Proteste in Iran: Tote infolge brutaler Repression

Protest auf dem Teheraner Keshavarz Boulevard; Foto (20.September 2022): Darafsh/CC BY-SA 4.0

Straßenproteste in mehreren Städten; die Hoffnung in westlichen Medien und die Aussicht, dass die iranische Machtelite auch den Aufruhr über den Tod einer Frau, die nicht korrekt nach Gesetzen der Islamischen Republik gekleidet war, zerschlagen wird.

Es gab weitere Tote bei den Protesten in Iran, wie al-Monitor berichtet, gestützt auf Angaben der Menschrechtsorganisation Article 19. Die Zahl der bisherigen Todesopfer bei den Protesten wird mit sechs angegeben. Auf der englisch-sprachigen Webseite der staatlichen iranische Nachrichtenagentur Irna findet sich dazu heute keine Meldung.

Auf Irna ist aber zu erfahren, dass der Oberste Richter des Landes, Gholamhossein Mohseni-Esche'i, eine Untersuchung der Umstände des Todes von Mahsa Amini angeordnet hat.

Bemerkenswert ist die Einordnung der Proteste: "Der Tod von Mahsa Amini löste in der iranischen Bevölkerung Wut und Mitgefühl aus." Präsident Ebrahim Raisi habe die Familie der 22-Jährigen am Sonntag angerufen, um zu erklären, dass er eine "sorgfältige Untersuchung" des Vorfalls angeordnet habe, damit keine Rechte verletzt würden: "Ihre Tochter ist wie meine eigene Tochter."

Geht es nach Informationen von Borzou Daragahi, Autor beim britischen Independent, so ist der echte Vater von Mahsa Amini geschockt über die Spuren der Gewalt, die seiner Tochter nach ihrer Festnahme durch Staatsangestellte angetan wurde:

"Als wir ins Krankenhaus kamen, durften wir Mahsa nicht sehen", sagte Amjad Amini gegenüber der Website Rouydad 24 (wird dem Lager der Reformisten zugeordnet, Anm. d. A.). "Sie hatten ihren ganzen Körper bedeckt, so dass wir die blauen Flecken nicht sehen konnten. Ich konnte nur das Gesicht meiner Tochter und ihre Fußsohlen sehen. Aber natürlich konnte ich die blauen Flecken an Mahsas Füßen sehen."

Independent

Mahsa Amini starb am 16. September 2022 in dem Krankenhaus in Teheran. Ihr Tod löste eine Welle von Protesten aus, über die auch hierzulande viel berichtet wird. Festgenommen wurde sie von der Sittenpolizei, weil sie gegen islamische Kleidungsvorschriften verstieß. Vorgeworfen wurde ihr, dass sie ihren Kopf nicht gemäß der Vorschriften bedeckt hatte.

Die Sittenpolizei nahm sie am 13. September fest, trennte sie von ihrem Bruder und brachte sie in eine Haftanstalt. Schon auf der Fahrt dorthin wurde sie nach Informationen des kurdischen Netzwerks für Menschenrechte geschlagen. Vom Gefängnis Vozara, berüchtigt für einen schonungslosen Umgang mit Inhaftierten, wurde sie ins Kasra-Krankenhaus in Teheran gebracht, wo sie verstarb.

Dann begannen die Proteste. Was aus Raisis Äußerungen von Irna englisch mit "public anger" als eher harmlos wiedergegeben wird und in westlichen Medienberichten als bedeutender Aufstand gesehen wird, wird von Beobachtern aus mehreren Städten in Iran gemeldet: Proteste in "Zanjan, Hamedan, Tabriz, Kermanshah, Arak, Mashhad und natürlich Teheran", so die Iran-Korrespondentin Natalie Amiri.

An Beispielen für eine brutale Repression, ausgeführt von Schlägern im Dienst des Machtapparats, mangelt es nicht, ebenso wenig wie an Bildern eines Freiheitswillens, der den Schrecken der Macht unter Beifall der Umstehenden mit frei wehenden Haaren austanzt.

Auf der politischen Ebene ist eine Beurteilung über die Folgen aber schwierig. Iran-Beobachter wie Ali Fathollah-Nejad, der auch an dieser Stelle schon veröffentlicht hat, zeigt sich davon überzeugt, dass das Regime mit eiserner Faust reagieren wird. Wahrscheinlich werde es erfolgreich darin sein, diesen Protest zu zerschlagen.

"Wie bei diesen Protesten üblich, gibt es keine Organisation oder Führung, und das verhindert, dass sie zu einer Bedrohung werden."

Das wäre nichts Neues. Wie bei vielen Protesten zuvor schwingt in Medienberichten in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und anderen westlichen Ländern mehr oder weniger stark die Hoffnung mit, dass die Protestwelle eine Änderung der politischen Machtverhältnisse in Iran herbeiführen könnte.

Diesmal ist es anders, wird herausgestrichen, weil es die Frauen in Iran betrifft. Weil sich dieser Protest nicht aus wirtschaftlichen Gründen entzündet hat, sondern aufgrund einer religiös motivierten tödlichen obsessiven Kontroll- und Repressionsmacht, die an die Substanz der Lebenskultur in Iran geht.

Revolutionen von Frauen sind schwieriger zu unterdrücken, und das nicht nur in Iran. Denken Sie daran, dass sie 50 Prozent der Bevölkerung ausmachen und gebildeter, kultivierter und kohärenter sind und dennoch stärker unterdrückt als Männer.

Nassim Nicholas Taleb

Der militärisch-politische-wirtschaftliche Machtkomplex

Demgegenüber stehen deutliche Hinweise darauf, dass sich die Machtelite in Iran ernsthaft um ihren Rückhalt innen und außen Sorgen machen muss, noch aus. Zur Erinnerung: Mohammad Reza Pahlavi, der "Schah von Persien", wurde im Januar 1979 gestürzt, nachdem ihn die USA vorher schon fallen gelassen hatte und er im Inneren keinen Rückhalt mehr hatte.

Die Situation in Iran 2022 ist eine andere. Die "Macht hinter der Macht", die Revolutionsgarden, persisch Pasdaran, die wirtschaftlich eine starke Macht sind und die Armee dominieren, sitzen nicht auf wackeligen Stühlen. Sie können mithilfe der paramilitärischen Schlägertrupps Basidsch und der Polizei die Proteste zermürben, ohne dass sie ihre Macht gefährden. So sieht es zumindest derzeit aus – auch wenn einzuräumen ist, dass immer mehr möglich ist, als man denkt.

Interessant für Beobachter wird sein, ob und wie sich die Machtblöcke, der Klerus, das Militär und die politischen Blöcke durch die Proteste neu ausrichten. Nach Angaben von Iran-Besuchern ist eine kulturelle Reform seit mehreren Jahren schon deutlich sichtbar.

Gewöhnlich seien zum Beispiel Frauen ohne korrekte Kopfbedeckung im öffentlichen Leben kein spektakuläres, skandalträchtiges Phänomen mehr, vor allem natürlich nicht in Teheran; gut möglich, dass sich der kulturelle Wandel ausdehnt. Die gegenwärtigen Proteste sind eine weitere wichtige Etappe.