Präsidentschaftswahl in den USA
Seite 2: Auszüge aus "Die Machtelite"
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S. 48-50 Der Macht eines gewöhnlichen Menschen sind verhältnismäßig enge Grenzen gezogen, die sich etwa mit denen seiner alltäglichen Umwelt decken, also mit den Grenzen seines Familien- und Freundeskreises, des Berufslebens und der Nachbarschaft. Doch selbst innerhalb dieses kleinen Bereichs scheint der Durchschnittsmensch von mächtigeren Kräften, die er weder begreifen noch meistern kann, getrieben zu sein.
Auf umwälzende Veränderungen, die sein Verhalten und seine Anschauungen bestimmen, hat er keinerlei Einfluss, denn es liegt einfach in der Struktur der modernen Gesellschaft, dass sie dem Einzelnen Ziele setzt, die gar nicht die seinen sind. Von allen Seiten bedrängt und Veränderungen unterworfen, hat der Mensch unserer Massengesellschaft das Gefühl, ohne Lebensinhalt, ohne Ziel und Zweck in einem Zeitalter zu leben, das ihn zur Machtlosigkeit verurteilt.
Indessen sind keineswegs alle Menschen in diesem Sinne »gewöhnliche« Menschen. Die Zentralisierung sämtlicher Macht- und Informationsmittel bringt es mit sich, dass einige wenige in unserer Gesellschaft bestimmte Positionen einnehmen, von denen aus sie sozusagen auf die anderen herabsehen und die Alltagswelt der Durchschnittsmenschen mit ihren Entscheidungen beeinflussen können.
Diese wenigen sind nicht Sklaven ihres Berufs oder Gefangene ihres Arbeitsplatzes. Sie können vielmehr Arbeitsplätze für tausend andere schaffen oder beseitigen. Sie werden auch nicht von ständigen Alltags- und Familienpflichten eingeengt, sondern können ihnen, wenn sie wollen, jederzeit entfliehen. Sie sind auch nicht an einen bestimmten Ort gebunden, sondern können wohnen, wo und wie es ihnen beliebt. Für sie heißt es nicht, sie hätten nur »zu tun, was Tag und Stunde fordern«. Sie selbst stellen nicht wenige dieser Forderungen auf und sorgen dann dafür, dass andere sie erfüllen.
Ob sie es zugeben oder nicht: Durch ihre Erfahrung im Umgang mit den technischen und politischen Machtmitteln sind sie der ganzen übrigen Bevölkerung weit überlegen. Die Durchschnittsamerikaner könnten durchaus von den Mächtigen sagen, was Jacob Burckhardt über die »großen Männer« geschrieben hat: "Sie sind alles das, was wir nicht sind."
Die Machtelite besteht aus Männern, die sich kraft ihrer Positionen hoch über den begrenzten Horizont des Durchschnitts erheben. Ihre Stellungen geben ihnen die Möglichkeit, Entscheidungen von größter Tragweite zu treffen. Dabei ist nicht so wesentlich, ob sie von dieser Möglichkeit Gebrauch machen und solche Entschlüsse wirklich fassen oder nicht.
Ausschlaggebend ist vielmehr die Tatsache, dass sie auf Grund ihrer Schlüsselpositionen die Möglichkeit dazu haben. Unterlassen sie es zu handeln, versäumen sie, eine Entscheidung zu treffen, so hat dies oft schwerer wiegende Folgen als ihre tatsächlichen Entschlüsse; beherrschen sie doch die mächtigsten Hierarchien und Organisationen der modernen Gesellschaft. Sie leiten die großen Wirtschaftsunternehmen. Sie sitzen an den Schalthebeln des Staatsapparates und beanspruchen für sich alle Vorrechte, die sich daraus ergeben. Sie befehligen die Streitkräfte. In unserer Gesellschaftsstruktur nehmen sie die strategisch wichtigen Kommandostellen ein. Sie verfügen damit auch über alle Mittel, von der Macht, dem Reichtum und der Prominenz, deren sie sich erfreuen, wirksam Gebrauch zu machen.
Nun besteht aber die Machtelite keineswegs aus einsamen Herrschern. Die eigentlichen Herren ihrer Ideen und Entschlüsse sind oft Referenten, Berater und Gutachter, die Lenker und Gestalter der öffentlichen Meinung. Unmittelbar unter der Elite stehen dann die Berufspolitiker der mittleren Machtsphäre: die Kongressabgeordneten und Interessenvertreter einflussreicher Gruppen, außerdem die neue und die alte Oberschicht der Gemeinden, Städte und Regionen. Schließlich sind diese gehobenen Kreise noch in sehr eigenartiger, von uns noch genauer zu erforschender Weise mit den professionellen Berühmtheiten durchsetzt, die davon leben, dass man dauernd (aber, solange sie berühmt sind, niemals genug) über sie berichtet.
Wenn diese Berühmtheiten auch nicht an der Spitze einer der herrschenden Hierarchien stehen, so sind sie doch häufig dazu imstande, die Aufmerksamkeit der breiten Masse auf sich zu ziehen und von anderen Dingen abzulenken, oder einfach das Sensationsbedürfnis der Bevölkerung zu befriedigen. Darüber hinaus finden sie unmittelbar Gehör bei denen, die selbst Machtstellungen innehaben. Als Sittenrichter, Techniker der Macht, als Prediger des Wortes Gottes oder Schöpfer der Massengefühle mehr oder weniger ungebunden, gehören diese Ratgeber und Berühmtheiten mit zum Drama der Elite, dessen Hauptdarsteller die Männer in den Kommandostellen der großen institutionellen Hierarchien sind.
S. 371-375
Man hat gesagt, dass wir Geschichte nur studieren, um uns von ihr zu befreien. Die Geschichte der Machtelite ist ein perfektes Beispiel zur Erläuterung dieser These. Genau wie das Tempo des Lebens in Amerika ganz allgemein, so hat sich auch die Entwicklung der neuen Machtstruktur nach dem zweiten Weltkrieg erheblich beschleunigt. Gewisse neuere Entwicklungstendenzen innerhalb und zwischen den drei großen Institutionen haben sich bereits auf die Zusammensetzung der Machtelite ausgewirkt und der fünften Epoche eine bestimmte geschichtliche Bedeutung gegeben:
1. Suchen wir den Schlüssel zum Verständnis der heutigen Machtelite im Politischen, so liegt er im Niedergang der Politik als eine echte öffentliche Debatte mit alternativen Entscheidungsmöglichkeiten, bei der die politisch konsequenten und der ganzen Nation verantwortlichen Parteien, sowie die unabhängigen Organisationen, welche die niederen mit den höheren Ebenen der Verwaltung verknüpfen, unentbehrlich sind. Das heutige Amerika ist weit mehr eine formale politische Demokratie als eine demokratische Gesellschaftsform. Und sogar das formale politische Spiel funktioniert nur schwach.
Die lang andauernde Entwicklungstendenz der zunehmenden Verflechtung zwischen Wirtschaft und Regierung hat in der fünften Periode einen neuen Höhepunkt erreicht. Beide können jetzt nicht mehr als zwei verschiedene Welten betrachtet werden. In den Organen der Exekutive ist diese Vereinigung der Interessen besonders weit fortgeschritten. Das Anwachsen des Regierungsapparates mit all seinen Dienststellen und Behörden zur Überwachung der komplizierten wirtschaftlichen Verhältnisse bedeutet keineswegs nur eine "Vergrößerung der Verwaltung" als einer Art autonomer Bürokratie: Es bedeutet vielmehr den Aufstieg der Männer der Großindustrie zur politischen Herrschaft. Während des New Deal traten die Konzernreichen dem politischen Direktorat bei; seit dem zweiten Weltkrieg beherrschen sie es. Seit langem bereits mit der Verwaltung verflochten, nahmen sie damals die Leitung der Kriegswirtschaft vollständig in die Hand, und auch nach dem Krieg haben sie die Zügel nicht abgegeben. Dieses Eindringen von Konzernmanagern in das politische Direktorat hat die langsame aber fortschreitende Entmachtung der Berufspolitiker und ihre Verdrängung auf die mittlere Machtebene im Kongress wesentlich beschleunigt.
2. Suchen wir den Schlüssel zum Verständnis der heutigen Machtelite im Militärischen, so liegt er im wachsenden Einfluss des Militärs. Die Militärs haben entscheidende politische Bedeutung erlangt, und die militärische Organisation Amerikas ist heute in beträchtlichem Umfang zu einer politischen Organisation geworden. Die anscheinend ewig dauernde militärische Bedrohung von außen hat dazu geführt, dass man dem Militär und der militärischen Kontrolle von Menschen, Material, Geld und Machtmitteln höchsten Wert beimisst; jetzt werden praktisch alle politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen nach den Maßstäben einer militärischen Interpretation der Wirklichkeit beurteilt: Die Kriegsherren sind in eine sichere Position innerhalb der Machtelite der fünften Periode aufgestiegen.
Zum Teil ist diese Entwicklung das Ergebnis einer einfachen historischen Tatsache, die seit 1939 von entscheidender Bedeutung ist: Das Hauptaugenmerk der Elite ist nicht mehr auf die inneren Probleme des Landes gerichtet. In den dreißiger Jahren stand die Weltwirtschaftskrise im Mittelpunkt, später wurden internationale Probleme ausschlaggebend, und in den vierziger und fünfziger Jahren drehte sich schließlich alles um den Krieg. Da der Verwaltungsapparat der Vereinigten Staaten aus langer Gewohnheit ausschließlich auf ein inneres Gleichgewicht ausgerichtet ist und dabei gleichzeitig von ihm geformt wird, besaß er weder geeignete Traditionen, noch war er organisatorisch vorbereitet, mit internationalen Problemen fertig zu werden. Die in den anderthalb Jahrhunderten vor 1941 entstandenen formal-demokratischen Mechanismen waren niemals auf außenpolitische Probleme angewandt worden. Es ist im Wesentlichen dieses politische Vakuum, in das die heutige Machtelite vorstoßen konnte.
3. Suchen wir den Schlüssel zum Verständnis der heutigen Machtelite im Wirtschaftlichen, so liegt er in der Tatsache, dass unsere Wirtschaft gleichzeitig permanente Kriegswirtschaft und private Konzernwirtschaft ist. Heute ist der amerikanische Kapitalismus zum großen Teil ein militärischer Kapitalismus, und die wichtigste Beziehung zwischen der großen Aktiengesellschaft und dem Staat liegt in der Gemeinsamkeit militärischer und wirtschaftlicher Interessen, wie sie von den Militärs und den Konzernreichen definiert werden.
Diese Übereinstimmung der Interessen zwischen den hohen Militärs und den Herrschenden der Großindustrie stärkt die Stellung beider Gruppen innerhalb der nationalen Führungsschicht ganz erheblich und trägt zur weiteren Entmachtung der reinen Politiker bei. Nicht die Politiker, sondern die Manager der Wirtschaft setzen sich mit den Militärs zusammen, um die Organisation der Kriegswirtschaft zu planen.
Nur wenn wir diese drei Entwicklungstendenzen an dem Punkt betrachten, wo sie sich berühren und zusammenwirken, können wir die Zusammensetzung und das Wesen der heutigen Machtelite wirklich verstehen: Der militärische Kapitalismus der privaten Konzernwirtschaft existiert innerhalb eines geschwächten und nur noch formal demokratischen Systems, in dem die militärischen Institutionen ihrer Einstellung und ihrem Verhalten nach bereits zu politischen Faktoren geworden sind. […]
Welche der drei Gruppen gerade die Führung zu haben scheint, hängt von den jeweiligen "Erfordernissen der Lage" und von deren Einschätzung durch die Elite ab. Im gegenwärtigen Zeitpunkt richten sich diese Erfordernisse auf "Verteidigung" und Außenpolitik. Aus diesem Grunde hat das Militär - wie wir schon gesehen haben - höchste Macht gewonnen, und das in zweierlei Hinsicht: einmal personell, zum anderen in Form einer der Rechtfertigung dienenden Ideologie. Das ist der Grund, weshalb wir heute die Einheit und die Zusammensetzung der Machtelite am besten unter dem Gesichtspunkt der Vorherrschaft des Militärischen begreifen können.
Aber wir müssen immer die geschichtlichen Besonderheiten berücksichtigen und dürfen unsere Augen nicht vor der Vielfalt der Erscheinungen verschließen. Der Vulgärmarxist sieht im Großkapitalisten den Mann, der die wirkliche Macht besitzt; für einen doktrinären Liberalismus steht auf jeden Fall der Politiker an der Spitze der Machtpyramide; für andere sind wiederum die mächtigen Militärs geborene Diktatoren. Das alles sind vereinfachende Betrachtungsweisen. Um ihnen nicht zu verfallen, ziehen wir den Ausdruck »Machtelite« der Bezeichnung "herrschende Klasse" vor.
S. 464-466
Man stellt sich gewöhnlich die gehobenen Kreise als eine Elite berühmter Leute vor. In dem Kapitel über die Stars und Berühmtheiten haben wir festgestellt, dass die Elite der drei großen Machtbereiche keineswegs das Monopol auf öffentliche Anteilnahme besitzt. Sie teilt es mit den aufgeblasenen und frivolen Kreaturen aus der Welt der Berufsberühmtheit, deren Glanz den Blick von den wirklichen Machthabern ablenkt.
In dem Maße, wie öffentliche Aufmerksamkeit und Begeisterung den Berufsberühmtheiten zugutekommen, bleibt die Machtelite mehr oder weniger außerhalb des Blickfelds. Auf diese Weise bilden die Berühmtheiten eine Art Schutzschild für die Machtelite; oder - genauer gesagt - die Öffentlichkeit sieht die Machtelite nur durch Vermittlung der Berühmten aus der Welt der Vergnügungsindustrie, die - je nach Bedarf - belustigen, unterhalten oder Widerwillen erwecken.
Die Tatsache, dass es keine feste moralische Vertrauensgrundlage gibt, liefert den Menschen der Masse allen in der Vergnügungsindustrie üblichen Ablenkungs- und Manipulationsmethoden aus. Im Laufe der Zeit führt die allgemeine Abwertung der Ideale und Werte unweigerlich zu allgemeinem Misstrauen und Zynismus - zu einer Art Machiavellismus des kleinen Mannes. Er hat dann nur noch die Möglichkeit, in seiner Vorstellung an den Privilegien der Reichen, den nächtlichen Orgien der Berühmtheiten und dem traurig-glücklichen Leben der Superreichen teilzuhaben.
Von diesem allgemeinen Niedergang aber blieb ein altes amerikanisches Ideal unberührt: die Wertschätzung des Geldes und dessen, "was Geld kaufen kann". Diese Werte scheinen sogar in Zeiten der Inflation so fest und widerstandsfähig wie rostfreier Stahl zu sein. "Ich bin arm und reich gewesen", sagt Sophie Tucker, "und glauben Sie mir: reich sein ist besser."
Angesichts der Abwertung anderer Wertbegriffe stellt der Amerikaner nicht die Frage: "Gibt es etwas in der Welt, was Geld, auch wenn man es mit Verstand ausgibt, nicht kaufen kann?", sondern er fragt: "Wie viel von dem, was Geld nicht kaufen kann, ist wirklich begehrter und von höherem Wert als die käuflichen Dinge?" Geld ist das einzige unzweideutige Kriterium des Erfolgs und Erfolg in diesem Sinne ist noch immer der amerikanische Wertbegriff.
Wo immer die Maßstäbe des Geldes vorherrschen, wird der Reiche, wie er auch zu seinem Gelde gekommen sein mag, am Ende ein angesehener Mann sein. Eine Million, so heißt es, kann eine Vielzahl von Sünden vergessen machen. Nicht nur das Verlangen der Menschen richtet sich auf Geldgewinn, alle ihre Wertmaßstäbe sind davon abhängig.
In einer Gesellschaft, wo der Großverdiener keinen ernst zu nehmenden Rivalen im allgemeinen Ansehen hat, erhält das Wort "praktisch" automatisch die Bedeutung von "nützlich zur persönlichen Bereicherung", und das Wort "gesunder Menschenverstand" bezeichnet den Instinkt, der einen Menschen in die Lage versetzt, wirtschaftlich voranzukommen. Hinter dem Geld her sein ist das alles beherrschende Ideal, im Vergleich hierzu hat der Einfluss aller anderen Wertmaßstäbe an Bedeutung verloren. Daher geschieht es so leicht, dass die Menschen, wenn sie irgendwo Geld verdienen oder wertbeständigen Besitz erwerben können, mit äußerster Rücksichtslosigkeit vorgehen.
C. Wright Mills: Die Machtelite. Herausgegeben von Björn Wendt, Michael Walter und Marcus Klöckner
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