ist der vielfältige Nutzen, den die Beobachtung von Klima und Wetter für den Alltag der Menschen und für viele Wirtschaftszweige haben. Die beiden am Dienstag vom DWD veröffentlichten und hier gezeigten Grafiken geben zum Beispiel regional detailliert de mittlere Jahrestemperatur und die Sonnenscheindauer für 2010 wieder. Derlei Informationen sind nicht nur für potenzielle Solaranlagenbesitzer, sondern auch für Bauern oder auch Hauseigentümer wichtig, die ihr Haus dem lokalen Klima entsprechend isolieren wollen.

Sonnenscheindauer in 2010. Bild: DWD

Ein anderes Beispiel der Anwendung der Kenntnisse der Klimastatistiker und -forscher ist die Bauwirtschaft. Beim DWD hat man sich Gedanken [8] über wetterbedingte Behinderungen am Bau gemacht. Mörtel, Beton, Anstriche und auch andere Baumaterialien können nur in einem bestimmten Temperaturbereich verarbeitet werden. Sowohl Frost als auch Hitze schränken die Einsetzbarkeit der Werkstoffe wie auch die Produktivität der Beschäftigten ein und führen zu Zusatzkosten.

Insofern hat der Klimawandel für die Branche Gutes wie Schlechtes zu bieten. Die Zahl der Schlechtwettertage werde zurückgehen, so DWD-Vizepräsident Paul Becker. Besonders ab 2050 wird die Verbesserung spürbar. Andererseits könnte es künftig mehr Beeinträchtigungen durch Hitzeperioden geben. In Süddeutschland sei bis 2050 eine Zunahme der Hitzetage mit Höchsttemperaturen über 30 Grad Celsius um bis zu acht Tage zu erwarten. Derzeit sind es im Mittel sechs bis sieben. Ab 2050 wird sich diese Entwicklung beschleunigen und ganz Deutschland erfassen. "Der Klimawandel erfordert also Anpassungen bei der Bausubstanz, bei der Bauplanung und Bautätigkeit. Er wird damit das Bauen und die Bauwirtschaft in Deutschland verändern", fasst Becker die Ergebnisse der DWD-Untersuchungen zusammen.

Alte POP-Sünden

DDT galt eines als das Wundermittel der Insektenbekämpfung, bis sich - gegen den üblichen heftigen Widerstand wirtschaftlicher Interessen - endlich die Einsicht durchsetzte, dass seine Nachteile, die Schädigung von Mensch und Natur, die Vorteile weit überwiegt. 2004 wurde es mit einer Gruppe andere Chemikalien [9] in einer internationalen Konvention [10] verboten. Allesamt sind diese Gifte dafür bekannt, Krebs und Missbildungen auslösen zu können.

Einer der Gründe, sich mit diesen Chemikalien viele jahrelang auf höchster Ebene abzumühen, war die Tatsache, dass Stoffe wie DDT, PCB, Chlordan, Dioxine und Furane - teils Pestizide, teils industrielle Abfallprodukte - sehr langlebig sind, weshalb sie sich um den ganzen Erdball verteilen und später in den Nahrungsketten anreichern können. Auf Englisch ist die Rede von persistent organic pollutants, weshalb diese Verbindungen in der Fachwelt auch unter dem Sammelbegriff POP bekannt sind.

Diese POPs wurden unter anderem bereits im Fettgewebe arktischer Robben und von Eisbären nachgewiesen, und eine unbekannte Menge wurde im nicht mehr ganz so ewigen Eis auf dem nördlichen Ozean eingefroren. Eben das veranlasst einige Wissenschaftler nun zu Warnungen [11].

Das Meereis ist nämlich seit Jahren auf dem Rückzug. Sowohl die sommerlichen Minima in der Bedeckung werden kleiner, einst ganzjährig verschlossene Seewege brechen auf (Eisschwund im Rekordtempo [12]), auch die Gesamtmenge des Meereises nimmt von Jahr zu Jahr ab. Das verbleibende Eis, das den Sommer überlebt, wird also zunehmend dünner.

Und je mehr altes Eis schmilzt, desto mehr der giftigen POPs werden freigesetzt. Kanadische und norwegische Wissenschaftler haben sich die Messungen der Chemikalien in der Luft an der Zeppelin-Station auf Spitzbergen [13] und der Station Alert [14] im äußersten Norden Kanadas angeschaut. Konkret haben sie die Daten aus den Jahren 1993 bis 2000 analysiert und von diesen den zu erwartenden Effekt des Rückgangs der Emissionen abgezogen.

Heraus kam, dass sowohl die Eisschmelze wie auch die Erwärmung des Meerwassers im arktischen Ozean die giftigen Verbindungen mobilisiert, sodass sie in die Nahrungskette gelangen können. Die Konzentration der PCBs in der Luft habe zum Beispiel an den beiden Stationen seit 2004 zugenommen. Unklar ist noch, mit welchen Mengen neuer alter Gifte künftig zu rechnen ist. Das wird Gegenstand weitere Forschung sein.

Am Sonntag haben Wind und Sonne fast die Hälfte des Stromverbrauchs erzeugt

Und zu guter Letzt die gute Nachricht der Woche: Der Anteil der erneuerbaren Energieträger an der Stromproduktion nimmt weiter zu. Nach etwas über 16 Prozent dürften es in diesem Jahr - nicht zuletzt aufgrund der inzwischen 18,38 Gigawatt (GW) installierten Fotovoltaik-Leistung [15] (Stand 31. Mai) - rund 20 Prozent werden. Das vergangene Wochenende war in diesem Zusammenhang ein kleines Highlight.

Eingespeiste Leistung. Gelb: Fotovoltaik, grün: Wind, grau: konventionelle Kraftwerke. Zusammen 91,57 Prozent der deutschen Leistung. Nicht dargestellt ist die Einspeisung diverser Kleinkraftwerke darunter vor allem auch der Biogasanlagen. Bild: Strombörse

Wie obiger Grafik - Daten und Darstellung stammt von der Leipziger Strombörse [16] - zu entnehmen ist, haben am Sonntag Wind und Sonne zeitweise mit etwas über 20 GW knapp die Hälfte des Stromverbrauchs abgedeckt. Hinzu kommt noch die Stromerzeugung aus Biogasanlagen, die nicht dargestellt ist, und aus Wasserkraftwerken, die unter den konventionellen Kraftwerken aufgeführt ist.

Konventionelle Leistung am Sonntag. Bild: Strombörse

Wie sich die konventionelle Leistung im Einzelnen zusammensetzt, ist der nächsten Grafik zu entnehmen. Der Anteil der Wasserkraft war, wie man sieht ziemlich klein. Das mag daran gelegen haben, dass die Betreiber der großen Kraftwerke Probleme hatten, den Strom aus ihren Großanlagen los zu werden. Besonders die Braunkohle- und Atomkraftwerke sind schlecht regelbar und müssen eigentlich mit möglichst kontinuierlicher Leistung gefahren werden. Wenn Wochentags der Bedarf größer und wetterbedingt die Konkurrenz der Erneuerbaren etwas geringer ist, dann wird die Braunkohle gewöhnlich sehr kontinuierlich auf einem Niveau durchgefahren, das zudem höher liegt, und zwar bei 16 GW oder mehr.

Abzulesen ist an der zweiten Grafik auch, dass der Anteil der Pumpspeicherwerke am Sonntag zeitweise an die zwei Gigawatt betragen hat. Wenn künftig diese Speicher nicht mehr zur besseren Ausnutzung von Braunkohle- und Atomkraftwerken genutzt würden, könnte damit der wetterbedingt unregelmäßig anfallende Strom der Windkraft- und Solaranlagen besser genutzt werden. Doch dafür müssten Stromproduktion und -verteilung von einer unabhängigen, nichtkommerziellen Netzgesellschaft wie in Dänemark organisiert werden. Dass der Markt es richten wird, wie es bisher das Credo der Wirtschafts- und Energiepolitiker fast aller Parteien (außer der Linken und einer Minderheit bei den Grünen) ist, ist hingegen eher unwahrscheinlich.

Pop aus dem Eis (3 Bilder) [17]

[18]
Verteilung der Durchschnittstemperatur in 2010. Bild: DWD

URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3390672

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.dwd.de
[2] https://www.heise.de/tp/news/Treibhausgase-nehmen-weiter-zu-2030259.html
[3] http://www.dwd.de/bvbw/appmanager/bvbw/dwdwwwDesktop?_nfpb=true&_pageLabel=dwdwww_menu2_presse&T98029gsbDocumentPath=Content%2FPresse%2FPressekonferenzen%2F2011%2FPK__26__07__11%2FPressekonferenz.html
[4] http://www.dwd.de/bvbw/generator/DWDWWW/Content/Presse/Pressekonferenzen/2011/PK__26__07__11/Rede__Westermeier__20110726,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/Rede_Westermeier_20110726.pdf
[5] https://www.heise.de/tp/news/Rabiate-Wissenschaftsfeinde-2027331.html
[6] http://news.sciencemag.org/scienceinsider/2011/07/house-appropriators-propose-big-.html
[7] http://www.spaceref.com/news/viewpr.html?pid=34146
[8] http://www.dwd.de/bvbw/generator/DWDWWW/Content/Presse/Pressekonferenzen/2011/PK__26__07__11/Rede__Becker__20110726,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/Rede_Becker_20110726.pdf
[9] http://www.pops.int/documents/pops/default.htm
[10] http://www.pops.int/
[11] http://www.guardian.co.uk/world/2011/jul/24/melting-arctic-ice-banned-toxins-pops
[12] https://www.heise.de/tp/news/Eisschwund-im-Rekordtempo-2114490.html
[13] http://www.itm.su.se/zeppelin/
[14] http://www.jproc.ca/rrp/alert.html
[15] http://www.sma.de/de/news-infos/pv-leistung-in-deutschland.html
[16] http://www.transparency.eex.com/de/
[17] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_3390674.html?back=3390672
[18] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_3390674.html?back=3390672