Pressefreiheit und Corona: "Panik ist kein guter Ratgeber"
- Pressefreiheit und Corona: "Panik ist kein guter Ratgeber"
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Sabine Schiffer über das rauere Klima gegen Journalisten, Gefahren durch Projekte gegen Desinformation und verengte Diskurskorridore nach einem Jahr Pandemie
Zum heutigen Internationalen Tag der Pressefreiheit hat Telepolis mit der Sprachwissenschaftlerin und Medienpädagogin Sabine Schiffer über die Situation der Branche nach einem Jahr Corona-Pandemie gesprochen. Dabei geht es nicht nur um die offensichtlichen Einschränkungen der Pressefreiheit, wenn etwa Journalistinnen und Journalisten gewaltsam an der Ausübung ihres Berufes gehindert werden.
Im Interview mit Telepolis äußert sich Schiffer auch zu subtileren Trends: der Polarisierung der Branche, vorschnellen Einordnung von kritischen Akteuren in das Lager der "Corona-Leugner", aber auch über (über-)staatliche Angriffe auf diskursive Freiheiten, wenn es etwa um das Thema Russland geht.
Deutlich wird in dem Gespräch mit der Geschäftsführerin des Instituts für Medienverantwortung, dass die Freiheit der Presse von vielen Seiten eingeschränkt werden soll.
Frau Schiffer, die Organisation Reporter ohne Grenzen hat Deutschland in ihrem Ranking unlängst herabgestuft - wegen Angriffen auf Journalisten bei Demonstrationen von Gegnern der Corona-Maßnahmen. Da stellt sich zum heutigen Welttag der Pressefreiheit die Frage: Wie hat sich die Corona-Pandemie auf Medien und Meinungsfreiheit ausgewirkt?
Sabine Schiffer: Angriffe auf Journalisten nehmen tatsächlich zu - nicht nur an Zahl, sondern auch an Vehemenz. Drehs müssen immer wieder abgebrochen werden, Equipment geht verloren, aus verbalen Attacken werden physische Angriffe. Und - das gilt es zu betonen - die Vertreter des Staates stellen sich nicht immer schützend vor die betroffenen Medien.
Manchmal hat es gar den Anschein, dass einzelne Polizisten mit Pöblern und Angreifern sympathisieren. Das mögen Einzelfälle sein, aber das darf es überhaupt nicht geben. Aber seien wir ehrlich: Erinnern wir uns an die Diffamierung bis Kriminalisierung von Journalisten beim G20-Gipfel in Hamburg. Dort wurden viele aufgrund zweifelhafter Datensammlungen als linke Aktivisten verdächtigt.
Einige Kolleginnen und Kollegen bekamen die Akkreditierung entzogen. Später musste sich die Polizei deswegen entschuldigen.
Sabine Schiffer: So neu ist das Thema also nicht. Und natürlich bieten derlei staatlich insinuierte Vorgaben das legitimierende Futter für Verschwörungsideologen.
Frau Schiffer, ist es gefährlicher geworden, als Journalist zu arbeiten?
Sabine Schiffer: Das scheint auch hier für Deutschland so zu sein, auch wenn die nun häufiger auftauchenden Bilder und Mitschnitte nur eine anekdotische Evidenz haben. Erste Zählungen des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) bestätigen die Vermutung aber. Dabei darf jedoch nicht aus dem Blick geraten, dass die physischen Angriffe und Morddrohungen gegen Journalisten aus der rechten Szene und von Kritikern der Corona-Maßnahmen nur die eine Seite der Medaille sind.
Die andere Seite ist die Einteilung in gute und böse Journalisten, also eine Art Gesinnungsjournalismus, der von EU-Seite – Stichwort: East-StratCom – propgagiert wird und darauf abzielt, bestimmte Meinungen gerade zur Corona-Pandemie als russische Feindpropaganda auszumachen.
Die East StratCom Task Force ist eine Arbeitsgruppe des Europäischen Auswärtigen Dienstes, die sich die Aufklärung vermeintlicher russischer Propaganda zur Aufgabe gemacht hat. Die mit zunehmenden Millionenmitteln ausgestattete Einheit ist selbst EU-intern umstritten, weil sie sich auf eine kleine Gruppe politisch motivierter Aktivisten stützt und mindestens in einem Fall haltlose Vorwürfe gegen westeuropäische Journalisten erhoben hat.
Sabine Schiffer: Ja, strategische Kooperation bedeutet PR und nicht Journalismus. Und die Kooperation mit der Nato müsste doch alle Journalisten alarmieren. Das ist eine gefährliche Tendenz, denn wo will man die Grenze zwischen Spinnerei, legitimer Kritik, gefährlicher Desinformation und Irrtum ziehen? Und was ist als Nächstes dran? Zugleich erlaubt uns der neue Medienstaatsvertrag, unliebsame Player, die vielleicht wirklich ins Verschwörerische abgedriftet sind, abzumahnen und abzuschalten. Auch hier die Frage: Who is next?
Gerade mit Blick auf die Corona-Berichterstattung scheint mir ja auf allen Seiten überhaupt nicht mehr erkennbar, wer als Journalist und/oder Aktivist unterwegs ist. Da hat vieles mitunter schon etwas Missionarisches.