Popularität der Bush-Regierung sinkt weiter in den Keller
Angeklagter "Neoncon" Libby belastet Bush in Geheimdienstaffäre, zunehmende Widersprüche bei den Hardlinern
Der Ex-Stabschef von Vizepräsident Dick Cheney und bis letztes Jahr höchstrangige Neokonservative in der Regierung Lewis Libby hat Einzelheiten einer geheimen CIA-Studie über den Irak auf ausdrückliche Genehmigung von US-Präsident George Bush an die Presse weitergegeben. Diese Enthüllung aus dem laufenden Verfahren gegen Libby, die am Donnerstag bekannt wurde, ist ein weiterer Negativposten auf dem politischen Konto der Bush-Regierung und dürfte, falls die Medien die Story über das Wochenende weiter ausbreiten, die Umfragewerte für Bush und die Republikaner noch weiter in den Keller treiben.
Erst gestern – also vor den Berichten über Libbys Aussage – war eine AP-Ipsos-Umfrage veröffentlicht worden, derzufolge die Bush-Regierung nur noch bei einem Drittel der Befragten (36 Prozent) auf Zustimmung stößt. In jeder Beziehung ergeben sich neue Niedrigwerte: 40 Prozent stehen hinter dem “Antiterrorkrieg”, 35 Prozent hinter dem Irakkrieg, 30 Prozent geben dem von Republikanern dominierten Kongress eine positive Bewertung. Zum ersten Mal seit mehreren Jahrzehnten werden der Umfrage zufolge die Republikaner von der Öffentlichkeit in der Frage der “nationalen Sicherheit” nicht mehr eindeutig bevorzugt. Neuerdings halten jeweils 41 Prozent die Demokraten oder die Republikaner für die Partei, die die Sicherheit des Landes am besten gewährleisten könne.
George Bush hatte bislang vorgegeben, in der Geheimdienstaffäre und in der Frage nach den angeblichen irakischen Massenvernichtungswaffen ein unbeteiligter Dritter und an der Aufklärung höchst interessiert zu sein:
I don't know of anyone in my administration who has leaked. If somebody did leak classified information, I'd like to know it, and we'll take the appropriate action. And this investigation is a good thing.
Rechtsexperten gehen davon aus, dass sich Bush mit der Genehmigung der Weitergabe von Geheiminformationen nicht strafbar gemacht hat, aber eine juristische Grauzone betreten haben könnte. Libby, der vergangenes Jahr wegen Falschaussage angeklagt worden war ("Fitzmas in October") und Anfang kommenden Jahres vor Gericht stehen wird, hatte vor dem Sonderermittler Patrick Fitzgerald ausgesagt, Vizepräsident Dick Cheney habe ihn auf ausdrückliche Genehmigung von George Bush hin angewiesen, Material aus dem geheimen CIA-Jahresbericht National Intelligence Estimate (Die Bush-Regierung, die Geheimdienste und die Mär vom irakischen Atomwaffenprogramm) an die Presse weiterzugeben.
Hinter der bewussten "Lücke" steckte der Versuch der Bush-Regierung, ihre in Misskredit geratene Begründung für den Irakkrieg mit "Fakten" zu untermauern (Fabrikation der Beweise für den Irak-Krieg). Der Diplomat Joseph Wilson hatte der Regierung kurz zuvor öffentlich nachgewiesen, dass Saddam Husseins angeblicher Versuch, sich waffenfähiges Uran zu verschaffen, auf der Manipulation von Geheimdiensterkenntnissen beruhte. Als Rache enttarnte die Regierung Wilsons Ehefrau Valerie Plame, eine CIA-Agentin.
Die Aussage gegen Bush ist einerseits als Libbys Versuch zu werten, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Denn ihn erwartet eine Höchststrafe von 30 Jahren Gefängnis. Andererseits spiegelt sie den Zerfall der Kriegstreiberkoalition von Anfang des Jahrzehnts wieder. Das Hardliner-Bündnis – von Ex-Außenminister Colin Powells Stabschef Lawrence Wilkerson als “cabal” bezeichnet (Selbstmörderische Regierungspolitik und Intrigen in Washington) - aus interventionistischen Nationalisten, Neokonservativen und der christlichen Rechten, das für den Irakkrieg getrommelt und die "Dominostein"-Theorie vom Fall der Regime im Nahen Osten in die Welt gesetzt hatte, distanziert sich zunehmend von der Bush-Regierung.
Das rechts-konservative Bündnis zerfällt
Darüberhinaus sind die Rechtsaußen-Strategen intern selbst zerstritten. Erst vor kurzem hatte der weltweit bekannte konservative Politologe Francis Fukuyama, einer der Stichwortgeber für den Irakkrieg, öffentlich seine Abkehr von der neokonservativen Ideologie erklärt und ihr "Scheitern" attestiert (Imperialismus als Farce). Das Falkenbündnis, das von Vizepräsident Cheney und Pentagonchef Donald Rumsfeld angeführt wird, hat nach Einschätzung des Washingtoner Journalisten Jim Lobe in den vergangenen Monaten so viel Einfluss verloren, dass die "Realisten" um Außenministerin Condoleezza Rice sowie führende Militärs ein neues Machtzentrum in und um den Washingtoner Führungsapparat bilden konnten. Ausdruck dafür ist laut Lobe die vor kurzem vorgestellte Nationale Sicherheitstrategie der USA, in der der Diplomatie sehr viel mehr Raum gegeben werden soll (Die größte Bedrohung geht vom Iran aus).
Außerdem seien die zahlreichen Auslandsreisen von Rice sowie ihrer Stellvertreter Robert Zoellick und Nicholas Burns ein Hinweis für ein stärkeres Selbstbewusstsein bei den "Realisten". Der Vorgänger von Rice, Colin Powell, habe dagegen befürchten müssen, während eines längeren Auslandsaufenthalts in Washington von den Falken ausgebootet zu werden.
Jüngst äußern sich auch Militärs höchst kritisch über die Kriegsführung von Cheney und Rumsfeld. Der ehemalige Kommandeur der US-Truppen im Nahen Osten, Anthony Zinni, forderte kürzlich sogar Rumsfelds Rücktritt - wegen “desaströser Fehler” im Irak. Dabei sind sich Neokons und Militärs gegen den Willen Rumsfelds einig, dass mehr USA-Soldaten in den Irak geschickt werden müssten.
Auch die fundamentalistisch-christliche Rechte, die fast die Hälfte der Republikanermitglieder ausmacht, schert langsam aus der Koalition aus. Als Ereignis, das Schockwellen in der Szene auslöste, galt die Behandlung eines christlichen Konvertiten in Afghanistan, der knapp der Todesstrafe entging. Solcherlei "Demokratisierung" im Mittleren Osten durch US-Außenpolitik habe man sich von der Bush-Regierung nicht erwartet, hieß es enttäuscht bei den Evangelikalen.
Der Zerfall der Washingtoner Irakkriegskoalition bedeutet Lobes Auffassung zufolge kurzfristig eine außenpolitische Mäßigung. Mittelfristig sei eine Intervention gegen den Iran aber nicht auszuschließen. Denn im Gegensatz zum Irakkrieg, der von einer relativ schmalen Personengruppe geplant und politisch abgesichert wurde, würde ein parteiübergreifendes Bündnis den Iran als "strategische Gefahr" für die USA ansehen.