Prolegomena zur einer Medienpädagogik im Zeitalter elektronischer Netze

Alles spricht von der Standortsicherung. Ausbildung und Forschung, die einen Standort in der globalen Welt der Informationsströme langfristig am besten sichern würden, bleiben jedoch Stiefkinder und werden weiter zurückgeschnitten. Dabei geht es auch und vor allem um Medienpädagogik, die bislang kaum existiert. Rolf Sachsse begründet die fundamentale Bedeutung von Medien, erzählt eine kurze Geschichte der Medien und zeigt, wo eine Medienpädagogik heute ansetzen müßte, die ihren Namen verdient.

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BESTIMMUNGEN

Medien sind Mittler

Medien sind Mittler. Da kommt der Begriff her. Ein Medium ist ein Agens zwischen Aktiv und Passiv, Medien sind Überbringer von Botschaften auch und vor allem in der Parapsychologie. Die Umkehrung des Satzes wird selten ernst genommen: Wer zwischen den Dingen und Menschen steht, hat keinen eigenen Körper. Unselige Folge eines über Jahrhunderte zunehmend ideologisierten Christentums war jedoch die Gleichsetzung von Transzendenz mit Immaterialität. Denn sie hat - einige Jahrhunderte sich stetig ausdifferenzierender Profanisierungsprozesse einmal weggelassen - den Boden für alle Probleme geschaffen, die den intentionalen Umgang mit Medien angehen. Seitdem ist Immaterialität von tranzendenter, somit unangreifbarer, unkritisierbarer und letztlich dogmatisch wirksamer Qualität.

Ohne Medien keine Pädagogik.

Das Gesamtgebiet des Fachs Pädagogik als intentionale Einflußnahme eines Menschen auf andere verstanden, muß der Einsatz von Medien als conditio humanae schlechthin begriffen werden. Wenn sich eine Horde Menschenaffen während einer Jagd exakt über Positionen und Funktionen verständigen können, sind dies zwar intentionale Kommunikationen von durchaus hoher Komplexität, aber doch von keiner pädagogischen Qualität.

Wenn ein huminider Höhlenbewohner einen Bison in die Wand ritzt, dann setzt er damit ein Zeichen jenseits der direkten Funktionalität zur Arterhaltung: es bleibt etwas zu erkennen und zu denken übrig. Was es ist, können Spätere nur erahnen, weil ihnen alle Bedeutungsträger, sprich Medien, zur begrifflichen Bestimmung fehlen. Doch was es will, läßt sich erahnen: andere Menschen an einer Erkenntnis teilhaben lassen. Und das ist wohl Pädagogik.

Ohne Medien keine Geschichte und vice versa.

Bleibt die Frage, ob Geschichte ein Konzept ist, das Menschen brauchen. Die vorstehende Definition gegenseitiger Einflußnahmen von Menschen vorausgesetzt, ist die nächstliegende conditio humanae die wahrscheinlich nicht einsam leistbare Erkenntnis von der zeitlichen Begrenztheit des eigenen Lebens. Sämtliche Kulturtechniken sind aus dieser Erkenntnis und deren emotionalen Ablehnung durch die Menschen selbst entstanden. Folglich sind alle Vorgänge von Lehren und Lernen zeitabhängig, mithin Geschichte.

Sowenig jedoch Geschichtlichkeit ohne informationelle, oftmals sehr abstrakte Überträger - Geburt des Mythos mit Nietzsche -, denkbar ist, so sehr ist sie selbst auch von den Übertragungen selbst abhängig.

Der Überbringer schlechter Nachrichten ist dem Tod geweiht.

Die Gewalt medialer Botschaften ist prinzipiell selbstzerstörerisch. Sie richtet sich zwar an andere, wird aber selbst gerichtet. Es ist dieser kommunikative Kontext aller Medien, der für ihre pädagogische Problematik verantwortlich gemacht wird: immer sind die Anderen Schuld, mindestens als verdinglichte Kategorie. Marcel Duchamps Diktum "Übrigens sterben immer die anderen" dreht den Kontext in gleicher Weise wie ein Readymade um; die eigene Angst wird nur im Anderen manifest. Für Medien wird dies in der Weise wirksam, wie diese selbst verdinglicht, also zum Anderen werden.

Medien sind Kulturtechnik.

Das bedeutet: sie sind weder die Kultur selbst noch deren objekthaftes Produkt. Letzteres kann zum kultischen Gegenstand werden: dem Menschen ein Anderes, Verweis auf das Unbekannte, Abgelehnte, Jenseitige oder Undenkbare. Das Produkt, das Objekt oder Ding der kulturtragende Gegenstand ist ohne Anwesenheit von Menschen vorhanden, wirkt aber als Ikone, Idol, Reliquie oder Fetisch nur in Anwesenheit von Menschen, also medial.

Die Kulturtechnik der Medien besteht demnach in der Bereitstellung von Sets der Vermittlung zwischen toten oder trockenen Gegenständen und Menschen, der Vermittlung zwischen Menschen selbst sowie einer antizipierten Vermittlung zwischen den Gegenständen als symbolische Repräsentation menschlicher Anwesenheit oder menschlichen Wirkens.

Medien und Natur schließen einander aus.

Natur existiert ohne menschliche Anwesenheit - die Art ist relativ neu und wird nur begrenzte Zeit auf diesem Planeten vorhanden sein. Der Preis, den der homo sapiens sapiens für seine entwickelte Selbstreflexion zahlt, ist das Bewußtsein von der fragilen Balance zur Erhaltung der eigenen Art, die anderen Tierarten - menschlichen Erkenntnissen zufolge - ein biologisch primäres Axiom zu sein scheint. Einfache körperliche Erfahrung bestätigt im Umkehrschluß solche Erkenntnis: Wer auf See, in den Bergen, im Eis, während eines Unwetters oder irgendwie sonst tatsächlich und ungewollt in Gefahr geriet, braucht keine Belehrung mehr über die schwache biologische Ausstattung der Art zum Überleben solcher Situationen.

Die Vermittlung von Natur ist demnach unnötig, es sei denn zur Triebabfuhr derjenigen, die derlei Situationen hinter sich gebracht haben. Und die dann derlei Erfahrungen als Motivation in künstlerische Angebote einbringen, als Stimulans wie Ersatz für die nächsten.

Medien sind Wirklichkeit nur in un-natürlichem Sinn.

Meister Ekkehards mystisches Konstrukt der "werekeligheid" ist eine Gegenwelt, allein medial vermittelbar, und dies zu einer Zeit vor dem Buchdruck. Diese Wirklichkeit bezieht sich explizit - und nur deshalb ist sie den Gegenreformatoren zweihundert Jahre und eine Buchpublikation später wichtig gewesen - auf eine heilsgeschichtliche Erfahrung, die mit den Niederungen des Alltags nichts, rein gar nichts zu tun hat.

Wenn Medien Wirklichkeit vermitteln, dann in der Art des populären Einblattholzschnitts aus dem frühen 16. Jahrhundert, auf dem ein Mensch den Kopf durch die Schale des ptolemäischen Universums in das fremd bevölkerte All steckt. Alles in diesem All ist künstlich, reine Vorstellung von Möglichem, nicht durch körperliche und schon gar nicht durch rational wiederholbare Erfahrung abgedeckt.

Medien setzen Abstraktionen voraus.

Um noch einmal mehr auf die Höhlenzeichnungen aus menschlicher Frühzeit zurückzukommen: Das Bild des Tiers ist nur als Bild zu verstehen, nicht und niemals als das Tier selbst. Es kann höher oder niedriger bewertet werden, als transzendent oder als überlebensnotwendige Beute. Doch es ist und bleibt ein Zeichen, über das eine weitere Kommunikation erfolgen muß. Noch vor aller Pierce'schen Zeichenlehre, vor Morris' Trias und Gadamers hermeneutischem Zirkel bedeutet dies, daß nicht alle Menschen diesem Prozeß werden folgen können oder wollen. Alle Abstraktion generiert sozialen Ausschluß.

In unseren Zeiten sind Dyslexie und Dyscalculie bereits Krankheitsbilder mit einem umfangreichen medizinisch psycho-sozialen Apparat zu ihrer Therapie, nicht aber Hinweis auf die extrem abstrakte Konstruktion von Medien als gesellschaftsbildender Vermittlungsinstanz. Es gibt Ansätze, umgekehrt dyslektische und dyscalculierende Menschen als besonders auf Konkretion ausgerichtete Existenzen mit spezifischem Erfahrungsschatz (und daher Begabung für besondere Aufgaben) zu verstehen.

Pädagogik ist Lehre von Abstraktion auf der Basis konkreter Erfahrung, nicht umgekehrt.

In Zeiten watteweicher Curricula mit motivationsstärkenden Gratifikationen selbst der kleinsten Einzelleistung wird gern übersehen, daß jede Pädagogik in ihrer Intention als konservative Strategie bestehender Gesellschafts- und ökonomischer Strukturen angelegt ist. Hier wird die Diskrepanz zwischen einer unzureichenden Grundausstattung von abstrakten Apparaten und einem Überangebot funktionaler, d.h. konkreter Lösungen zu einer Frage von fundamentaler Qualität: Wer nicht auf eine gute Ausrüstung medialer Bestecke zur Sezierung des Konkreten durch abstrakte Verallgemeinerungen zurückgreifen kann, dem bleibt allein die Flucht in den Konsum dinghafter oder spielerischer Formen, die simple Lösungen schwierigster Probleme suggerieren.

Die Verselbständigung dieses Handelns als globale Muster - im Automobil wie im TV symbolhaft sichtbar - hat neue Problemgruppen generiert, für die es keinen Rekurs mehr auf geschichtlich gewachsene Erfahrung gibt. Die Hoffnung, derlei Entwicklungen pädagogisch (im Schulsystem) oder medial (im Internet) durch die Schaffung neuer Angebote steuerbar zu machen, ist zumindest naïv.

Medienpädagogik ist eine contradictio in adjecto.

Dieses Schicksal teilt sie mit anderen zusammengesetzten Worten, vor allem mit der Medienkunst. Medien sind nicht an sich objekthaft zu begreifen und lassen sich nur über andere Medien besprechen, lehren und kritisieren. Ihre Konkretion beruht auf zuvor gesellschaftlich abgestimmten Konventionen, die selbst so abstrakt sind, daß sie prinzipiell einer pädagogischen Aufbereitung bedürfen.

Dennoch ist das Kompositum Medienpädagogik als Begriff wie andere vorhanden und muß bearbeitet werden. Mögliche Schritte dazu ergeben sich aus Teilungen des Ganzen: Formen und Materialien. Sie sind in ihren semantischen Bezügen historisch gewachsen - allerdings nicht naturhaft, sondern aus sozialen Prozessen heraus. Ihre Referenz liegt in der Fixierung von kaum noch wahrnehmbaren, an unteren Bewußtseinsschwellen entlang angelegten wie operierenden Elementen dessen, was wir als Medien verstehen - und pädagogisch nutzen (müssen, können, wollen).

FORMEN

Sprechen und Sprache

Die Verdichtung lautmalerischer Entäußerung zu strukturierter Sprache mit Grammatik und Semantik ist ein langer und komplizierter Prozeß, wie sich denken läßt. Die Bindung der menschlichen Selbstreflexion an die Sprache, das Fixieren des Gedankens auf seine sprachliche Form ist neueren Datums und hat Ebenen diesseits aller Funktionalität. Auf ihnen sind die Grenzen gesteckt: Kult und Kunst definieren sich zu allen Zeiten durch das Unsagbare, den authentischen Rest, den transzendenten Verweis. Symbole wie Rituale bedürfen in ihrer Bedeutungsreferenz der Sprache nicht unbedingt, lassen sich reflexiv nur asymptotisch, aber nie ganz erreichen.

Sprache schafft Räume, die nicht nur rational, sondern vor allem assoziativ besetzt werden, wobei die Konstruktionen von Bedeutungsableitungen individuell geformt sind und in ihrer Funktionalität sich erst durch gesellschaftlichen Gebrauch bewähren - oder auch nicht.

Hier setzt früh Belehrung ein: Andere vor dem eigenen Schicksal zu bewahren, sie an eigenen Erfahrungen so teilhaben zu lassen, daß sie nicht unbedingt alle Momente selbst erleben müssen, ist ein hohes Ziel. Es impliziert einen fortschreitenden Zuwachs an Wissen innerhalb menschlicher Gruppen und Gesellschaften, zählt also zu den Gattungseigenschaften, ungeachtet der jeweiligen kulturellen Prägung. Die Ersetzung eigenen Erlebens zur Vermittlung von Erfahrung bedarf der Form und des Raums; die zeitliche Dimension ergibt sich aus der conditio humanae der Selbstreflexion über den Tod.

Sprache folgt dem Sprechen, ist an Handlungsräume und Sprechakte gebunden. Für das Sprechen entwickelten sich über Jahrtausende formale Konventionen, die Verständlichkeit sichern - wie unterschiedlich derlei Konventionen sogar auf begrenztem Raum sein können, davon zehrt eine ganze Wissenschaft. Sobald sich innerhalb menschlicher Gruppen Herrschaftsformen etablierten (dazu bedurfte es weniger der Worte als des Kampfes), gab und gibt es den Versuch der Herrschenden, über die Kontrolle der Sprache auch eine Kontrolle des Sprechens und damit des Denkens auszuüben.

Kernpunkt dieser Bemühungen ist die Legitimation der Herrschaft, die nicht allein über blanke Gewalt zu erhalten (sonst gäbe es bald keine Beherrschten mehr), sondern am Schnittpunkt menschlicher Selbstreflexion mit politischer Existenz anzusiedeln ist. Sprache also bindet transzendente Inhalte mit täglicher Macht und formt schon als Gesprochene bis zu einer recht hohen Komplexität gesellschaftliche Zustände.

Zeichen, Ziffern und Schrift

Mit dem Kerbholz mag es begonnen haben; kurz zuvor oder danach ging es um Warentausch und frühe ökonomische Bewertung. Ein verläßliches System der Kommunikation über Mengen und Qualitäten mußte her: Zahlen. Bis zur Erfindung des abstrakten Warentausch-Registers Geld war es noch weit, doch wurde es entscheidend vorbereitet von Zähl- und Zahlsystemen, für die sich Zeichen einführen ließen. Die ersten Grundzahlen wurden von Fingern repräsentiert; die Größenordnung eines Hauses als Multiplikator einer kleinsten Einheit erhielt ein solches Zeichen, und dazwischen befanden sich diverse Abstufungen, deren Systematik auf unterschiedlichen, meist mythologisch fixierten und somit mündlich tradierten Grundlagen beruhte.

Die Niederlegung von Zahlen in festem Grund - von der Ritze im Kerbholz zur reliefierten Form in Stein - war die Geburt eines Mediums: Abstraktion eines konkreten, aber abwesenden Dritten in der Kommunikation zwischen zweien. Dieses abwesende Dritte mußte durch Form repräsentiert werden, und zwar so, daß auch unbekannte Teilnehmer möglicher Kommunikation den Sinn der Abstraktion verstanden - Beginn der Urkunde und des Dokuments. Als sich die zeitliche Dimension dieses Vorgangs im Bewußtsein der Handelnden festigte, war die Suche nach dauerhaften Trägern nur ein kurzer Schritt: Stein, Pergament, Keramik, Metall. Das Medium Zeichen materialisierte sich, wurde ästhetisch und historisch zugleich.

Damit aber trennten sich kulturelle Prägungen. Mythologische Praxis im Ritus und jahrhundertelanger Gebrauch in alltäglichen Kontexten legte Leserichtungen und Abstraktionsschritte fest und sorgte damit für Ausdruck und Bildhaftigkeit von Zeichen - und Schrift. Konsens aller frühgeschichtlichen und archäologischen Forschung scheint zu sein, daß diese Gabelung der Qualität von Zeichen und Abstraktion irgendwann zwischen 2000 und 3000 Jahren vor unserer Zeitrechnung erfolgt sein muß, und daß, wer multikulturelle Programme der Integration verschiedener Zeichen-, Bild- und Schriftgebräuche betreiben möchte, hinter kulturelle Errungenschaften zurückgehen muß, die etwa 5000 Jahre zurückliegen.

Hier liegen beispielsweise schon die Wurzeln von Konflikten im Internet oder anderen weltumspannenden Datensystemen. Inkompatibilitäten von Schriftsätzen greifen viel tiefer in die Wirklichkeitsstiftung von Symbolen ein, als sich ASCII- und ANSI-Schriftzeichen-Normierer vorstellen können. Es macht einen guten Teil der Wut von Intellektuellen anderer Kulturkreise auf Europa und Nordamerika aus, daß mit den Vorgaben einer Funktionssprache wie dem Englischen samt seinen Schrift- und Zeichensätzen ein viel stärker kolonial wirkender Einfluß ausgeübt wird, als es die blanke Militärgewalt und europäische Arroganz des 19. Jahrhunderts ausgemacht haben mag. Wenn im folgenden dennoch nur Beispiele der jüdisch-christlichen Kulturgeschichte und ihrer Vorläufer im indogermanischen Sprachraum benutzt werden, dann im Bewußtsein einer solchen Verengung und in der Absicht einer Kritik von innen heraus, die eine gelassene Öffnung gegenüber anderen Kulturen ermöglicht.

Ikone und Bild

Die Formung menschlicher Figuren aus Ton, Holz oder Stein ist von Anfang an mit der Reflexion über den Tod, mit magischen Handlungen zu dessen Überwindung oder mindestens mit rituellen Praktiken zur Bearbeitung des Schmerzes der Trauer verbunden gewesen. Sie lassen sich in den frühesten überlieferten Beispielen, rund 6000 Jahre vor unserer Zeitrechnung (und damit üblicherweise nach den ersten Höhlenzeichnungen datiert), ohne schriftliche oder bezifferte Überlieferung denken und deuten, belegen also einen sprachähnlichen Gebrauch avant la lettre.

Inwieweit es eine heutige Interpretation ist, die Übertragung magischer Kräfte von Abwesenden, Toten oder Tieren durch deren Abbildung noch vor den Totenkult zu datieren, mag eine akademische Diskussion sein. Sicher kann mindestens für eine Zeit, aus der wir auch schriftliche Überlieferungen haben, der doppelte Gebrauch von mimetischen Nachbildungen realer Wesen und Gegenstände angenommen werden: Umgang mit dem Tod und Übertragung von Kraft. Diese Ambivalenz wohnt jedem visuellen Zeichen inne und hat lediglich im Gebrauch mehr oder minder Gewichtung in die eine oder andere Richtung erhalten. Es ist diese Balance, die alle Herrschenden, insbesondere die menschlichen Statthalter religiöser Mächte, interessiert, aber auch beunruhigt hat.

Bilder sind Medien, auch und gerade als mimetische Referenzen auf abwesende, aber gemeinte Wirklichkeit. Die Bedeutung von Bildern realisiert sich im Gebrauch, dessen intentionale Steuerung mit dem Ritus zu beschreiben ist. Dieser aber ist ein Regelwerk besonderer Art: Er obliegt in Gestaltung, Inszenierung und Auskleidung einer religiösen Führungsschicht, die sich gerade durch rituelle Handlungen als solche etabliert. Sobald Teile des Ritus verschriftlicht werden, und sei es in Regelwerken, ist er als Ganzes kritisierbar geworden und damit letztlich wirkungslos.

Somit können alle Bilderstürme der Kulturgeschichte, soweit sie uns bekannt geworden sind - etwa im Byzanz des 8. Jahrhunderts oder im Mitteleuropa des 16. Jahrhunderts -, als Sündenfälle abstrakter Begriffsbildung gelesen werden, die letztlich einer symbolischen Erweiterung aller Bildnutzung in die Hand arbeiteten. Und wenn es noch eines symbolischen Todesstosses bedurfte, um das römische Papsttum vom Sockel ritueller Kompetenz zu stürzen, dann war dies im lächerlichen Versuch einer symbolischen Reinigung der Religion durch die Ausrufung des Immaculata-Dogmas von Pius IX. im späten 19. Jahrhundert geschehen. Dieses Dogma bescherte dem katholischen Christentum nämlich nicht, wie erhofft, eine neue Ikone als Identifikation, sondern eine breite Profanisierung fast aller bisherigen transzendentalen Bild-Referenzen.

Druck und Graphik

Die Gutenberg-Galaxie begann mit einem verschriftlichten Ritus, den Ablaßbriefen. Für den Kauf eines solchen päpstlichen Gnadenerlasses erhielt der Käufer eine Versicherung, nach seinem Tod weniger lang durch das Fegefeuer der Vorhölle zu müssen, bevor ihm der letzte Prozeß gemacht werde. Zehn Jahre druckte Johannes Gensfleisch aus Mainz diese Briefe und erprobte an ihnen sein System beweglicher Lettern, bevor er sich an seine beiden ersten Bibeln wagte - und prompt in Schwierigkeiten mit der kirchlichen Autorität bekam. Die exegetische Basis institutioneller Gewalt war veröffentlicht worden und damit allen, die lesen konnten, verfügbar. Die Aufklärung konnte beginnen.

Luthers deutsche Bibelübersetzung war langfristig wirkungsvoller als seine Thesen gegen den Mißbrauch des Ablaßwesens, obwohl diese medienhistorisch - als Schrift gegen Schrift - eminent wichtig waren. Den Thesen folgte ein Medienkrieg, der erste in Europa und deshalb von allen Revolutionären in Anspruch genommen: die Bauernkriege der Jahre 1524-25. Sie wurden auch geführt durch große Mengen gedruckter Predigten, die nicht nur in beweglichen Lettern gesetzt, sondern auch mit Titelholzschnitten ausgestattet waren. Aus beidem entstand ein spezifisches Bild-Text-Verhältnis, das für Jahrhunderte begriffsbestimmend werden sollte - und medienhistorisch noch immer unzureichend untersucht ist.

Doch nicht nur der Titel hat ein Bild in den gedruckten Schriften, sondern die Schriften selber formten Bilder. Diese haben in ihrer spezifischen Abstraktion mehr Einfluß auf den komplizierten Prozeß der Repräsentation von Worten durch Schrift genommen, als gemeinhin angenommen wird. Für italienische und französische Typographen gab es lediglich antike Vorgaben, als mit dem gedruckten Text das Lesen zum allgemeinen Lehrgegenstand breiterer Kreise (noch längst nicht der ganzen Bevölkerung) wurde. In Deutschland und England waren große Schreibschulen tätig - die Nürnberger Schreib- und Rechenmeister waren ebenso einflußreich wie ihre Kollegen in York und London - und beeinflußten die frühe Typographie der Länder so nachhaltig, daß sogar im 20. Jahrhundert noch einem ganzen Volk die Fraktur als Druck- und das Sütterlin als Schreibschrift verordnet werden konnte.

Im deutschen und englischen Sprachraum ist die Typographie seither auch ein Problem ästhetischer Ideologien gewesen und hat sich weit über alle Funktionalität oder Schönheit hinaus zu einem konventionsstiftenden Instrument gedanklicher Selbstdarstellung entwickelt, das bis ins Internet hineinreicht. Wenn ein deutscher Typograph dem amerikanischen Magazin WIRED als Grundschrift eine Walbaum aus dem frühen 19. Jahrhundert verordnet, dann hat dieses genau so viel Einfluß auf das Netzgeschehen wie etwa die Festlegung einer neuen Industrienorm der Datenübertragung. Und mögen noch so viele Menschen den Typographie-Salat des David Carsons nicht mögen, so müssen sie ihn doch - und vor allem in unendlich vielen vergröberten und schlechteren Varianten - ertragen. Dahinter stand und steht die ideologische Vorgabe, daß Schrift rein funktional sei und hinter den von ihr repräsentierten Begriff zurückgehe. Das dem nicht so ist, hat schon 1499 der Verleger Aldo Manutio mit seinen hypnerotomachiae poliphilii bewiesen; einem in beweglichen Lettern gedruckten Buch, bei dem das Schriftbild die Informationen des Textes nicht nur unterstützt, sondern kommentiert und erweitert.

Für das Bild, sowohl das von graphischen Drucktechniken verbreitete als auch das malerische, hatte diese Entwicklung fatale Folgen. Es war, wie in den Illuminationen mittelalterlicher Handschriften, zur bloßen Initiale, zur Illustration und Erläuterung geworden, nicht aber zum eigentlichen Träger von Information. Bildhaftes Denken verschob sich mehr oder minder vollständig ins Literarische - die im 17. Jahrhundert entstehenden Gattungen wie Roman und Novelle zeugen davon. Die Malerei wurde der Architektur untergeordnet, erhielt in der Gegenreformation illusionistische Funktionen und hatte vor allem über das Colorit symbolische Qualitäten zu fixieren.

Die Druckgraphik konnte sich erst im 18. Jahrhundert als Medium der bürgerlichen Aufklärung etablieren, nachdem ihr eine Reihe von narrativen Elementen und Gestaltungsmitteln aus der Literatur zugewachsen waren. William Hogarth entdeckte den Bildungsroman als Basis graphischer Bildgeschichten, und Daniel Chodowiecki spiegelte den bürgerlichen Alltag in einzelnen Bildern. Doch bis in Bildunterschriften hinein führte die Druckgraphik das Primat der Literatur fort - bis um 1800 die Wörter die unbedingte Repräsentanz ihres bezeichneten Gegenstandes verloren. Vorhergesehen hatte diesen Prozeß ein Literat: Gotthold Ephraim Lessing in seinem Essay vom 'Neuen Laokoon'. Das Theater, das er darin beschrieb, sollte zum Motor des bildhaften Sehens werden, mindestens für zweihundert Jahre.

Photographie und Reproduktion

1839 wurde die Erfindung eines Abbildverfahrens zur Aufzeichnung ohne Handarbeit bekanntgegeben - von etwa zwei Dutzend Erfindern, die relativ unabhängig voneinander arbeiteten. Die chemischen Voraussetzungen dieser Erfindung waren mehr als fünfzig Jahre bekannt gewesen, die physikalischen schon über dreihundert Jahre. Es sind die sprachlichen Verluste gewesen, die dem Bild wieder Auftrieb gaben, als Mythos einer positivistisch überprüfbaren Wahrheit ohne körperliche und bezeugbare Anwesenheit. Und es war ein ungeheurer Bildbedarf entstanden, nachdem das Lesen durch Schulpflicht zwar Allgemeingut geworden, doch als Abstraktion beschwerlich geblieben war.

In den 1830er Jahren wurde mit dem Penny Magazin und seinen Nachfolgern auch die illustrierte Zeitung aus der Taufe gehoben, was den Bildbedarf nur verstärkte. Doch die Photographie brauchte noch rund fünfzig Jahre, um drucktechnisch verfügbar zu sein und damit zum Bildmedium zu werden; und erst nach dem Ersten Weltkrieg ist die Vermittlung visueller Nachrichten durch gedruckte Photographien zum Standard geworden. Seither gibt es eine geschichtliche Definition von Medien, insbesondere Bildmedien: Die Druckgraphik brauchte über drei Jahrhunderte mehrere Anläufe, um wirklich populär zu werden. Und sie erreichte ihre größte Verbreitung, mithin größte Wirkung, als die Photographie schon existierte, aber noch nicht massenwirksam war. Dies wird sich mit jedem neuen Bildmedium wiederholen, mit immer kürzeren Halbwertzeiten.

Quantitativ der größte Teil der Photographie im 19. Jahrhundert war einer Gattung gewidmet, die medienhistorisch kaum gewürdigt scheint: der Reproduktion. Ob als Reisephotographie oder direkte Kopie malerischer und skulpturaler Kunstwerke, bestanden die meisten Bücher und Mappen mit eingeklebten Photographien aus Sammelwerken zur bildenden Kunst - und auf sie bezog sich Walter Benjamin in seinem epochalen Essay vom 'Kunstwerk im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit'. Die visuelle Referenz eines Kunstwerks stand nun vor seiner sprachlichen Bearbeitung; und trotz aller Veränderung am materiellen Bestand des Werks in der Reproduktion (Verkleinerung, Farbigkeit, Oberfläche, Beleuchtung etc.) war diese Referenz kulturell bedeutender als jede verbale Annäherung. Sie hat, wie Benjamin zeigte, die Religion ihrer Transzendenz beraubt und dem Kunstwerk einen Anschein von kultischer Wirksamkeit in Ausstellung und Museum übergeben, der nur durch massenhafte Reproduktion (im Gegensatz zum notwendigen Unikat) vermittelbar ist.

Im Gebrauch ist die Photographie ein Fetisch. Sie zeigt etwas zum Zeitpunkt der Aufnahme Gewesenes, das gleichwohl auf die Situation des Betrachtens einwirkt. Sie ist dafür notwendig an ihre papierne Existenz gebunden, was erst deutlich wird, nachdem sie als Medium den Zenit massenmedialer Wirksamkeit längst überschritten hat und, der Druckgraphik gleich, in die Sphären künstlerischer Autonomie wie musealer Präsentation aufgestiegen ist. Selbst als geschichtliches Dokument bleibt sie erklärungsbedürftig, kann nur visuelle Entitäten kleiner Ausschnitte, aber hoher Komplexität vorführen.

Film und Funk

Haben Photographie wie Druckgraphik schon lange Mediengeschichten alltäglicher Nutzung und trivialer Ikonologie, die den Blick auf geniale Einzelleistungen verstellten, so ist in Film wie Rundfunk dieser Gebrauch geradezu übermächtig und definiert erstmalig überhaupt den Begriff der Medien, wie er heute gebraucht wird.

Zunächst ist der Film eine Synthese aus Theater und Photographie, aus Inszenierung und bewegter Abbildung; und es bedurfte wiederum einer eigenen Subgeschichte, bis das vornehmlich großtechnisch produzierte Medium entstand, als das der Film in die Geschichte einging und noch heute existiert.

Mit dem Film teilt der Rundfunk eine industrielle Entstehungsgeschichte, die der Photographie noch nicht zu eigen war. Während die Technik der Photographie kaum Auswirkungen auf andere Gestaltungsbereiche hatte, war dies bei Film und Funk anders. Dem Film hatte das Kino zu folgen, als architektonischer Raum eben doch anderen Gesetzen gehorchend als das Theater. Und zum Rundfunk gehört der Empfangsapparat, der eine designgeschichtliche Epoche eröffnete: die Form ohne funktional gebundenen Inhalt.

Film und Funk sind im Zeitalter der späten Mechanik mit einer medialen Reduktion erkauft, die spezifisch auf ihre Wirkungen Einfluß nahm. Der Film war zunächst stumm, der Rundfunk blind. Das bedingte rituelle Annäherungen bei den Empfängern, die dem industriellen Ursprung des Vermittelten widersprachen. Die Produzenten und politischen Nutznießer hofften von diesen Riten des Mediengebrauchs in ihrem Sinn zu profitieren, was sich in mehr als einer Hinsicht als trügerisch erweisen sollte. Denn diese Riten waren so wenig begründet, daß sie ohne große Furcht durchbrochen werden konnten - die Aufklärung war zu weit fortgeschritten.

Als dem Film der Ton hinzukam, änderte sich bereits Grundsätzliches. Es war zunächst die Änderung der Aufführungspraxis: Aus Rezitator, Klavierspieler und Orchester war die synchrone, aber synthetische Erweiterung des Dramas geworden - es entsprach dem Schritt vom Theater zur Oper, in Richtung Gesamtkunstwerk auf Zeit. Noch war die Zusammenfügung der medialen Einzelteile eine komplizierte, industriell wie manuell arbeitsteilige Leistung; deswegen zog sie autonome Entwicklungen in den Medien selbst nach sich. Kaum ein Phänomen hat die Neue Musik des 20. Jahrhunderts mehr beeinflußt als der atmospärische Ton im Film, und kaum ein Phänomen des filmischen Sehens hat mehr Einfluß auf die bildende Kunst genommen als die Trägheit des Auges gegenüber jeder Form von Geschwindigkeit. Auf diesen Autonomien basieren heute alle künstlerischen Ausdrucksformen in Film und Hörfunk - nachdem diese Medien ebenfalls ihre Halbwertszeit überschritten haben.

TV und Video

Gelegentlich wird übersehen, daß die Synthetisierung von Film und Funk im Fernsehen - und deren Speicherung im Video - eine eigenständige Wirkungsgeschichte entfaltet hat, die über bisherige Vermittlungsformen weit hinausgeht. Als wahrhaft großtechnisches Medium entworfen und in seiner Geschichte stark von politischen Einflußnahmen abhängig (in Nazi-Deutschland, in der Sowjetunion und im USA des New Deal), hat das Fernsehen alltägliche Verhaltensformen mehr verändert als irgendein anderes Medium zuvor. Nicht nur werden Film und Funk miteinander verbunden, es wird auch ein zeitabhängiger Schein von Authentizität vorgeführt, der die volle Aufmerksamkeit mindestens zweier Sinne beansprucht.

Video, von Anfang an als Aufzeichnungsmedium des Fernsehens mitgeplant, dennoch viel später erfunden, ist das erste vollständige Reproduktionsmedium schlechthin. Der Photographie gegenüber hat es den Vorteil der verlustfreien Kopie von Farbe, Ton und Bewegung; hinzu kommen quantitative Bestimmungen wie Billigkeit und Verfügbarkeit. Beides macht die kurze Geschichte dieser Bildtechnik aus: Sie wird schnell durch stabilere und in der Wirkung optimalere Verfahren ersetzt werden. Eine wesentliche Basis des Mediums Video liegt, im Unterschied zu allen anderen Medien inklusive Tonfilm, in dessen engem Bezug zur Musik, insbesondere den durch billigen Tonaufzeichnungen unendlich reproduzierten Formen populärer Musik.

Fernsehen und Video haben gegenüber dem Film eine Reihe gestalterischer Unterschiede, die für verschiedene Rezeptionen verantwortlich sind. Ihre Entwicklung zeigt die industriell rasant fortschreitende Ausdifferenzierung technischer Möglichkeiten - oftmals ohne die Zeit einer sozialen Integration ihrer psychologischen Folgen. Das Resultat sind suchtartige Verhaltensformen, die auf pädagogische Ideen in Prävention und Therapie warten.

An Versuchen, das Video zu instrumentalisieren, um mit dem Fernsehen besser umgehen zu können, hat es nicht gefehlt. Doch ist die Geschichte des Mediums Video in dessen autonomen Äußerungen allzusehr an photographische, filmische und literarische Traditionen geknüpft, als daß sie hätte eine Eigenständigkeit gewinnen können, aus der kommunikative Konzepte zu entwickeln gewesen wären. Zudem ist die Geschichte des Mediums Video in der bildenden Kunst zu eng an modische Präferenzen gebunden; mehr als eine Fußnote wird nicht aus ihr. Dazu trägt die kurze Halbwertzeit dieses Mediums bei: Mehr als dreißig Jahre wird es Video wohl nicht geben.

Netz und Multimedia

Die Veränderungen der bisher beschriebenen Medien durch die Arbeit mit Computern vollzog und vollzieht sich schleichend. Kaum bemerkt wird, daß es keine gedruckten Photographien mehr gibt, die nicht ein Reihe elektronischer Aufarbeitungen durchlaufen haben, die ihre Glaubwürdigkeit in den Grundfesten erschüttern. Die abendlichen Fernseh-Nachrichten bestehen aus mehrfach überarbeiteten Klammerteilen und einer Moderation, die in Raumwirkung und Inszenierung den Jahrmarktschreiern in nichts nachsteht.

Die Sinne Hören und Sehen sind in gleicher Weise synthetisierbar geworden, so daß wir Augen und Ohren schon lange nicht mehr trauen können. Diese Entwicklung lief parallel mit ähnlichen Synthetisierungen von Geruch und Geschmack durch die Nahrungsmittelindustrie - und in immer neuen Schüben von Krankheitsbildern oder Epidemien erhalten wir die delikate Balance von Gesundheit und Ökonomie vorgeführt. Die Erotik ist schon vor der Erfindung der Photographie durch die Literatur partikularisiert worden; alle Versuche der Rückgewinnung weiterer Sinnlichkeit etwa durch mechanisch übertragenen Cybersex muten in ihrer Hilflosigkeit eher rührend an.

Sinnliche Eingrenzung zwecks optimaler Vermittlung ist damit in einen kritischen Bereich geraten. Arbeit und Spiel an Computer und Netz erzeugt für Hören und Sehen künstliche Ereignisse ohne Referenz an körperlich fixierbare Realien; dabei wird der Tastsinn, jeweils dem Stand der Technik gemäß, in pathogener Weise auf minimale Funktionen zugerichtet. Olfaktorische Synthesen dürften nicht mehr lange auf sich warten lassen, aber ob die ein medialer Gewinn sind, muß prinzipiell bezweifelt werden, da ihnen der allem Geruchssinn wesentliche Raumbezug fehlen wird.

Der Gewinn an Interaktivität beispielsweise im Netz hält sich jedoch in Grenzen. Mehr als eine schnelle Post ist bislang nicht daraus geworden, und auch ein Pingpong mit zwischen Europa und China ermüdet nach einer kleinen Weile. Die Auswirkungen von Netzstrukturen sind an anderer Stelle, quasi subkutan zu erwarten. Intelligent ferngesteuerte Robotik wird manch tägliche Mühe ersparen, aber auch den Alltag erneut in Raum und Zeit umstrukturieren - was historisch kein Problem ist, da es ohnehin alle hundert Jahre einmal solche grundlegenden Umstrukturierungen gibt. Ob sich die Menschheit mit Hans Moravec nun gleich in den Ruhestand begeben soll, bleibe zunächst einmal dahingestellt.

Der Mangel an Referenz auf Reales, der alle Computer- und Netzangebote auszeichnet, führt zu Umwertungen, auf die es in pädagogischen Bemühungen ankommen muß. Maschinen- wie Bilderstürmerei sind historisch obsolete Mittel; es geht zuallererst um eine Definition der Reichweiten. Dabei muß der technische Begriff auf handlungstheoretische Maximen erweitert werden: Wo finden körperlich bestimmbare Auseinandersetzungen statt, und wo sind idealiter immaterielle Informationsangebote nutzbar? Dies verweist auf Fragen der Praxis.

PRAXIS

Medien und ...

Nachdem Medien zwischen Menschen, Apparaten, Räumen und Zeiten stehen, sind Gebrauchsformen jeweils nur durch Relationen zu fixieren. Die folgende Liste ist keineswegs vollständig und soll allein eine begriffliche Vorlage sein, aus der mögliche Referenzen zu beziehen wären. Ihre Reihenfolge kehrt, zwecks leichterer Erkenntnis, die Geschichte um.

Medien und Information

Neben dem Terminus Medien wird kaum ein Begriff so inflationär gebraucht wie der der Information. Doch seine Bedeutung ist seltener begriffen: Das Präfix In- benennt den Stamm als jenseits, davor, noch nicht gegeben. Information ist also Noch-Nicht-Gestaltetes, liegt vor der Form - so hat der Kritiker Michel Tapié eine Art abstrakter Malerei aus gestischem Handeln Informel genannt. Danach muß sich auch das Verhältnis von Medien zur Information bestimmen lassen.

Informationen sind von Medien vermittelte Inhalte, Bilder, Botschaften, Anweisungen, Programme und Töne. Allen ist beim Transport gleich, daß sie keine eigene Materialität besitzen, durch Codierung und Decodierung gleichsam impulsartig und daher sehr schnell bewegt werden können. Codierung und Decodierung bedeuten jedoch, daß es ein Vorher und ein Nachher gibt, das nicht identisch sein kann. Von aller Art Verlust über Fehlerhaftigkeit bis zur vergröberten Kopie im Klon sind die Ent- und Re-Materialisierungen von Information zu bedenken, um einen funktionalen Begriff zu erhalten. Dieser müßte Kategorien entwickeln können, die Wertbestimmungen der Information als solcher belegen - und erst danach sind Breitbandkabelnetze zu planen.

Medien und Ästhetik

Die Wissenschaft der Ästhetik wie die Wissenschaften ihrer Produkte Kunst und Musik sind von Medien abhängig. Als einzige Wissenschaften haben sie diese Abhängigkeit, die prinzipiell für alle Wissenschaft gilt, immer auch thematisiert. Insofern ist die Definition einer Medienästhetik ein Pleonasmus, der wenig Sinn macht. Einzelne Medien haben jedoch zu Gewichtungen ästhetischer Präferenzen, oft überhaupt erst zu entsprechenden Erkenntnissen verholfen. Insofern sind die Wechselwirkungen zwischen Medien und Ästhetik vielfältiger als die bloße Anschauung der Erscheinungsformen.

Die jetzige Allgegenwärtigkeit aller Arten von multimedialer Einflußnahme ist als primär ästhetisches Problem anschaubar: Wie orientiere ich mich angesichts immer gleicher, nur minimal unterschiedlicher Erscheinungsformen medialer Angebote? Menge tendiert auf Auflösung, und so lassen sich in multimedialen Zeiten unendlich viele Stilformen und Ausprägungen gleichzeitig finden, ohne daß Leitlinien zur Navigation angeboten würden. Hier ist über ästhetische Differenzierung viel Erkenntnis zu leisten.

Medien und Apparat

Nach zwei industriellen Revolutionen mechanischer Werkzeuge und Werkstücke zeichnet sich die dritte dadurch aus, daß es zwischen der äußeren Form eines Apparats und seinen technischen Funktionen keinen notwendigen Zusammenhang mehr gibt. Von Tastatur, Maus und Joystick als Steuermedien abgesehen, bezieht sich die Form eines Computers in nichts auf die Prozesse, die in seinem Inneren ablaufen. Die genannten Eingabemedien wiederum sind selbst Relikte früherer mechanischer Bedienelemente: Schreibmaschine, Steuerknüppel und Gewehr. Historischer Erfolg und Mißerfolg eines Mediums manifestiert sich auch im Überleben seiner Mensch-Maschine-Schnittstelle bis in nächste Mediengenerationen hinein.

Die Geschichte des Bildschirms macht am meisten deutlich, was die apparative Bedingtheit von Medien bedeutet: Frühere wie spätere Jahrhunderte würden und werden sich über die Menschen des späten 20. Jahrhundert mokieren, die sich stundenlange Sitzungen vor kleinen flimmernden Flächen zumute(te)n, nur um einige Belustigung, Belehrung und Information zu erfahren.

Medien und Schrift/Bild

Die Schrift ist die größte mediale Abstraktionsleistung, zu der die Gattung des homo sapiens sapiens je fähig war (und wohl auch sein wird). Schrift ist der umfangreichste Codierungs- und Decodierungsapparat, den Menschen erfinden konnten, und er bleibt sicher noch für lange Zeit begriffsbestimmend. Alle medialen Erfindungen können für ihren eigenen Erfolg nur auf kurze Zeit ohne schriftliche Vermittlung auskommen, selbst wenn diese - wie in den Unterzeilen abgebildeter Köpfe im Fernsehen - meist redundant sind. Nur über Zahlen und Schrift ist ein Begriff der Information denkbar, weil Nachrichten ohne Decodierung gar nicht möglich sind.

Bilder sind nicht abstrakt und von daher nur bedingt Informationen. Sie bedürfen der Bearbeitung, Analyse, Besprechung oder des Glaubens, um als Entitäten gesehen zu werden. Ähnliches gilt für musikalische Motive und Kompositionen. Es gibt keinen Rückweg aus der Verschriftlichung rationalen Denkens in Bilder. Die quantitative Zunahme aller Bilder führt außerdem nicht zu einer Erweiterung von Erkenntnis, sondern zu einer schnelleren und stabileren Konventionalisierung - letztlich schrumpft das Universum der Bilder, so wie nach Henri Lefèbvre das Universum der Dinge schrumpft.

Zwischen Schrift und Bild gibt es zahlreiche Notationsformen wie Kürzel, Logos oder Karikaturen. Diese verweisen auf ältere Kommunikationsformen, die noch ohne verschriftlichte Begriffe auskamen, und kommen damit regressiven Bedürfnissen in hochkomplexen Welten entgegen. Funktional sind sie, wie in graphischen Oberflächen von Computerprogrammen oder als Steuerungshilfen im militärischen Bereich, auf Zeit hilfreich; aus ihnen kann jedoch keine neue Verbildlichung der Welt destilliert werden.

Medien und Sprache

Kein Medium kann ohne Sprache oder Sprachanalogie auskommen - umgekehrt sind Medien keine Sprache an sich und können auch keine ausbilden, allen ästhetischen Eigenarten zum Trotz. Das hat pädagogisch einige Konsequenzen, weil es die Bedeutung von Medien erheblich einschränkt. Ihre Wirkung muß an dieser Stelle einseitig bleiben; nur was jemals in ein Medium eingegeben worden ist, kommt auch aus ihm wieder heraus. Individualität, gar Identität läßt sich über Medien nicht bilden, sondern lediglich Konventionalität.

Das beginnt mit sprachlichen Prägungen wie in der Mode oder Musik, betrifft aber auch die vergeblichen Bemühungen um autonome Gestaltung in aktuell informationsvermittelnden Medien. Performative Akte, die überhaupt Gesellschaft bilden und stratifizieren, sind nur im Sprechen möglich, nicht in medial vermittelter Sprache. Zwischen Sprechen und Sprache liegt somit die Grenze medialer Vermittlung; ersteres benötigt körperliche Anwesenheit und damit allein einen Konsens über die gegenseitig verstehbaren Kommunikationsformen, letzteres wird als Angebot ohne Rückfrage und Rücksicht auf mögliche Einschränkungen der Aufnahmefähigkeit abgeliefert.

Aus diesem Grund sollte prinzipiell auf das Compositum Medienkunst verzichtet werden, denn es bezeichnet eine contradictio in adjecto. Kunst ist immer ein materiell gegebenes Angebot zur Erkenntnis - wobei die Materialität in der Existenz eines Kunstwerks wechseln kann -, das zwar mit medialen Mitteln erstellbar sein kann, aber selbst an seine Form gebunden ist. Kunst wirkt als Katalysator interpersonaler Kommunikation oder intrapersonaler Reflexion, muß damit jedoch auch von massenkommunikativer Wirksamkeit ausgeschlossen werden. Das bedeutet nicht, daß sich Kunstwerke aller Gattungen medial referieren lassen - nur sind sie nicht sie selbst.

Medien und Ritus

Die Zelebration von menschlicher Gemeinschaft bedurfte immer zeremonieller Inszenierungen, aus denen kraftvolle Zeichen bezogen wurden, um mental zu überleben - eine conditio humanae. Bis zu einem gewissen Grade mußten diese Zeichen erkennbar oder verstehbar sein, Ursprung der Kultur, Kunst und Medien. Umfängliche Regelwerke setzten rituelle Bedingungen gesellschaftlicher Existenz fest und leisteten Stratifikationen, auf die wir bei aller Rationalität und Verrechtlichung unserer Existenz gelegentlich zurückgreifen müssen - Säkularisierung des Rituellen.

Riten strukturieren Zeit. Die mittelalterliche ordo regelte mittels Glocke die alltäglichen Stunden aus Arbeit, Gebet, Ernährung und Schlaf; die antiken Feiertagsregelungen legten das Jahr als Mischung aus Lust und Last fest. Die Auswirkungen ritueller Strukturen werden medial vermittelt; die abendliche Runde vor den Fernsehnachrichten entspricht dem perfekt. Riten bedürfen der Orte und Altäre, auch dieses ist mit der Plazierung des Fernsehgeräts im Wohnzimmer exakt beschrieben.

Rituale haben auch pädagogische Funktionen. Indem sie unter bestimmten und kontrollierten Bedingungen Triebabfuhren durch Exzesse ermöglichen, kanalisieren sie weitergehende Bedürfnisse aus den Tiefen unserer Psyche. Mediale Allgegenwärtigkeit löst rituelle Nutzungen zunehmend auf und begünstigt durch das Versprechen ständigen Glücks zunehmend Schieflagen psychischer Balancen. Hier ist ein weites Feld pädagogischer Bemühungen zu bestellen.

Medien und Ethik

Ethik regelt prinzipiell das Zusammenleben der Menschen, indem sie Wertkategorien bereitstellt, aus denen jeweils eine persönliche Moral bezogen werden kann. Medien kommt in diesem Prozeß eine immens wichtige Rolle zu, weil sie durch Informationsvermittlung sowohl die Kategorien einer Ethik bereitstellen als sie auch kritisierbar machen. Hier ist einmal mehr die technische Begrenztheit von Medien zu betrachten: Was nicht eingegeben wird, kann nicht herausgeholt werden.

Im Netz hat dies zu einigen neuen Konsequenzen geführt, die ethische Fragen heraufbeschwören. Eine Magna Charta der Netznutzung ist an ihrem eigenen Konservativismus gescheitert, dafür dürfen allerlei Sekten, Neonazis und erotisch abseitig Orientierte ihre Probleme und Weltlösungen ungehindert jedermann zur Verfügung stellen. Vorläufig und bis zum Zusammenbruch technischer Möglichkeiten regelt ein quantitatives Prinzip die Moral der Benutzer: Wer etwas nicht sehen will, schaltet weiter. Der Traum einer anarchischen Benutzung des Wissens dieser Welt, mit der Photokopier-Maschine zur Studentenrevolte nach 1968 geboren, scheint somit nahe zu sein.

Doch es gibt einen Bedarf an Ethik jenseits dieser Selbstregulierung. Die Definition nichthierarchischer Zugriffsmöglichkeiten auf Informationen läßt selbst keine Möglichkeit zur Kategorie dessen, was aus diesen Informationen wird. Daran scheitern letztlich alle Eingriffe von außen. Die Moral derjenigen, die ihre Eingaben ins Netz machen, werden eine Ethik der Nutzung von Medien formen, auf dem Wege der Autopoesis und ohne feste Formvorgabe. Es könnte tatsächlich die erste Ethik sein, die aus den Medien selbst kommt, bestimmt durch große Quantitäten und damit jenseits aller Symmetrie auch mathematisch stabil.