Post-Vac-Syndrom: Was Sie über die Symptome wissen sollten

Klaus-Dieter Kolenda
Spritze und Infusion

Long Covid, Post-Covid-Syndrom, Chronisches Fatigue-Syndrom und Post-Vac-Syndrom: Häufung nach Infektion oder Impfung. Hier die jüngsten Erkenntnisse.

In einem kürzlich erschienenen Telepolis-Artikel habe ich dargestellt, was Sie über die Krankheitsbilder Long Covid, Post-Covid-Syndrom (PCS) und Myalgische Enzephalomyelitis bzw. Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) wissen sollten.1

Dabei handelt es sich um Langzeitschäden durch Infektionen, vorwiegend mit Sars-CoV-2, die ein komplexes Erscheinungsbild und eine ungeklärte Pathogenese (Krankheitsentstehung) aufweisen und gravierende Folgen haben können.

Da das Post-Vakzinations- bzw. Post-Vac-Syndrom, abgekürzt PVS, wegen einer ähnlichen Symptomatik ebenfalls zu der Gruppe dieser Krankheitsbilder gerechnet wird, möchte ich Ihnen nachtragen, was ich darüber an Fakten in der wissenschaftlichen Literatur gefunden habe.

Anerkannte schwerwiegende Nebenwirkungen

Zunächst muss man sich klarmachen, dass es anerkannte schwerwiegende Nebenwirkungen der Corona-Impfung gibt. Dazu zählen Myokarditis und Perikarditis nach der Gabe der mRNA-Impfstoffe Comirnaty und Spikevax und Sinusvenenthrombose, Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndrom (TTS) und Guillain-Barré-Syndrom, ein neurologisches Krankheitsbild, bei den Vektor-Impfstoffen Vaxevria und Jcovden. Außerdem ist mit anaphylaktischen Reaktionen bei allen angewandten Vakzinen zu rechnen.2

Diese erwähnten schwerwiegenden Nebenwirkungen nach der Impfung wurden während der Corona-Pandemie "selten" bzw. "sehr selten" beobachtet, das bedeutet, sie wurden in den passiven Meldesystemen über Nebenwirkungen und Impfkomplikationen, die in Deutschland, Europa und den USA existieren, in einer Häufigkeit von 0,01 bis 0,1 Prozent oder weniger als 0,01 Prozent der Geimpften gemeldet.

Somit bedeutet "sehr selten" beispielsweise, dass eine Nebenwirkung oder Impfkomplikation bei weniger als einer Person bei 10.000 Geimpften oder verwendeten Impfdosen auftritt bzw. bei weniger als 100 Personen bei 1 Million Geimpften oder verwendeten Impfdosen beobachtet wird.

Wie ist hier das Post-Vac-Syndrom einzuordnen?

In meinem letzten Beitrag über die Sicherheit von Covid-19-Impfstoffen vom Juni 2023 hatte ich zum PVS geschrieben, dass dieses ein neuartiges Krankheitsbild mit Post-Covid-vergleichbarer Symptomatik (z.B. chronische Müdigkeit, Kopfschmerzen, Schwindel, Herz-Kreislaufbeschwerden) ist, das nach der Covid-19-Impfung auftreten könne.

PVS sei aber bisher kein anerkanntes Krankheitsbild und es existiere bisher auch keine einheitliche Definition für dieses Syndrom. In der Nebenwirkungsdatenbank des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) seien bis zum 6. Juli 2022 insgesamt 472 Post-Vac-Verdachtsfallmeldungen eingegangen.

Diese Einschätzung soll hier aktualisiert und präzisiert werden, indem ich die wichtigsten Aussagen einer ausführlichen Stellungnahme des PEI zum Thema "Post-Vac-Syndrom" nach Covid-19-Impfung vom 19.05.2023 kurz mitteilen möchte.

Dort heißt es, dass das PEI seit dem Beginn der Impfungen gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 Ende 2020 bislang 1.452 Meldungen über Verdachtsfälle von Impfnebenwirkungen erhalten habe, die als "Post-Vac-Syndrom" eingestuft werden.

In der Statistik enthalten seien demnach alle Fälle bis zum 31. März 2023. Der zeitliche Abstand von den Impfungen sei dabei jeweils unterschiedlich. Weiter heißt es in der Stellungnahme, die Symptome ähnelten denen bei Long- oder Post-Covid-Patienten.

Genannt werden das Chronisches Fatigue-Syndrom/Myalgische Enzephalomyelitis (CFS/ME), das Posturale Orthostatische Tachykardiesyndrom (POTS) einschließlich von Beschwerden, die als Post-Exertional Malaise (PEM; Unwohlsein nach Belastung) bezeichnet werden.

Kritisch wird angeführt, dass der Begriff "Post-Vac" keine medizinisch definierte Bezeichnung einer Erkrankung darstelle. Unter dem Begriff würden nach den vorliegenden Erkenntnissen verschiedene, länger andauernde Beschwerden beschrieben werden, wie sie auch mit Long-/Post-Covid in Verbindung gebracht werden.

Beim Vergleich der dargestellten absoluten Zahlen von Verdachtsmeldungen falle auf, dass zum Zeitpunkt der Auswertung mehr als 50 Prozent aller weltweit registrierten Verdachtsfälle (n=2.817) mit diesen Gesundheitsstörungen aus Deutschland berichtet wurden (n=1.547). Dabei sei zu beachten, dass in Deutschland keineswegs 50 Prozent aller Impfdosen weltweit verabreicht worden sind.

Bei der Betrachtung von Verdachtsfallmeldungen ist u.a. die Anzahl durchgeführter Impfungen mit dem jeweiligen Impfstoff zu beachten. In Deutschland wurden bislang über 192 Millionen Covid-19-Impfungen verabreicht.

Gemessen an den bislang verimpften Dosen von Covid-19-Impfstoffen und der Anzahl der gemeldeten Verdachtsfälle, in denen Beschwerden zum oben genannten Symptomkomplex berichtet wurden, ergibt sich eine Melderate von weniger als einem Verdachtsfall pro 100.000 Impfungen (0,73/100.000).

Somit werden solche Verdachtsfälle von Post-Vac "sehr selten" (siehe oben) im zeitlichen Zusammenhang mit Covid-19-Impfungen berichtet.

Weitere Erkenntnisse zum PVS

Vielversprechend erschien mir zunächst ein weiterer Artikel der Arbeitsgruppe um Carmen Scheibenbogen mit dem Titel "Post-Covid und Post-Vac: Die Pandemie nach der Pandemie" aus 2023.3

Dieser Text mit 67 Literaturzitaten zum Thema beschäftigt sich mit einem klinischen Algorithmus zur Abklärung von Patienten mit Post-Covid-Syndrom (siehe auch die entsprechende Grafik in diesem Artikel). Bezüglich PVS findet sich dort leider nur der Hinweis, dass es auch bei Post-Vac ähnliche Zustände wie bei PCS nach Impfung gegen Sars-CoV-2 gebe, die sich aber in den vorgestellten Algorithmus nicht einordnen lassen. Warum das so ist, wird aber nicht gesagt.

Nur zwei der vielen angeführten Literaturzitate beziehen sich auf PVS. Ein Zitat verweist auf einen Artikel in der Wissenschaftszeitschrift Science von Januar 2022.4 Dort wird geschildert, dass in seltenen Fällen Covid-19-Impfstoffe Long-Covid-Symptome auslösen können.

Dazu gehören der sogenannte "brain fog", Kopfschmerzen und Blutdruckschwankungen, die in der Forschung untersucht werden, wobei die Ursachen dieser Nebenwirkungen nach der Impfung weiter unklar sind.

Aber die Häufigkeit des Auftretens von Symptomen eines PVS nach einer Covid-19-Impfung wird sehr viel geringer eingeschätzt als die von Post-Covid-Symptomen nach einer Sars-CoV-2-Infektion.

Das zweite Literaturzitat verweist auf eine Arbeit von einer Gruppe Naturwissenschaftler aus Griechenland vom April 2022.5 Dort wird gesagt, dass Impfungen ein wichtiges Instrument zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie 2019 gewesen seien und mRNA-Impfstoffe von zentraler Bedeutung für die laufende Impfkampagne gewesen wären, die zweifellos Tausenden das Leben gerettet habe.

Es seien jedoch Nebenwirkungen nach der Impfung festgestellt worden, die möglicherweise durch eine proinflammatorische Wirkung der verwendeten Lipidnanopartikel der mRNA-Impfstoffe in menschlichen Geweben oder Organen verursacht sein könnten.

Das derzeitige Wissen zu diesem Thema stammt meist aus zellbasierten Versuchen oder solchen an Modellorganismen. Weitere Forschungen zu den zellulären bzw. molekularen Grundlagen der durch mRNA-Impfstoffe induzierten Nebenwirkungen seien daher für die Sicherheit der Impfstoffe wichtig, um das Vertrauen in die Impfung zu erhalten und der Gesundheitspolitik Orientierung zu geben.

Aktuelle Studie: Symptome und Erfahrungen bei PVS

Und schließlich möchte ich noch auf eine Veröffentlichung einer großen klinischen Arbeitsgruppe aus den USA hinweisen, die im November 2023 als Preprint publiziert wurde.

Darin werden im Rahmen einer deskriptiven Analyse die Symptome und Erfahrungen von 241 Patientinnen und Patienten (ab 18 Jahren) geschildert, die nach einer Covid-19-Impfung selbst über PVS berichteten und anschließend 14 Monate lang beobachtet wurden.6

Ergebnisse: Das mediane Alter der Teilnehmer betrug 46 Jahre, wobei sich 192 (80 Prozent) als weiblich und 209 (87 Prozent) als nicht-hispanische Weiße bezeichneten und 211 (88 Prozent) US-Bürger waren.

Von diesen Teilnehmern mit PVS hatten 127 (55 Prozent) den mRNA-Impfstoff von Pfizer und 86 (37 Prozent) den von Moderna erhalten. Die mediane Zeit vom Tag der Indeximpfung bis zum Auftreten der Symptome betrug drei Tage.

Die fünf häufigsten Symptome waren:

  • Belastungsintoleranz (71 Prozent),
  • übermäßige Müdigkeit (69 Prozent),
  • Taubheitsgefühle und Benommenheit (63 Prozent),
  • Gehirnnebel (63 Prozent) und
  • Neuropathie (63 Prozent).

In der Woche vor Abschluss der Umfrage berichteten die Teilnehmer, dass sie sich mindestens einmal unwohl (93 Prozent), ängstlich (82 Prozent) und sehr besorgt (81 Prozent) gefühlt haben. Außerdem bestanden Gefühle von Hilflosigkeit (80 Prozent), Angst (76 Prozent), Depression (76 Prozent), Hoffnungslosigkeit (72 Prozent) und Wertlosigkeit (49 Prozent).

Die Teilnehmer berichteten, dass sie durchschnittlich 20 Interventionen zur Behandlung ihrer Erkrankung erhalten hatten.

Fazit: In dieser Studie hatten Personen, die nach der Covid-19-Impfung über PVS berichteten, einen schlechten Gesundheitszustand, eine hohe Symptombelastung und ausgeprägten psychosozialen Stress, obwohl sie viele Behandlungen erhalten hatten. Weitere Untersuchungen sind notwendig, um diese Erkrankung richtig zu verstehen und effektiv zu behandeln.

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

1. Ich gehöre zu den Medizinern der älteren Generation und bin in der letzten Zeit auf eine Reihe von relativ "neuen" Krankheitsbildern gestoßen, die als Long Covid oder mit den Akronymen PCS, ME/CFS und PVS bezeichnet werden, wobei PCS "Post-Covid-Syndrom", ME/CFS "Myalgische Enzephalomyelits/Chronisches Fatigue-Syndrom" und PVS "Post-Vac-Syndrom" bedeutet.

2. Im Rahmen meiner noch gelegentlichen Gutachtertätigkeit bei Sozialgerichten in Schleswig-Holstein habe ich einige Patientinnen und Patienten mit diesen Krankheitsbildern näher kennengelernt und dabei festgestellt, dass es sich um Betroffene im mittleren Alter handelt, die durch diese Erkrankungen hinsichtlich ihrer Lebensqualität und beruflichen und sonstigen Leistungsfähigkeit zum Teil erheblich beeinträchtigt sind.

3. Diese Krankheitsbilder stehen zwar meist in einem Zusammenhang mit einer Infektionserkrankung, vor allem mit Covid-19, aber die eigentlichen Ursachen, das heißt, ihre Pathogenese ist noch weitgehend unklar. So gibt es bis heute keinen Labortest und auch kein bildgebendes Verfahren, mit dem die Existenz dieser Krankheitsbilder nachgewiesen werden kann.

4. Insofern wundere ich mich, dass es eine Reihe von "Experten" auf diesem Gebiet gibt, die eine rein somatische Ursache dieser Erkrankungen postulieren und eine seelische (auch teilweise) Verursachung strikt ablehnen.

5. Das ist mit ein Grund dafür, dass vielen Betroffenen, die unter ihren Beschwerden erheblich leiden, in der Rehabilitation nicht oder nur wenig geholfen werden kann, weil sie prinzipiell gegen psychotherapeutische Behandlungsmaßnahmen eingestellt sind. Diese könnten ihnen jedoch, unabhängig von den Vorstellungen über die mögliche Verursachung dieser Erkrankungen, bei der Krankheitsbewältigung helfen.

6. Dabei gibt es gute Gründe dafür, warum neben direkten biologischen Folgen der Infektion mit Sars-CoV-2 und anderer Krankheitserreger bzw. der Impfung auch psychosoziale Faktoren als mögliche Ursache für die oben genannten Erkrankungen zu diskutieren sind. 7

7. Da die Zahl der von den oben genannten Krankheitsbildern Betroffenen in Deutschland mittlerweile in die Hunderttausende gehen dürfte, besteht hier ein großer Forschungs- und Versorgungsbedarf.

8. Angemerkt sei noch, dass es bisher nur wenige Anlaufstellen für Erwachsene mit Verdacht auf PVS gibt: Dazu gehören eine Spezialambulanz für Post-Vac-Fälle am Universitätsklinikum Marburg sowie die neurologische Post-Covid-19-Sprechstunde an der Klinik für Neurologie, Charité Universitätsmedizin Berlin. Hier werden Post-Vac-Betroffene im Gegensatz zur Marburger Ambulanz allerdings nur bei primär neurologischer Manifestation betreut.

Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin – Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Seit 1978 ist er als medizinischer Sachverständiger bei der Sozialgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein tätig. Zudem arbeitet er in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit. E-Mail: klaus-dieter.kolenda@gmx.de

Fußnoten

[1] Kolenda KD.: Post-Covid- und Fatigue-Syndrom: Was Sie zu diesem Krankheitsbild wissen sollten. Telepolis, 24.04.2024

[2] Kolenda KD.: Was wir Mitte 2023 über die Sicherheit und Wirksamkeit von Covid-19-Impfstoffen wissen

Kolenda KD.: Gute Wirksamkeit der Covid-19-Impfstoffe gegen schwere Krankheitsverläufe

Kolenda KD.: Zur Sicherheit der fünf zugelassenen Covid-19-Impfstoffe

[3] Scheibenbogen C, et al.: Post-Covid-Syndrom und Post-Vakzin-Syndrom: Die Pandemie nach der Pandemie. Deutsches Ärzteblatt 2023; 120(13): A-566 / B-485

[4] Jennifer Couzin-Frankel, Gretchen Vogel: In rare cases, coronavirus vaccines may cause Long Covid–like symptoms. Brain fog, headaches, blood pressure swings are being probed by NIH and other researchers. Science. 20 Januar 2022

[5] Trougakos JP, et al.: Adverse effects of COVID-19 mRNA vaccines: the spike hypothesis. Epub 21. April 2022

[6] Krumholz HM, et al.: Post-Vaccination Syndrome: A Descriptive Analysis of Reported Symptoms and Patient Experiences After Covid-19 Immunization. medRxiv [Preprint]. 2023 Nov 10:2023.11.09.23298266. doi: 10.1101/2023.11.09.23298266.

[7] Hallek M, et al.: Übersichtsarbeit. Post-Covid-Syndrom. Deutsches Ärzteblatt Jg. 120, Heft 4, 27. Januar 2023