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Pressefreiheit: Journalist erzwingt Zugang zu Bundespressekonferenz

Harald Neuber

Muss das Grundgesetz beachten: Bundespressekonferenz. Bild: Vincent Eisfeld, CC BY-SA 4.0

Nach Sieg vor Gericht nimmt Redakteur der Nachdenkseiten an Regierungspressekonferenz teil. Doch deren Organisatoren möchten ihn wieder loswerden. Was es mit dem Fall auf sich hat.

Dieser Termin dürfte von beiden Seiten mit Spannung erwartet worden sein: Nach einer Niederlage in erster Instanz vor dem Landgericht Berlin Ende Juni musste die Bundespressekonferenz einem Journalisten des Online-Portals Nachdenkseiten am heutigen Mittwoch wieder Zutritt gewähren.

Es blieb einem sogenannten Alternativmedium, Nachdenkseiten/ Florian Warweg überlassen, in der BPK nach den Widersprüchen des Bundeskanzlers in der Warburg-Affäre zu fragen! Der Regierungssprecher kann und will meinen Vorwurf der uneidlichen Falschaussage von Scholz nicht entkräften! Daher wiederhole ich: Der Kanzler lügt und er kann mich nicht widerlegen!

Fabio de Masi

Zuvor war der Verein mit dem Versuch gescheitert, dem Parlamentskorrespondenten des Portals, Florian Warweg, die Teilnahme an Pressekonferenzen zu verweigern. Die Bundespressekonferenz ist ein privater Verein, der unter anderem die wöchentlichen Regierungspressekonferenzen veranstaltet, bei denen Sprecher der Bundesregierung und der Ministerien den Pressevertretern Rede und Antwort stehen.

Der Rechtsstreit zwischen der Bundespressekonferenz als Beklagte und Warweg als Kläger war und ist ungewöhnlich: Warweg sieht sich als Journalist sozusagen in einer Mission gegen ein Regierungs-Medien-Syndikat, in dem Kolleginnen und Kollegen, die der Bundespressekonferenz angehören, ihrer kritisch-demokratischen Rolle aus einer falschen Zurückhaltung heraus nicht mehr gerecht werden.

Dementsprechend kritisierte er, nachdem er wieder Zugang zu den Protokollen der Bundespressekonferenzen erhalten hatte, dass nach einer Strafanzeige gegen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) "wegen uneidlicher Falschaussage zur Warburg-Affäre" Ende August keine Fragen zu diesem Thema gab. „Ergebnis: 0,0 Fragen“, kommentierte er auf dem Kurznachrichtendienst X, vormals Twitter.

Der Verein Bundespressekonferenz hingegen spricht Warweg seine Rolle als Journalist ab und erhob eine Reihe von Vorwürfen, denen das Landgericht Berlin in erster Instanz (Az.: 4 O 29/23) jedoch nicht folgte.

Zwar sei der eingetragene Verein "Bundespressekonferenz" nicht verpflichtet, Warweg die beantragte Mitgliedschaft zu gewähren. Der Zugang zu den Pressekonferenzen müsse dem Journalisten aber in vollem Umfang gewährt werden, schreibt das Gericht in seiner Urteilsbegründung.

Dem eingetragenen Verein "Bundespressekonferenz e.V." gehören nach eigenen Angaben rund 900 hauptberufliche Journalisten deutscher Medien an, Vertreter ausländischer Medien können über den "Verein der Ausländischen Presse in Deutschland" einen Gaststatus beantragen.

Die Bundespressekonferenz unterhält historisch gewachsene, enge und ständige Kontakte zur Bundesregierung und den Ministerien.

Die Nachdenkseiten wurden 2003 zunächst gegründet, um eine kritische Auseinandersetzung mit den damaligen Arbeitsmarkt- und Rentenreformen zu ermöglichen. Später entwickelten sich die Nachdenkseiten zu einem umfassenden Informationsangebot. Herausgeber ist der frühere SPD-Politiker Albrecht Müller.

Bundespressekonferenz will Warweg wieder loswerden

Die Vertreter der Bundespressekonferenz hätten sich angesichts seiner Forderung nach einer erneuten Teilnahme am Mittwoch fair verhalten, schrieb Warweg nach der Regierungspressekonferenz am heutigen Mittwoch [1] auf dem Kurznachrichtendienst X. Er habe drei Fragen stellen dürfen: Eben zur Strafanzeige gegen Scholz, "zur derzeit laufenden Anti-Nachdenkseiten-Kampagne finanziert vom Familienministerium sowie zu den krassen Aussagen von (Außenministerin Annalena) Baerbock (Grüne) in Kiew".

Dennoch hatte eine Vertreterin der Bundespressekonferenz gegenüber Telepolis am heutigen Mittwochvormittag bestätigt, dass ihr Verein „gegen das Urteil des Landgerichts Berufung eingelegt“ hat: „Wir bitten um Verständnis, dass wir uns darüber hinaus nicht dazu äußern.“ Auch die von der Bundespressekonferenz mandatierte Kanzlei lehnte eine Stellungnahme ab.

Nun darf Warweg also an den Konferenzen teilnehmen, gleichzeitig versucht der Informationsmonopolist Bundespressekonferenz weiter, ihn loszuwerden. "Ich freue mich, dass ich dank eines funktionierenden Rechtsstaates wieder hier bei Ihnen sein darf", leitete er seine Frage ein. Regierungssprecher Steffen Hebestreit konterte: „Ich freue mich auch, Sie wieder hier zu sehen.“

Das war schon ein bisschen witzig - und gleichzeitig auch ein bisschen unehrlich. Denn hinter dem Streit steckt eine unausgesprochene politische und strukturelle Frage nach der Funktion einer Veranstaltung wie der Bundespressekonferenz und der Rolle der Journalisten im politischen Berlin.

Historisch betrachtet ist die „BPK“ ein tendenziell regierungsnaher Club und verhielt sich stets auch so. Dass Warweg damit offensiv bricht und ebendies gewissermaßen zu seinem Markenzeichen macht, will man ihm weder zugestehen noch verzeihen. Dabei wäre es auch die Chance für den Verein, die eigene Rolle neu zu definieren.

Zugleich spricht aus der Reaktion der Bundespressekonferenz eine gewisse Naivität, ein falsches Sicherheitsgefühl, vielleicht sogar eine Arroganz der Macht, die ihr das Berliner Landgericht erst einmal genommen hat.

Grund dafür war die durchweg schwache bis skurrile Argumentation. Sie gipfelte in der Behauptung, Warweg habe einen Kollegen der Nachrichtenagentur als „Kanzlerkorrespondenten“ verspottet. Tatsächlich hatte die dpa ihren Mitarbeiter Jörg Blank [2]ebenso wie seinen Nachfolger Michael Fischer [3] – selbst öffentlich als "Kanzlerkorrespondent" bezeichnet.

Nicht nur angesichts solcher Fauxpas der von der BPK beauftragten Berliner Kanzlei Schwarz sieht Warweg der Berufungsverhandlung mit einer gewissen Vorfreude entgegen: "Erstens wird ein solcher Prozess öffentlich sein und zweitens können wir Zeugen vorladen, etwa ehemalige Ministeriumssprecher oder auch den ehemaligen Regierungssprecher Steffen Seibert [4]." Der ist heute Botschafter in Israel.

Am Mittwoch jedenfalls sorgte Warwegs Frage zu der Anzeige gegen Bundeskanzler Scholz für prompte Reaktionen. Der Finanzexperte und ehemalige Bundestagsabgeordnete Fabio de Masi schrieb auf X [5]:

Ablehnung aus politischen Gründen?

Der laufende Rechtsstreit hatte begonnen als Warweg als Parlamentskorrespondent Zugang zu den Veranstaltungen der Bundespressekonferenz beantragte. Zunächst hatte der Verein seine Arbeitsproben über parlamentarische und bundespolitische Themen bestätigt – um den Antrag dann zurückzuweisen. So stand der Verdacht im Raum, dass dieser Ablehnung politische Gründe zugrunde lagen und die Nachdenkseiten für die Bundespressekonferenz schlichtweg zu kritisch berichtete.

Das Berliner Landgericht resümiert, die Zurückweisung sei "mit den fehlenden sachlichen und persönlichen Voraussetzungen, insbesondere der fehlenden Tätigkeit als Parlamentskorrespondent, dem bisherigen Verhalten des Klägers und der Besorgnis des Beklagten über die Einhaltung journalistischer Standards durch den Kläger" begründet worden.

Das Gericht folgte keinem dieser Einwände. Vielmehr stellten die Richter fest, Warwegs Anspruch auf Zugang zur Bundespressekonferenz leite sich aus den Artikeln 2 und 3 des Grundgesetzes ab: Darin heißt es:

"Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet" (Art. 5 Abs. 1 HS 2 GG) und "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich" (Art. 3 Abs. 1 GG).

Das erstinstanzliche Urteil und der Rechtsstreit in Gänze sind aus zwei Gründen beachtlich für den Umgang mit sogenannten Alternativmedien, also Redaktionen, die sich selbst nicht dem privatunternehmerischen oder öffentlich-rechtlichen Mainstream zuordnen oder ihm nicht zugeordnet werden.

Zum einen sind Vertreter diese Redaktionen anderen Journalisten zunächst gleichzusetzen. Dies wäre im vorliegenden Streitfall durch den Ausschluss vom exklusiven Zugang zu Regierungsinformationen und -Vertretern nicht mehr gewährleistet gewesen. Mit anderen Worten: Die Bundespressekonferenz hat mit der Verweigerung nach dem aktuellen Urteil das Grundgesetz verletzt.

Zum anderen haben die Berliner Richter den journalistischen Charakter der Nachdenkseiten bestätigt und inhaltlichen sowie professionell Einwänden eine Absage erteilt.

Und so begründete das Berliner Landgericht sein Urteil

In der Urteilsbegründung heißt es dazu:

Vorliegend kommt es entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht darauf an, ob die NachDenkSeiten als Nachrichtenmagazin zu bewerten sind. Denn nach der Satzung des Beklagten wird nur die Tätigkeit für Tageszeitungen, Wochenzeitungen, Wochen- und Monatszeitschriften verlangt, denen entsprechende Onlinemedien gleichgestellt sind (insoweit kommt es für die vorliegende Entscheidung nicht auf die weiteren aufgezählten Medien an). Daraus folgt, dass Voraussetzung der Mitgliedschaft nicht die unmittelbar in zeitlichem Zusammenhang stehende Berichterstattung zu tagesaktuellen Themen Voraussetzung für diese ist, sondern lediglich, dass ein Arbeitgeber, der zu diesen Medien gehört, über die Thematik der Bundespolitik berichtet, unabhängig davon, ob das in tagesaktuellen oder in Zeit übergreifenden Berichten oder Analysen erfolgt. Für all diese Arten der Berichterstattung, werden jedenfalls hinreichende Informationen, gegebenenfalls eben auch tagesaktuell, benötigt. (…)

Eine Vielzahl der Titel weisen darauf hin, dass sie sich mit dem Krieg in der Ukraine und der Reaktion der Bundesregierung bzw. der europäischen Union bzw. den USA hierauf beschäftigen. Dieser Krieg ist jedenfalls ein die Außenpolitik beherrschendes Thema der Bundespolitik und hat darüber hinaus auch erhebliche Auswirkungen auf die innerdeutsche Politik. Sei es im Hinblick auf die Wirkungen der verhängten Sanktionen für die betroffenen Unternehmen oder für die deutsche Bevölkerung. Darüber hinaus wer- den weitere Themen behandelt, wie etwa das Verhältnis der Regierungsparteien zueinander und zu anderen Politikern. Die Lektüre der entsprechenden Artikel zeigt darüber hinaus, dass die angesprochenen Themen durchaus auch inhaltlich behandelt werden, jedenfalls aus der Sicht des sie verfassenden Klägers. Der Beklagte hat demgegenüber nicht substantiiert dargestellt, dass bei einer derartigen Anzahl von Artikeln innerhalb einer recht kurzen Zeit, gleichwohl nicht die satzungsgemäß geforderte überwiegende Berichterstattung zu bundespolitischen Themen vorliegt.

Die Berufungsverhandlung findet vor dem Kammergericht Berlin statt, ein Termin steht bislang nicht fest.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9230366

Links in diesem Artikel:
[1] https://twitter.com/FWarweg/status/1701929075441332450
[2] https://twitter.com/dpa_unternehmen/status/912650924228775936?lang=de
[3] https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20211207_OTS0058/michael-fischer-wird-kanzlerkorrespondent-der-dpa-foto
[4] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/steffen-seibert-377052
[5] https://twitter.com/FabioDeMasi/status/1702280821896335670?s=20