Probleme mit der Phantomatik
Noch ist die Virtuelle Realität nicht wirklich immersiv.
In letzter Zeit begannen zumindest die sensibleren amerikanische Journalisten mit Mißbehagen über eine neue Art von Werbespots zu schreiben, die in ihrem Fernsehen gezeigt werden. Man konnte z.B. Fred Astair sehen, der mit dem neuesten Staubsaugermodell tanzt, oder John Wayne, der es sich mit einer neuen Biersorte gemütlich macht. Das eine oder das andere ist insofern scheinbar merkwürdig, weil sie beide bereits tot sind und die Animateure im Auftrag der Reklame die Toten auferstehen lassen. Der irritierte Russel Baker schrieb in International Herald Tribune, daß man jetzt auch die Feuerbrunst in Moskau aus dem Jahre 1812 erwarten könne, samt Napoleon Bonaparte, der behaupten würde, wenn man damals einen Feuerlöscher einer gewissen Firma eingesetzt hätte, dann wäre Moskau nicht in Flammen aufgegangen.
Solche geschmacklosen Ansätze werden sicherlich ihre noch schockierendere Fortsetzung finden. Nichts verhindert, wenigstens in USA, daß beispielsweise eine Marylin Monroe in einem drastischsten Akt mit einem Gorilla gezeigt wird. Und dem steht auch nichts im Wege, weil die Regel "nullum crimen sine lege" gilt. Wenn also eine Handlung nicht unter das Strafgesetzbuch fällt, kann man sich voll ausleben. Bisher ist nämlich niemand auf die rechtliche Idee gekommen, das Auferwecken von gestorbenen Personen, egal ob sie ehrwürdig oder nicht sind, zu verbieten und bei einer Verwirklichung mit einer Strafe zu versehen.
Diese geschmacklosen "Belebungen" von Toten für Werbezwecke seien hier nur einleitend angeführt, weil es mir nicht um die Animationen geht, die in letzter Zeit z.B. Filmemacher realisieren - wie bei den durch Computertricks verbesserten "STAR WARS" -, sondern um den eigentlich immer noch nicht erschlossenen Bereich voller und echter "virtueller Realität", die nach meiner Terminologie PHANTOMATISIERUNG heißt. Wie ich bereits 1963 schrieb, geht es um den Anschluß aller Sinne eines Menschen an einen Computer, der ihn "phantomatisiert", also ihn scheinbar in die fiktive Wirklichkeit eintaucht. Das kann ein unschuldiger Spaziergang auf der Akropolis, ein Einstieg in die Tiefen der Kraters des Ätna oder des Vesuv, eine Romanze mit Kleopatra, der Königin von Ägypten, oder ein Kampf mit der "Gottesgeißel" Attila sein. Man konnte bereits ziemlich bescheidene Ansätze einer solchen vollen Phantomatisierung verwirklichen, aber es zeigte sich schnell, daß es einige unterschiedliche Arten von Schwierigkeiten gibt, die man nicht ganz überwinden kann. Ich werde sie hier aufzählen und einigermaßen beschreiben.
Probleme einer totalen Phantomisierung
Über das trivialste Problem habe ich bereits geschrieben: Wenn ein Mensch in der phantomatischen Fiktion einer anderen Person begegnen soll, dann kann er sich mit ihr unterhalten, wenn es eine REALE (in seine Fiktion eingeschlossene) Person ist, und allgemeiner, wenn es sich um ein Treffen mit einem bewußten und sich vernünftig verhaltenden Partner handelt. Das Phantom einer Person kann sich dagegen nicht vernünftig präsentieren, weil kein Programmierer in der Welt imstande ist, die KÜNSTLICHE INTELLIGENZ in Gang zu bringen. Das hat eine ziemlich drastische Seite, denn man kann durchaus auch sexuelle Kontakte mit beliebigen fiktiv projizierten Menschen oder (wie ich am Anfang bemerkte) für intime oder sogar obszöne Zwecke "wiederbelebten" Personen realisieren, solange diese nur ständig SCHWEIGEN. Man kann die Kopulation programmieren, aber mit einem Gespräch geht das einfach nicht ...
Da die phantomatische Resurrektion jedoch programmiert werden muß, wie z.B. das Rennen von Dinosauriern im "Jurassic Park", wird das Problem auf das Budget reduziert. Das Rennen der Dinosaurier kann kurz dauern, es bedarf jedoch einer wochenlangen Ameisenarbeit der Programmierer. Es ist also einfach auf KOSTEN zurückzuführen, und der Kern der Sache ist, ob sich die Bezahlung der Arbeiten für die Programmierung der Fiktion LOHNEN wird. Es ist selbstverständlich, daß STAR WARS (als sogenanntes "Remake") wiederaufgeführt wurde, weil sich die Produzenten sicher waren, daß die Kasseneinnahmen der neuen Filme die Entwicklungskosten mit einem kolossalen Überschuß zurückerstatten werden. Vergessen wir nicht, daß jetzt über alles auf der Welt Gesetze des Angebots und der Nachfrage, also, direkt gesagt, die MARKTGESETZE herrschen. Wenn sich jedoch derjenige, der ein beliebiges phantomatisches Abenteuer erleben möchte, mit diesem Wunsch an Spezialisten wendet, wird man ihm ausrechnen, wieviel die Erfüllung seiner Träumerei kosten würde, und diese Kosten können sich für den Einzelnen als "Kunden" als hinderlich erweisen. Deswegen "gedeihen" gegenwärtig das INTERNET und alle anderen (lokalen und nicht lokalen) Netze, während es um das ganzheitliche "Eintauchen" in die Tiefe der phantomatisierten Vision still geworden ist: an ein Netz angeschlossen zu sein, ist halz ziemlich billig.
Also einer der Faktoren, die die Phantomatisierungsgelüste und die Entstehung von "Phantomatikstudios" bremsen, ist gegenwärtig einfach die Finanzfrage. Wie ich mich gleich bemühe zu erklären, ist das aber nicht die EINZIGE Schwierigkeit bei der Realisierung von phantomatischen Erlebnissen. Aber um die Sache nüchtern zu betrachten, beginne ich mit den Finanzen, weil das, was sich jetzt NICHT LOHNT, einfach nicht produziert wird: so ist nun einmal das Alpha und Omega der kapitalistischen Wirtschaft ...
Ich vermute, daß die Herstellung von phantomatischen Programmen im Laufe der Zeit immer billiger werden wird - und dann wird die nächste Etappe der Aktivität eintreten. Es werden Kataloge, vor allem von TYPISCHEN, also STANDARDISIERTEN VISIONEN entstehen, und ihre Benutzung als elektronische Dienstleistung wird für durchschnittlich wohlhabende Personen erschwinglich sein (eine Expedition auf den Mount Everest, auf den Mars, in das Jerusalem, wie es vor 2000 Jahren ausgesehen hat, die Anwesenheit zwischen raubgierigen Dinosauriern vor 65 Millionen Jahren, Löwenjagd etc. ohne Ende). Diese Art von Programmen wird keine INDIVIDUELLE ANPASSUNG an die Person, geschweige denn an die Persönlichkeit des Kunden erfordern. Der Kunde wird sich lediglich eine Vision aus dem Katalog auswählen, die ihm gefällt, einen Satz von Elektroden, eine Brille usw. aufsetzen, um dann zu erleben, was er bestellt hat, und für seine phantomatischen Erlebnisse bezahlen.
Es können aber auch Kunden kommen, die wohlhabender und anspruchsvoller sind und die sich z.B. Raumfahrten oder die Annäherung an die "Fläche des Geschehens" eines galaktischen Schwarzen Lochs, einen akrobatischen Flug, einen Sturz von der Spitze des Empire State Building, den eigenen Tod und darauf folgend die Wiederauferstehung von Toten oder sogar einen Aufenthalt im Paradies unter den Engeln und Heiligen wünschen ... Was kann mit diesen Wünschen gemacht werden?
Hier ist der Hund begraben ...
Hier kommt endlich der Moment, um eine besondere Art von eher peinlichen Schwierigkeiten zu besprechen. Wie ich mir zu erinnern erlaube, kann die Phantomatisierung zwar auf die SINNE wirken, jedoch nur mit der wesentlichen Einschränkung, daß dies diejenigen Sinne sind, an die wir von außen herankommen können: Seh- , Tastsinne usw. Aber es gibt im Körper auch andere Sinne, die nicht direkt "nach außen" ausgerichtet sind, sondern die das Gehirn darüber informieren, in welchem Zustand sich der Körper selbst befindet. Zum ersten sind das die Propriozeptoren in allen Muskeln und in vielen Teilen des Gewebes. Dank ihnen wissen wir nämlich jederzeit, ohne nachschauen oder abtasten zu müssen, in welcher Position sich das Bein oder die Hand befindet, ob es oder sie ausgestreckt oder gebeugt, belastet oder unbelastet ist. Zum "Glück" kann man für die Phantomisierung die zum Gehirn gehenden Impulse der Propiozeptoren gewissermaßen betrügen, damit wir den Eindruck erhalten, daß wir liegen, während wir in "Wirklichkeit" stehen.
Unlängst zeigte ein amerikanischer Sender einen wie üblich mäßigen Film aus der Serie "Superman und Lois", in dem ein "böser Phantomatisierer" dieses Paar in die virtuelle Welt geschickt hat. Aus ihr kamen sie wieder unbeschadet auf eine dumme Weise heraus, die sich die Herren Produzenten ausgedacht hatten. Ich erwähne dies nicht, um die Filmemacher zu rühmen, sondern um deutlich zu machen, daß die Phantomatisierung bereits zu einem Filmthema wird. Abgesehen von den propriozeptischen Daten sind wir noch von den Gleichgewichtsorganen abhängig, die sich im Mittelohr befinden. Dieses Organ besteht aus drei mit einer Flüssigkeit gefüllten Bögen, die den drei Dimensionen des realen Raumes entsprechen, und den sogenannten STATOLITEN, die man früher Otoliten nannte. Das sind sehr kleine Knötchen aus Kalksalz, die von der Erdgravitation sanft an spezielle Härchen gedrückt wird. Das alles findet im Inneren des Mittelohrs statt. Dank der Bewegungen dieser Knötchen, die die empfindlichen Härchen drücken, empfinden wir die Kopflage und darüber hinaus die Beschleunigungen oder Verzögerungen, die entweder nur von Kopfbewegungen oder von der Bewegung des ganzen Körpers (z.B. im Flugzeug oder Aufzug) verursacht werden.
Hier ist auch der Hund begraben, weil der Phantomatisierer keinen Einfluß darauf haben kann, was im Inneren des Kopfes oder des Ohres passiert. Die Wirkung der neuronalen Impulse (Reize) des Gleichgewichtsorgans auf die Gesamtheit unseres Allgemeinbefindens ist bei verschiedenen Menschen sehr unterschiedlich. So litt beispielsweise der zweite sowjetische Kosmonaut, Herman Titow, die ganze Flugzeit unter der Reisekrankheit, die man als "Seekrankheit" kennt, was sich sowohl für ihn und auch für das Personal auf der Erde als unangenehme und nicht von vornherein vorhergesehene Überraschung erwies. Es gibt bereits Mittel, die die Symptome dieser "Seekrankheit" dämpfen. Früher verwendete man z.B. Belladonna, einen Extrakt aus der Tollkirsche, aber es gibt mittlerweile auch neuere Präparate.
Im Verlauf der phantomatischen Experimente stellte sich heraus, daß es bei sehr vielen phantomatisierenden Menschen während der Durchführung von virtuellen Situationen eines gewissen Typs zu unangenehmen und hartnäckigen Symptomen der Reisekrankheit kommt. Weswegen? Weil die Reize, die aus dem die Sinne des Menschen steuernden Programm fließen, mit den Reizen kollidieren, die aus dem Gleichgewichtsorgan kommen. Jene geben die "Nachricht", daß der Mensch stürzt oder fliegt, und dieses Organ "sagt", daß er sich überhaupt nicht bewegt: die "Kollisionen" solcher Reize sind selbstverständlich in dem Sinne immer relativ, weil einfach ein Widerspruch zwischen den phantomatisierenden und den aus dem Gleichgewichtsorgan kommenden Informationen eintritt. Da die Stärke der Reize deutlich individuell ist, kommt es nicht bei allen zum Auftreten von so intensiven Symptomen der Reisekrankheit, daß der Phantomatisierungsprozeß unterbrochen werden muß. Man darf dieses Hindernis aber gleichwohl nicht unterschätzen, vor allem deswegen, weil es wesentlich die Integrität der erlebten Vision stört. Allein die Tatsache, daß man typische Symptome der Reisekrankheit (Übelkeit, Neigung zum Brechen, Schwitzen u.ä.) empfindet, stört die innerliche Überzeugung, "wirklich" die Handlungen auszuführen, die programmiert worden sind. Es entsteht ein deutlicher "Bruch" im komplexen Empfinden der FIKTION als WIRKLICHKEIT.
Daraus ergibt sich die Frage, wie man mit diesem Problem umgehen soll. Es ist kein absolut unüberwindbares Hindernis, aber eine Schwierigkeit, mit der die phantomatische Technik und Physiopathologie irgendwie fertig werden muß. Augenblicklich wird daran einfach deshalb nicht gearbeitet, weil wir "größere Probleme" haben. Es genügt, sich Klarheit zu verschaffen, wie weit wir immer noch vom "Eintauchen eines Menschen in die virtuelle Realität" entfernt sind, der nach der für diese charakteristischen Fülle von Erlebnissen verlangt, die von den bescheidenen und gelegentlich gezeigten "virtuellen" Szenen (z.B. im Fernsehen) noch keineswegs eingelöst wird, um zu verstehen, daß die Umwandlung der ILLUSION, die die phantomatisierte Person in jedem Augenblick durch Willensakt verlassen kann, in eine Delusion, die zum Gefängnis werden kann, noch immer eine Aufgabe darstellt, deren Lösung wir am Anfang der phantomatischen Ära nicht gewachsen sind.
Dabei haben wir aber die riesigen Schwierigkeiten noch außer Acht gelassen, die durch eine völlige "Leere" an den Stellen der Vision verursacht wird, in denen ein anderer Mensch, irgendein Platon oder mindestens der verstorbene Onkel oder Vater, erscheinen soll. Der künstliche Verstand existiert nicht. Wir sind weit von ihm entfernt. Aber auch unabhängig von diesem Mangel erweist sich eine solche Selektion der phantomatisierenden Programme als unabdingbar, damit keine "Kollision" der Reize, die von außen kommen (vom Computerprogramm), mit den Reizen eintritt, die aus dem Inneren des Körpers stammen - nicht nur, aber vor allem aus dem Organ, welches das Gleichgewicht und die Folgen der Bewegungen steuert, die auf die Beschleunigung oder Verlangsamung zurückzuführen sind.
Esse est percipi
Die durch den hier besprochenen technischen Zweig der Physiologie gesuchte Vollkommenheit ist selbstverständlich, wie ich sie genannt habe, die "Welt des Bischofs Berkeley", in der wirklich "esse est percipii" herrscht: sein heißt, wahrgenommen zu werden. Von einer solchen Vollkommenheit, die nota bene in sich nicht eine uns weder aus der Erfahrung noch aus der Vorahnung bekannte Bedrohung verbergen muß, sind wir ziemlich weit entfernt. Aber die Route selbst, der Anfang des Weges selbst, der vielleicht in die Richtung einer paradiesischen oder auch einer höllischen "phantomatischen Falle" führt, wurde bereits vorausgesagt, erkannt und sogar - zumindest teilweise - ausprobiert. Man muß sich gleichzeitig bewußt machen, daß in unserer fast total "vermarkteten" Welt das entsteht, sich entwickelt und eingeführt wird, was sich einfach für die Produzenten richtig auszahlt.
Gerade diese Absicht löste eine neue stürmische, lawinenartige Verbreitung von Computern und Netzen in der Welt aus und führte gleichzeitig auch zu einer mit großen technologischen Innovationen unzertrennlich einhergehenden Gefahr nicht nur in ökonomischen und politischen, sondern darüber hinaus im totalitären und sogar militärischen Hinsichten. Daher sollten diejenigen, von denen die zukünftige Entwicklung der Maschinen und der Praxis der Virtuellen Realität in dem Maße abhängt, in dem dies sich überhaupt möglich und durchführbar erweisen kann, von vornherein die phantomatisierenden Programme mit bestimmten Sicherungen ausstatten. In dem erwähnten amerikanischen Superman-Film waren es einfach rot leuchtende Tasten mit der Aufschrift EXIT (Ausgang), und zum Verlassen der Vision mußte man lediglich so eine Taste zu drücken. Die Filmproduzenten mußten jedoch schnell erkannt haben, daß eine solche Aufschrift auch einen untrennbaren Bestandteil der Fiktion darstellen kann. In einem solchen Fall würde derjenige, der glaubt, daß er bereits die Virtualität verlassen hat und in die nicht gefälschte Wirklichkeit zurückgekehrt ist, im Grunde genommen nur eine Fiktion verlassen, um sich wieder in einer anderen zu finden.
Mit anderen Beispielen versuchte ich genau diesen "betrügerischen phantomatischen Trick" in meinem Buch "Summa technologiae" vor 34 Jahren darzustellen. Ich konnte aber weder damals noch kann ich heute ein universelles Mittel nennen, das mit Sicherheit garantieren würde, daß man die fiktive Welt verlassen hatte - es sei denn, daß experimentell erprobte Tricks zum Vorschein kommen, durch die man ähnlichen Fallen der Computerprogramme entgehen kann. Aber das wird nicht das Ende sein, sondern eher der Anfang der Duelle der vorgetäuschten mit der authentischen Welt ...
Aus dem Polnischen von Ryszard Krolicki