Proteste gegen gläserne Kommunikation in Argentinien
Nach einem neuen Telekommunikationsgesetz sollen alle Inhalte und Verbindungsdaten der Internetnutzung 10 Jahre lang gespeichert werden
In Argentinien ist eine Auseinandersetzung um das neue Telekommunikationsgesetz entbrannt. Es soll am kommenden 31. Juli in Kraft treten und verpflichtet alle Internetprovider, die Inhalte und sonstige Daten von Email-Kommunikation, Chats und Informationen über besuchte Webseiten über einen Zeitraum von 10 Jahren zu speichern. Diese Daten sollen auf Anfrage der Justiz unmittelbar dem staatlichen Geheimdienst SIDE zur Verfügung gestellt werden. Das Gesetz soll angeblich der Bekämpfung von Verbrechen dienen, insbesondere im Fall von erpresserischen Entführungen und des Drogenhandels.
Dasselbe gilt für alle Telefonanbieter, unabhängig davon, ob sie Festnetz- oder Handy-Anschlüsse betreiben. 10 Jahre lang sollen sie die Daten von Anrufern, Angerufenen, Gesprächsdauer und Standort zum Zeitpunkt des Gesprächs bereithalten, sowie die nötigen Geräte, um auf gerichtliche Anforderung hin jegliche Gesprächsinhalte unmittelbar mitschneiden zu können.
Das Telekommunikationsgesetz war bereits im November und Dezember 2003 von beiden Kammern des Parlaments verabschiedet worden, in beiden Fällen ohne jegliche Debatte und unter dem verharmlosenden Titel "Regelung für die Dienstleistungen in Mobiler Kommunikation". Weiter ausgeführt wurde es in einem Präsidentendekret vom 9. November 2004, das jetzt allerdings wieder zurückgenommen werden musste. Dieses Dekret besagt wörtlich, Ziel der Datenerfassung sei "der Erhalt und die persönliche Zuordnung des Inhalts einer Telekommunikation zwischen zwei oder mehr Punkten oder Zielen durch technische Mittel".
All dies war bis vor kurzem ohne große mediale Aufmerksamkeit vonstatten gegangen, so dass diese Regelungen, in einem Land, dessen öffentliche Meinung noch unter dem Eindruck der letzten Militärdiktatur 1976-1983 steht, ohne weitere Proteste allen Instanzen passieren konnten. Lediglich einige Webseiten wie Internet Headlines News hatten frühzeitig über diesen Angriff auf die Bürgerrechte berichtet. Das Dekret Nr. 1653 wurde von Präsident Nestor Kirchner persönlich unterzeichnet, der im lateinamerikanischen Kontext ansonsten wegen seiner Verhandlungserfolge gegen den Internationalen Währungsfonds in Sachen Auslandsschuld recht populär ist.
Die Cámara Argentina de Bases de Datos y Servicios en Línea (CABASE), in der ca. 120 Provider zusammengeschlossen sind, reichte am 16. Februar dieses Jahres eine Verfassungsklage gegen das neue Gesetz mit folgender Begründung ein:
Die in Frage gestellten Normen stellen alle Bewohner des Landes unter Generalverdacht. Sie erzwingen die Erhebung einer Reihe von Daten, die in die Privatsphäre der Personen gehören weshalb ein solcher Eingriff in die Intimsphäre nicht geduldet werden kann und soll.
Allerdings ging es der CABASE auch darum zu verhindern, dass die darin zusammengeschlossenen Unternehmen gezwungen werden, erhebliche technische Investitionen zu tätigen, um den staatlichen Überwachungsgelüsten gerecht zu werden.
Angesichts der Proteste macht die Regierung einen kleinen Rückzieher
Erst am 10.April 2005 machte die linksorientierte Tageszeitung página/12 die Regierungspläne einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich und trat damit eine Welle der Empörung los. Akademiker, Juristen und Nichtregierungsorganisationen sprachen sich geschlossen gegen das neue Gesetz und das dazugehörige Dekret aus. Insbesondere der Zeitraum von 10 Jahren für die Datenspeicherung wurde kritisiert, der in keinem anderen Land der Welt ähnlich lang sei – und die vorgesehene Speicherung aller Webseiten, die ein Kunde im Netz besuche.
In der Praxis ist es nichts anderes als die öffentliche Bestätigung, dass alle Bürger unter Überwachung stehen werden, und schlimmer noch, dass diese Überwachung von Privatunternehmen durchgeführt werden wird.
Beatriz Busaniche, Aktivistin von Software libre und Mitglied der Stiftung Via Libre.
Nach Ansicht von Busaniche verletze das neue Gesetz den Artikel 43 der argentinischen Verfassung, welcher den Datenschutz regelt:
Nach diesem Artikel hat jeder Bürger das Recht einzufordern, dass all seine Daten aus jeglicher Datenbank gelöscht werden, aber das jetzige Dekret besagt, dass die Unternehmen die Überwachungs-Infrastruktur geheim halten müssen.
Auch Artikel 19 der Verfassung steht im Widerspruch zum Telekommunikationsgesetz in seiner jetzigen Form, da er postuliert, dass die privaten Tätigkeiten der Bürger, die nicht die öffentliche Ordnung und Moral verletzen, vor staatlichen Eingriffen geschützt seien.
Bereits drei Tage nach diesem Aufschrei, am 13. April, ließ Präsident Kirchner aus Deutschland, wo er sich gerade aufhielt, verlauten, er ziehe das Präsidentendekret Nr. 1653 zurück. Sein Kabinettschef Alberto Fernández führte am Mittag desselben Tages weiter aus:
Die alleinige Möglichkeit, dass jemand sein Recht auf Privatsphäre verletzt sehen könnte, lässt uns davon zurückstehen, um eine etwas perfektere Norm auszuarbeiten und sie mit denjenigen zu diskutieren, die Alternativen vorschlagen.
Fernández beschwichtigte, es sei ohnehin nur darum gegangen, den Telekommunikationsverkehr und nicht seine Inhalte zur überwachen – was jedoch in direktem Widerspruch zum oben wiedergegebenen Klartext des nun widerrufenen Dekrets steht.
Das Telekommunikationsgesetz selbst bleibt jedoch vorerst unangetastet, lediglich die im Dekret enthaltenen Ausführungsbestimmungen sollen einer Debatte ausgesetzt werden. Nun kommt es auf die Gerichte an, die über die Klage von CABASE und die von vielen anderen Juristen entscheiden müssen.