Pressefreiheit: Ja - aber nur mit Genehmigung
Rolle der Medien in einer Demokratie nicht verstanden? Reporter werfen deutscher Polizei vor, Pressearbeit massiv behindert zu haben
Für Journalisten ist es in Deutschland nicht immer leicht, ihrer Arbeit nachzugehen. Oft wurde darüber berichtet, wenn Pressevertreter bei Demonstrationen von Pegida und Querdenkern angegangen wurden. Weniger oft wurde in der Vergangenheit aber berichtet, wenn die Polizei den Medien ihre Arbeit schwermacht.
Ein solcher Fall hat sich Anfang Juni zugetragen. Aktivisten des Bündnisses "Ende Gelände" protestierten in Berlin gegen den Weiterbau der Autobahn A100. Im Vorfeld hatten sie angekündigt, eine frei zugängliche Baustelle an der Sonnenallee in Berlin-Neukölln zu besetzen - was sie in den Morgenstunden jenes Tages auch taten. Sie entrollten Transparente und riefen Sprechchöre. Die Polizei hatte das Gelände nicht abgesperrt, sondern stand in einiger Entfernung und schaute dem Treiben zunächst zu. Erst als die Aktivisten auf dem Gelände waren, schritten die Beamten ein, bedrängten zuerst Journalisten und setzten diese fest. So jedenfalls schilderte die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di den Vorfall.
Wie zwölf Journalisten in Gewahrsam landeten
Getroffen hat es demnach zwölf Journalisten. Sie seien in Gewahrsam genommen worden und hätten Anzeigen wegen Hausfriedensbruchs bekommen. Gegen sie wurden Platzverweise ausgesprochen, einer wurde sogar untersucht. "Es ist einfach ein Unding, dass unsere Kollegen, die allein schon durch ihr Kamera-Equipment als Pressevertreter erkennbar und zehn mit dem von der Innenministerkonferenz (IMK) legitimierten bundeseinheitlichen Presseausweis unterwegs waren, mit solchen Mitteln an der Ausübung ihres Berufs gehindert wurden", erklärte Renate Gensch, Landesvorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di Berlin-Brandenburg.
Einer der Betroffenen war Jörg Reichel, Landesgeschäftsführer der dju. Nach eigenen Angaben war er als Vermittler zwischen Polizei und Presse vor Ort. In einem Interview mit dem Magazin "Menschen. Machen. Medien" sagte er, er hätte sich vor Ort "frühzeitig an den ranghöchsten Polizisten gewandt, um Absprachen im Interesse ungehinderter Berichterstattung zu treffen". Doch das habe schnell dazu geführt, dass auch er in Gewahrsam genommen und eingekesselt wurde.
Derartige Vorfälle schlagen sich bislang kaum in Statistiken nieder. Reichel erklärte gegenüber Telepolis (TP), die Behinderung der Pressearbeit werde nicht in der Statistik von "Reporter ohne Grenzen", des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit (ECMPF) oder der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfasst. "Die NGOs dokumentieren nur tätliche Angriffe und andere Straftaten".
Seit März 2020 erfasst dagegen die dju Berlin-Brandenburg bundesweit diese Behinderungen der Pressearbeit. Grundsätzlich lasse sich feststellen, so Reichel, dass sowohl Polizei als auch Bundespolizei die Pressearbeit bundesweit in "signifikanter Höhe" behindert hat. In Berlin behauptete die Polizei, die Journalisten hätten sich "aktivistisch" verhalten und seien "Teil der Versammlung" gewesen. Dabei lasse sich, so Reichel, ein klarer Unterschied zwischen Journalisten und Aktivisten ausmachen:
Ein Aktivist ist jemand, der auf einer Demo Schilder oder Transparente trägt, klatscht oder rufend an einer Demo teilnimmt. Ein Journalist verhält sich passiv auf einer Demo und bestimmt nicht Inhalt, Form und Ausrichtung einer Demonstration.
Reichel erklärte weiter: "Wenn es um das Warum geht, dann hat die Polizei, salopp gesagt, immer eine Ausrede für die Einschränkungen von journalistischer Arbeit parat". Mal müsse der Fahrweg freigehalten werden und deshalb dürfe eine Demonstration nicht von vorn fotografiert werden; mal ziehe man die Kontrolle des Presseausweises über Gebühr hinaus; ein anderes Mal unterstelle man Journalisten, die mit langen Objektiven fotografieren wollen, sie würden Portraitfotos veröffentlichen wollen, weshalb man deren private Daten notieren müsse.
Presserechtlich mangelhaft geschult
Einen wesentlichen Grund für diese Schikanen sieht Reichel darin, dass Polizisten nur mangelhaft in Sachen Presserecht geschult seien. Eine distanzierte bis gegnerische Haltung zu den Medien sei ein weiterer Grund. Auch Rolle und Bedeutung der Medien in einer Demokratie würden oft nicht verstanden.
So werde die Anwesenheit der Presse bei Demonstrationen und Veranstaltungen, wie zum Beispiel beim Landesparteitag der AfD Berlin, von der Polizei als Provokation eingeordnet. Die Beamten forderten Journalisten auf, sich zu entfernen, statt die Pressefreiheit zu schützen. "Die Presse hat unstreitig das Recht, sich bei einem Landesparteitag unmittelbar zehn Meter davor hinzustellen und Film- und Videoaufnahmen von den an- und abfahrenden Mitgliedern des Parteitages anzufertigen", so Reichel. Nach dem Berliner Versammlungsfreiheitsgesetz habe die Polizei sogar die Aufgabe, die Pressefreiheit zu gewährleisten; aber das Gegenteil sei der Fall.
Im Fall der Proteste gegen den Weiterbau der A100 gehe es darum, so Reichel, "ob die Presse das Recht hat, kurzzeitig zum Zwecke der Berichterstattung ein fremdes Gelände, hier sogar in der Eigentümerschaft der BRD, zu betreten". Wenn ein Journalist berichtet, filmt, fotografiert, dann dürfe das nicht strafbar sein, da dies sowohl Pressefreiheit als auch öffentliches Interesse legitimierten. "Es gibt aber leider zurzeit keine grundlegende Referenzrechtsprechung dazu, da solche Verfahren meist gegen Zahlung von ein paar hundert Euro eingestellt werden." Im Interview mit dem Magazin "Menschen. Machen. Medien" hatte Reichel eine Entschuldigung der Polizei gefordert für ihr Vorgehen gegen Medienvertreter. Wie er jetzt gegenüber Telepolis erklärte, hat die Berliner Polizei gegenüber der dju angekündigt, in Zukunft wieder so zu handeln - es sei denn, die Journalisten holen sich eine Genehmigung beim Grundstückseigentümer für das Betreten des Geländes.