Proteste gegen Atommüll-Transporte und das geplante Endlager in Gorleben

Seite 4: Großdemonstration und Blockaden

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Die Tietkes engagieren sich seit vielen Jahren in der Bäuerlichen Notgemeinschaft. Dieser lose Zusammenschluss von alteingesessenen Familien hat keine Satzung, keinen Vorstand, keinen Mitgliedsbeitrag. Die Bauern hegen wenig Neigung zu Vereinsmeierei und Politikgemauschel. Auch den Parteien, und zwar allen, stehen sie kritisch gegenüber. In ruhigen Zeiten kommen 30 bis 40 Landwirte, in den heißen Phasen vor dem Castortransport bis zu 300.

"Wir sind schon so routiniert, dass wir nicht so viel vorbereiten müssen", sagt Monika Tietke. „Wir kennen uns und wissen, wer was machen kann“, erklärt sie die Arbeitsweise der Bäuerlichen Notgemeinschaft. „Ein Anruf genügt meistens. Wir brauchen einen Laster Stroh, wer macht das? Und wenn der Angerufene das nicht selbst erledigen kann, dann weiß er garantiert jemand anderen, der die Sache übernimmt“.

Neben zahlreichen Aktivitäten ist auch eine Großdemonstration aller Gruppen am 8. November in Gorleben geplant. „Atomkraft – Nein Danke!“ lautet der alte und schlichte Slogan. „Selbstverständlich gibt es auch immer Überraschungen. Es ist nicht immer so klug, alle Pläne in die Öffentlichkeit zu tragen“, so Francis Althoff, der Sprecher der Bürgerinitiative. Das gilt insbesondere für Blockadeaktionen auf der Straße, wie sie von der Bäuerlichen Notgemeinschaft schon viele Male gemacht wurden - sei es mit Traktoren oder mit festgeketteten Menschen.

Auch autonome Gruppen verraten nicht viel: „Wir versuchen, mit möglichst vielen Leuten auf die Transportstrecke zu kommen“, kündigt ein Aktivist aus Hamburg an. Dieses Jahr werde man die Blockade-Erfahrungen einfließen lassen, die man in Heiligendamm beim G8-Gipfel und in Hamburg während des Klimacamps und dem Protest gegen das Kohlekraftwerk Moorburg gesammelt habe. „Die Aktionen sind nicht symbolisch gemeint“, betont er, denn es ginge darum, den Transport tatsächlich zu verhindern oder zumindest zu verzögern und die Kosten in die Höhe zu treiben.

Im November werden die Abfälle aus der Wiederaufbereitungsanlage in La Hague in das Zwischenlager in Gorleben nicht in Castor-Behältern transportiert, sondern in Behältern vom Typ TN 85 des französischen Herstellers TN International. Bild: GNS

Kein „symbolischer“ Protest

Dass der Protest nicht symbolisch gemeint ist, ist keine Spezialiät der Autonomen. Selbst prominente Grüne wie Katrin Göring-Eckardt gibt gegenüber der tageszeitung an, dass ihr erstmaliger Protest im Wendland "nicht nur symbolisch" sein solle. Die Bundestagsvizepräsidentin und Vertreterin des Realo-Flügels sieht eine "neue Situation", weil der Konsens in Frage gestellt werde und man nicht mehr darauf vertrauen könne, dass der Ausstieg wirklich komme. Die Anti-Atom-Bewegung hatte genau das schon immer befürchtet und den von den Grünen im Jahr 2001 mit verhandelten Konsens-Vertrag darum abgelehnt.

Die Diskussion um neue Reaktoren und längere Laufzeiten machten viele Aktivisten wütend, so Francis Althoff. Ärgerlich sei auch, dass die großen vier Kraftwerksbetreiber E.on, RWE, EnBW und Vattenfall den Atomstrom zu Ökostrom mutieren ließen. Mit der Atomkraft würde nicht das Klima, sondern der Extraprofit der Betreiber gerettet. Der BI-Sprecher sitzt hinter einem mächtigen Schreibtisch im kleinen Büro der Bürgerinitiative. In den Regalen, die bis an die Decke reichen, stehen dichte Reihen Aktenordner, lagern Dokumentationen, Broschüren und gefaltete Stoff-Transparente. An der Wand hängen Fotos von Sitzblockaden, eine „SMS und Telefon-Alarmliste für den Landkreis“ liegt aus. Wer in den heißen Tagen auf dem Laufenden sein möchte – Wo ist der Castor jetzt? Wo gibt es Ärger mit der Polizei? – kann sich hier eintragen.

„Unsere Speerspitze des Widerstands ist die Initiative 60“, sagt Francis Althoff. Die Aktivisten sind über 60 Jahre alt und stehen immer ganz vorne. Oft seien die jungen Polizisten irritiert, wenn sie plötzlich der älteren Generation gegenüber stehen, berichtet der BI-Sprecher. Darüber hinaus seien noch zahlreiche andere Gruppen engagiert, etwa die Gorleben-Frauen, Schülergruppen, die Sitzblockadeaktivisten von X-tausendmalquer und die Stuhlprobe . Letztere sind Menschen, die mit Klappsitz und Buch vor dem Castor-Verladekran in Dannenberg demonstrieren oder an anderen ungewöhnlichen Orten Lesungen veranstalten.

Das ganze Jahr aktiv

Viele sind nicht nur in den Wochen vor dem Castor aktiv. Auch Francis Althoff betont die kontinuierliche Arbeit: „Wir sind immer dabei, das ganze Jahr und auch samstags.“ Die Bürgerinitiative, die sich seit über 30 Jahren erfolgreich gegen Atomanlagen wehrt, habe 900 Mitglieder und sei ein größerer Verband als die politischen Parteien im Landkreis. Neben dem Protest auf der Straße erstelle die Initiative auch Publikationen und informiere die Öffentlichkeit auf Veranstaltungen. Außerdem betreibe man „Juristerei“.

Die Bürgerinitiative geht gegen Grundrecht-Verstöße wie auch gegen Sicherheitsmängel vor. „Wir sind schon fast ein alternativer Behälter-TÜV“, sagt er. Vor Gericht haben sie schon so manchen Sieg eingeheimst. Die Praxis der Polizei, ganze Dörfer einzukesseln und Versammlungen weiträumig mit Gewalt aufzulösen, wurde im Nachhinein immer wieder von den Gerichten kassiert. Was die Polizei aber nicht hinderte, es im nächsten Jahr genauso zu machen.

Einmal haben sie sich mit der Juristerei ins eigene Fleisch geschnitten. Sie bemängelten, dass es in der Halle neben dem Salzstock, in der die Castoren lagern, keine Möglichkeit gibt, beschädigte Castoren zu reparieren. „Diese Klage war zu kurz gedacht“, sagt Monika Tietke. Sie ruckelt in ihrem VW-Transporter über einen Waldweg. Tomaten rollen in einer Pappkiste, am Rückspiegel tanzt ein kleines, gelbes Holz-X. Sie zeigt auf die große Anlage, die hinter Stacheldraht und einem hohen Erdwall steht: die seit 2000 betriebsbereite Pilot-Konditionierungsanlage. „Hier könnten kaputte Behälter Castoren repariert werden“, erklärt die Bio-Bäuerin. Gleichzeitig seien mit der Anlage aber weitere Tatsachen für ein Endlager geschaffen worden. Dort können Kopf- und Fußstücke der Brennelemente abgetrennt und die Stäbe aus den Brennelementen gezogen und für die Endlagerung in gusseiserne Container verpackt werden – wenn denn der Salzstock jemals als Endlager genehmigt werden soll.

Kostspielige Transportsicherung

Monika Tietke wendet und passiert den Polizeiwagen, der ihr gefolgt ist. „Jetzt notieren sie wieder.“ Es sei skandalös, aber sie hätte sich schon fast daran gewöhnt, dass die Polizei Atomkraftgegner beobachte, verfolge und Telefone abhöre.

Nicht nur die Anti-Atom-Aktivisten bereiten sich vor, auch die Polizei rüstet sich zum Transport: Schlafcontainer werden gelüftet, Bahnstrecken geprüft und der Einsatz gegen eine Sitzblockade trainiert. Der als abhörsicher geltende Digitalfunk wird beim nächsten Castor-Transport zum ersten Mal bei einem Großeinsatz verwendet. 20,7 Millionen Euro hat das Land Niedersachsen 2006 für den Einsatz der Länderpolizeien mit 11.000 Beamten gezahlt. Außerdem wurden rund 7000 Bundespolizisten eingesetzt. Wie teuer die Gesamteinsätze pro Transport sind, die stets zu den größten der Bundesrepublik zählen, weiß man im Bundesinnenministerium offenbar nicht: „Zu den Einsatzkosten im Jahr 2006 liegen dem BMI keine belastbaren Informationen vor. Prognosen zu den Gesamtkosten 2008 können ebenfalls nicht getroffen werden“, sagt dessen Sprecher Markus Beyer. Laut der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg habe der Transport 1997, bei dem 30.000 Beamte eingesetzt gewesen seien, 111 Millionen DM gekostet.

Für das atomare Endlagerprojekt Gorleben sind laut Bundesregierung von 1977 bis Ende 2007 1,51 Milliarden Euro ausgegeben worden. Obwohl es derzeit ein Moratorium für die Erkundung des Salzstocks gibt, sind im laufenden Haushaltsjahr 27,6 Millionen für das „Endlagerbergwerk Gorleben“ veranschlagt. Weitere Millionen Euro werden folgen – auch wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) aus finanziellen Gründen auf ein Endlager in Gorleben drängt. "Alle Zweifelsfragen sind abgearbeitet“, sagte auch Holger Bröskamp. Er ist Geschäftsführer der Gesellschaft für Nuklearservice (GNS), die für die Energiewirtschaft die Atommülltransporte abwickelt.

Solche Aussagen finden Atomkraftgegner im Wendland verantwortungslos. Viele haben das Vertrauen in die Wissenschaftler und Politiker verloren. Allein die Bezeichnung Endlager halten sie für einen Taschenspielertrick. Der heiße und strahlende Müll müsse immer zurückholbar bleiben, falls etwas schief geht – das zeige sich nicht zuletzt in Asse. „Man hat mit der Atomkraft etwas geschaffen, das sich nicht beherrschen lässt und niemand hat eine Lösung für den Abfall, weil es eben keine sichere Lagerung auf Millionen von Jahren gibt. Niemand kann das heute garantieren“, sagt Monika Tietke.