Proteste gegen Professur und Putsch
In Bonn sorgt ein vom Verteidigungsministerium finanzierter Lehrstuhl zu Ehren des ehemaligen US-Außenministers Henry Kissinger für Unmut
Ein zunächst lokaler Streit um einen Lehrstuhl zu Ehren des ehemaligen US-Außenministers Henry Kissinger an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat die Bundespolitik erreicht. Nachdem die Hochschule Ende Mai zum 90. Geburtstag Kissingers die aus Bundesmitteln finanzierte Professur bekanntgegeben hatte, meldeten Hochschulgruppen bereits Widerspruch an. Nun musste auch die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Bündnisgrünen Stellung nehmen. Kritiker der "Henry-Kissinger-Professur" haben am 11. September, dem 40. Jahrestag des blutigen Militärputsches in Chile, auf einer Protestkundgebung über die Rolle Kissingers bei dem Sturz der Regierung von Präsident Salvador Allende 1973 informiert. Der Uni Bonn steht Ungemach ins Haus, bevor der Lehrstuhl überhaupt eingerichtet ist.
Ende Mai hatte die Universität bekanntgegeben, dass ab dem kommenden Jahr eine Professur für Internationale Beziehungen und Völkerrecht nach dem ehemaligen Nationalen Sicherheitsberater (1969-1973) und US-Außenminister (1973-1977) benannt werden soll. Dies haben, wie es in einer Pressemitteilung der Hochschule heißt, "Verteidigungsminister De Maizière und Außenminister Westerwelle (...) beschlossen". Der Rektor der Universität Bonn, Jürgen Fohrmann, zeigte sich davon überzeugt, dass die "Henry-Kissinger-Professur" Forschung und Lehre auf den Gebieten der internationalen Beziehungen und der Völkerrechtsordnung beflügelt, den Dialog zwischen Wissenschaft und Politik intensiviert und einen neuen Akzent auf dem Gebiet der internationalen Sicherheitspolitik setzt.
Die maßgeblich vom Verteidigungsministerium finanzierte "Henry-Kissinger-Professur für Internationale Beziehungen und Völkerrechtsordnung unter besonderer Berücksichtigung sicherheitspolitischer Aspekte" ist nach Angaben der Universität auf fünf Jahre angelegt. Die entsprechenden Voraussetzungen würden im Bundeshaushalt 2014 geschaffen.
Widerspruch von Studierenden in Bonn
Obschon die Universitätsleitung die Stiftung des Lehrstuhls begrüßt, laufen Hochschulgruppen, Friedensorganisationen und Vertreter der Parteienopposition dagegen Sturm. Sie machen Kissinger für schwerste Menschenrechtsverbrechen während der siebziger Jahre in Südostasien und Südamerika verantwortlich. Die Einrichtung einer Professur ausgerechnet zum 40. Jahrestag des Putsches in Chile sei ein "makabrer Scherz", hieß es von dieser Seite.
Inzwischen haben sich Vertreter von Hochschulgruppen der Grünen, der SPD, der Linkspartei sowie Vertreter von Nichtregierungsorganisationen mehrfach getroffen, um eine gemeinsame Haltung gegenüber den Plänen der Universität sowie des Verteidigungs- und Außenministeriums als Financiers zu beraten. Er könne nicht nachvollziehen, wie die positive Darstellung der Universitätsleitung mit der Beteiligung Kissingers an dem Putsch zu vereinbaren sei, sagte Lukas Mengelkamp von der Grünen-Hochschulgruppe.
Auch die Rolle Kissingers bei der Invasion Osttimors durch Indonesien wird nicht nur von den Aktivisten kritisch gesehen. Der US-britische Journalist Christopher Hitchens hatte Verbindungen Kissingers zu schweren Menschenrechtsverbrechen dokumentiert und 2001 in Buchform veröffentlicht, der britische Guardian veröffentlichte damals Vorabdrucke zum Chile-Teil.
Dennoch ist vielen Studenten heute der Name Kissinger nicht mehr geläufig. "Unser Ziel ist, die Öffentlichkeit über die Hintergründe dieser Person zu informieren und in letzter Konsequenz den Namen wegzubekommen", sagte Mengelkamp gegenüber Telepolis. Das Wahlkreisbüro des linken Bundestagsabgeordneten Paul Schäfer will die Proteste zu koordinieren helfen. "Diese Professur ist ein Skandal und sollte auch so behandelt werden", heißt es in einer Rundmail des Büros an Friedens- und Hochschulgruppen.
Das noch junge Bündnis gegen die "Henry-Kissinger-Professur" plant zugleich, die Frage der Forschungsfreiheit zu thematisieren. Angesichts der fast ausschließlichen Finanzierung der Professur vom Verteidigungsministerium müsse man fragen, inwieweit eine unabhängige wissenschaftliche Arbeit möglich sei, hieß es bei dem Treffen der Aktivisten. In den letzten Jahren hatten ähnliche Vorstöße der Bundeswehr in Universitäten für Kritik gesorgt. Studentenvertretungen fordern daher Zivilklauseln, die eine Unterordnung der Hochschulen unter militärwissenschaftliche oder sicherheitspolitische Interessen des Staates unterbinden. Diese Diskussion wird nun auch in Bonn geführt.
"Alternative stand nicht zur Debatte"
Im Streit um die sogenannte Henry-Kissinger-Professur stehen sich die Meinungen diametral entgegen. In ihrer Pressemitteilung Ende Mai hatte die Universität Verteidigungsminister Thomas de Maizière Raum eingeräumt, nach dessen Meinung "Henry Kissinger (...) einer der großartigsten Staatsmänner des 20. Jahrhunderts und ein brillanter Wissenschaftler" sei. Sein 90. Geburtstag sei ein "wunderbarer Anlass, seine Verdienste durch die Einrichtung einer Professur für Internationale Beziehungen und Völkerrechtsordnung auf ganz besondere Art und Weise zu ehren". Man wolle mit der Professur Danke sagen.
Ähnlich äußerte sich der Direktor am Bonner Institut für Völkerrecht, Matthias Herdegen, der nach Angaben der Universität die Stiftungsprofessur mit aus der Taufe gehoben hat. "Wir erhoffen uns von der Henry-Kissinger-Professur wesentliche Impulse für die Forschung und Lehre auf den Gebieten der internationalen Beziehungen und der Völkerrechtsordnung", schrieb der Jurist auf schriftliche Fragen von Telepolis: "Auch wollen wir in einen intensiveren Dialog zwischen Wissenschaft und Politik eintreten, insbesondere auf dem Gebiet der internationalen Sicherheitspolitik."
Die Ansiedlung der Professur an der Universität Bonn betone außerdem die enge Verbundenheit Henry Kissingers mit der alten Bundeshauptstadt Bonn. Weniger kontroverse Namensgeber hätten nicht zur Disposition gestanden, so Herdegen weiter: "Die Mittelgeber wollen mit der Stiftungsprofessur Henry Kissinger anlässlich seines 90. Geburtstages ehren und ein Zeichen für die Beziehungen zwischen den USA und Europa setzen. Eine Alternative stand nicht zur Debatte."
Kritik von Akademikern aus Köln und Hannover
Herdegen bleibt auch in der akademischen Gemeinschaft nicht ohne Widerspruch. "Zum 40. Jahrestag des Pinochet-Putsches einen Lehrstuhl nach Kissinger zu benennen - ist das nicht peinlich?!", so der knappe Kommentar des Kölner Professors für iberische und lateinamerikanische Geschichte, Michael Zeuske.
Auch der Lateinamerika-Kenner und emeritierte Professor für Soziologie an der Leibniz-Universität Hannover, Klaus Meschkat, sieht die Haltung der Bonner Universität kritisch. "40 Jahre nach dem Pinochet-Putsch, der mir selbst Inhaftierung und Ausweisung eingebracht hatte, bin ich besonders betroffen davon, dass einer der Hauptverantwortlichen für die US-amerikanische Intervention gegen die chilenische Demokratie auf diese Weise geehrt wird", sagte er gegenüber Telepolis:
Ich halte es unabhängig von der skandalösen Namensgebung zudem für untragbar, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung zusätzliche Mittel zur Ausweitung von Forschung und Lehre an einer deutschen Universität ausgerechnet über das Verteidigungsministerium kanalisiert.
Es sei eine "Schande für die Universität Bonn", sich auf diese Weise "zum Komplizen einer Ehrung zu machen, die zahllose Opfer der von Henry Kissinger betriebenen Politik auf zynische Weise verhöhnt".
Herdegen hatte gegenüber Telepolis auch diese Kritik an der Finanzierung durch das Verteidigungsministerium zurückgewiesen. Diese Finanzierung sei "an der Universität Bonn geübte Praxis". Es gebe an der Hochschule bereits mehr als zwei Dutzend öffentlich, privat und gemeinnützig finanzierte Stiftungsprofessuren. Die Universität entscheide frei, ob sie eine Stiftungsprofessur überhaupt annehme. Im Vorfeld werde mit den Förderern das zu bearbeitende Forschungsfeld abgesteckt. "Im laufenden Betrieb hat der Geldgeber keinen Einfluss auf Forschung und Lehre oder die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen", versicherte Herdegen. Die Besetzung von Stiftungsprofessuren regelt das Hochschulrecht des Landes Nordrhein-Westfalen. All das sei auch bei der "Henry-Kissinger-Stiftungsprofessur" nicht anders: "Im Übrigen freut sich die Universität Bonn über vielfältige, stets wissenschaftlich offene Förderung durch demokratisch legitimierte Institutionen, sei es des Bundes oder des Landes."
Regierung: Kein weiterer Lehrstuhl finanziert
Die Antworten der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsabgeordneten Katja Dörner lassen die umstrittene Vereinbarung jedoch in einem anderen Licht erscheinen. Das Verteidigungsministerium finanziere keinen anderen Lehrstuhl an weiteren Hochschulen oder Fachhochschulen, abgesehen von den Universitäten der Bundeswehr, heißt es in dem noch nicht veröffentlichten vierseitigen Dokument (Drucksache 17/1476) aus der ersten Septemberwoche. Mit anderen Worten: Bei der vom Verteidigungsministerium an die Uni Bonn herangetragenen Professur handelt es sich um einen Präzedenzfall. Um einen Tabubruch, würden die Kritiker sagen.
Immerhin 250.000 Euro lässt sich das Ministerium De Maizières das mitentworfene Vorhaben in den ersten fünf Jahren kosten, weitere 50.000 Euro schießt im gleichen Zeitraum das Auswärtige Amt zu. Man habe die Professur innerhalb der Bundesregierung abgestimmt und sei dann mit der Universität in Dialog getreten.
In Nordrhein-Westfahlen war diese Praxis 2011 vom Landesrechnungshof zuletzt gerügt worden. "Bei der Besetzung der Stiftungsprofessuren sowie bei deren inhaltlicher Ausrichtung waren teilweise erhebliche Einflussnahmen der Stifter festzustellen", hieß es im entsprechenden Jahresbericht. Der Landesrechnungshof forderte, dass durch die Annahme und Fortführung von Stiftungsprofessuren die Wissenschaftsfreiheit der Hochschulen nicht beeinträchtigt werden dürfe.
Während an der Bonner Universität die Planungen für den Stiftungslehrstuhl laufen, wollen sich die Kritiker weiter organisieren. Auf dem zentralen Münsterplatz in Bonn errichteten sie am 11. September Stellwände, mit denen über die Rolle Kissingers bei dem Militärputsch 1973 in Chile informiert wird. Schon vor Allendes Wahlsieg 1970 hatte der US-Auslandsgeheimdienst CIA in dem südamerikanischen Land Aktionen koordiniert, um den Aufstieg des Sozialisten zu verhindern. Nach dem Putsch suchte Kissinger offen Kontakt zum Militärdiktator Augusto Pinochet. Die Aktivisten in Bonn wollen an diese Geschichte erinnern und bereiten weitere Aktionen vor, während nun auch die Opposition in Berlin auf das Vorhaben aufmerksam geworden ist. Die Professur, mit der sich die Uni Bonn schmücken wollte, wird so zu einem zunehmenden Problem.
Redaktionelle Erklärung
Zu dem Thema war ursprünglich ein Interview mit Professor Herdegen geplant. Die Pressestelle der Universität Bonn schloss ein übliches telefonisches Interview beim ersten Kontakt am 16. August Anfrage jedoch aus, um Telepolis stattdessen die Einreichung schriftlicher Fragen anzubieten. Die Redaktion ging auf diese für sie unübliche Variante unter der Bedingung ein, dass ggf. Nachfragen gestellt werden können.
Den Abdruck der Antworten auf den Fragenkatalog musste Telepolis am 22. August maßgeblich aus zwei Gründen ablehnen. Nach Auffassung der Redaktion nutzte Professor Herdegen die schriftliche Form zum einen, um den kritischen Punkten auszuweichen. Unter anderem fasste er zwei zentrale Fragen ohne Rücksprache zusammen. Zudem wurde eine Antwort in Gänze aus einer mehrere Wochen alten Pressemitteilung der Universität kopiert und eingefügt.
Trotz mehrfacher Nachfrage lehnte die Universität Bonn schließlich sowohl die Beantwortung schriftlicher Nachfragen als auch ein telefonisches Interview ab. Telepolis hat sich vor diesem Hintergrund und zur Wahrung der journalistischen Qualität dazu entschieden, Antworten Professor Herdegens in einen redaktionellen Beitrag einfließen zu lassen. Zugleich dokumentieren wir im Folgenden die schriftlichen Antworten vollständig.
Fragen und schriftliche Antworten von Professor Herdegen