Preisdruck statt Sicherheit: Wie abhängig sind wir von Chinas Pharmaprodukten?

Christoph Jehle
Arzenei-Kapsel mit EU-Aufdruck umringt von Erlenmeierkolben mit China-Aufdruck

Seit Corona will Deutschland von Medikamentengrundstoffen aus China unabhängiger werden. Bislang ist es jedoch beim Wollen geblieben.

China bei in der Produktion von Medikamenten seit einigen Jahren ein wichtiger Produzent von Grund- und Wirkstoffen, was zu einer kritischen Abhängigkeit Deutschlands und anderer Länder führen kann, da sie auf Importe für die Herstellung von Medikamenten wie Antibiotika und Schmerzmitteln angewiesen sind.

Verschärfte Spionagegesetze in China führen derzeit zu Unsicherheiten, da deutsche Kontrolleure derzeit zurückhaltend sind, wenn es darum geht, Inspektionen vor Ort durchzuführen, was letztlich die Versorgung in der EU bedrohen könnte.

Der Preisdruck auf die Medikamente hat in Deutschland dazu geführt, dass immer mehr Grundstoffe aus Ländern importiert werden, wo zu Beginn die Fertigungskosten niedriger waren als in Deutschland und im Laufe der Zeit eine Konsolidierung der Produktion und somit die Konzentration auf wenige Fertigungsstandorte stattfand.

Der Ausfall einer Fabrik oder die Verunreinigung der Stoffe, die sich aus einer Produktionsumstellung ergeben kann, führt dann unweigerlich zu einem grundsätzlichen Lieferausfall für die daraus produzierten Medikamente.

Wenn China plötzlich nicht mehr liefert

Wenn China die Lieferung von Medikamenten plötzlich stoppen würde, gäbe es in Deutschland und Europa massive Lieferengpässe und Versorgungsdefizite, da viele Medikamente und deren Wirkstoffe aus China stammen.

Dies würde zu einem Mangel an Arzneimitteln führen, die von wichtigen Medikamenten wie Schmerzmitteln, Blutdrucksenkern und Antibiotika bis hin zu komplexen Krebs- und Schilddrüsenpräparaten sowie Antidiabetika reichen, meldete der Deutschlandfunk schon 2020.

Die während Corona sichtbar gewordenen Lieferengpässe betrafen vor allem Generika. Das sind Medikamente, deren Patentschutz ausgelaufen ist. Diese mehr als 80 Prozent des deutschen Arzneimittelmarkts aus. Zwar sind die Ursachen dieser Engpässe durchaus vielfältig. Aber ein Grund sticht immer wieder heraus. Die Verlagerung der Produktion von Wirkstoffen und Medikamenten nach Fernost, hauptsächlich nach China.

Damals stellte man fest, dass man sich mit den sichtbar gewordenen Lieferkettenverschiebungen noch verstärkt beschäftigen müsste. Inzwischen ist das Thema Lieferkettendokumentation gerade dabei, im Zusammenhang mit der Entbürokratisierung in der Versenkung zu verschwinden.

Und von der Idee, mehr Medikamentenproduktion nach Europa zurückzuholen, ist vor dem Hintergrund der Finanzierungskrise bei den gesetzlichen Krankenkassen auch nicht mehr viel zu hören. Was aus Kostengründen in Länder mit niedrigeren Kosten verlagert wurde, kann künftig nicht wieder in Deutschland produziert werden, ohne dass es zu kräftigen Kostensteigerungen kommt.

Indien ist keine Ausweichmöglichkeit

Bei der politisch oft geforderten Diversifizierung der Lieferketten wird immer wieder Indien angeführt. Das Land ist zwar ein wichtiger Produzent von pharmazeutischen Grundstoffen, insbesondere von Wirkstoffen für Generika wie Paracetamol und Ibuprofen, ist dabei jedoch oft von Grundstoffen aus China abhängig.

Die indische Pharmaindustrie hat zwar inzwischen Weltstandard bei der Medikamentenproduktion erreicht, steht jedoch im Zusammenhang mit der Umweltverschmutzung durch unzureichende Abwasserbehandlung noch immer vor größeren Herausforderungen. Weil die Verantwortung der Unternehmen an der Firmengrundstücksgrenze endet und die die Einleitung ungeklärter Abwässer in die Vorfluter die Bildung von Resistenzen gegen Antibiotika provoziert.

Eine Studie, die das Institut der deutschen Wirtschaft zusammen mit dem European Union Institute for Security Studies, dem Healthcare Supply Chain Institute und der Strategieberatung Sinolytics durchgeführt hatte, untersuchte, wie stark der europäische Pharmastandort heute von China abhängt und inwiefern die Stärke Chinas Ergebnis zielgerichteter Politik ist.

Die chinesische Politik hat die Pharmazie gezielt gefördert

Wie bei zahlreichen anderen Industriesparten von PV bis zur E-Mobilität und Batteriespeichern hat die chinesische Regierung, gezielt in die Herstellung von Arzneimitteln und ihrer Wirkstoffe investiert, zunächst für den eigenen Bedarf.

In der Folge entstanden große Produktionsanlagen für die Herstellung antibiotischer Erzeugnisse in China, die heute zu den wichtigsten Zulieferern weltweit zählen. Und die Hersteller in den Industrieländern griffen die preisgünstigen Zwischenprodukte gerne auf, um niedriger Preis im europäischen Markt zu realisieren.

So kommen heute etwa 80 Prozent aller pharmazeutischen Wirkstoffe aus Fernost, während 1980 noch etwa 80 Prozent in den heutigen EU-Ländern hergestellt wurden. Inzwischen liegen 63 Prozent aller Herstellerzulassungen für generische Wirkstoffe bei asiatischen Herstellern. Der europäische Anteil beträgt gerade noch 33 Prozent.

China ist nicht nur bei der Wirkstoffproduktion zu einem wichtigen Akteur in der Pharmaindustrie geworden, sondern auch bei den Patentanmeldungen. Das Land produziert heute 40 Prozent der in der EU verkauften Fertigarzneimittel, aber auch zunehmend innovative Medikamente und wird dabei von der Regierung gezielt als Innovationsstandort gefördert.

Die Rückverlagerung der Medikamentenproduktion nach Europa sollte die Abhängigkeit von internationalen Lieferketten, insbesondere aus Asien, verringern und die Versorgungssicherheit erhöhen.

Sie stößt jedoch auf so gewaltige Herausforderungen wie hohe Kosten für den Wiederaufbau von Produktionskapazitäten. Mit der Verlagerung des Einkaufs nach China kam hierzulande auch der Bau einschlägiger Fertigungsanlagen weitgehend zum Erliegen. Ohne staatliche Unterstützung kann der Aufbau neuer Pharmafertigungsstandorte in der EU kaum gelingen.