Proteste in Russland: Kreml warnt vor Einmischung

Screenshot, Proteste in Moskau. RT-Video

Die USA und die EU sprechen von Massenverhaftungen und einem Affront gegen zentrale demokratische Werte. Kremlsprecher Peskow befürchtet, dass Teilnehmer der unerlaubten Demonstrationen gekauft werden

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"Europa ist, was wir daraus machen", schreibt die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini in ihrem aktuellen Blog. Ähnliches gilt für Russland. Es ist zu einem nicht unwichtigen Teil das, was wir in der Berichterstattung daraus machen. Darin liegt die Crux noch bei den unscheinbarsten Nachrichten. Bei den aktuellen Protest-News-Splittern aus dem riesigen Land werden die großen politischen Kategorien aufgefahren, auch von Mogherini.

Immerhin: Einig sind sich westliche und russische Berichte darin, dass es gestern Demonstrationen in russischen Städten gab und es infolge von Polizeieinsätzen zu Festnahmen kam. In der Schilderung der Dimensionen in ihrer Bewertung und in der Akzentsetzung fallen jedoch wie stets größere Diskrepanzen ins Auge.

USA und EU besorgt über "Massenverhaftungen"

Wie stets ist die Tagesschau eine gute Quelle, um die Akzentsetzung, die im westlichen Mainstream vorherrscht, in knapper griffiger Form zu erfahren. Ihr Bericht rückt "Massenverhaftungen" und die Reaktionen der EU und der USA in den Mittelpunkt.

Federica Mogherini monierte die Polizeieinsätze, weil sie die Ausübung von verfassungsrechtlich garantierten Grundrechten der Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit verhinderten. Das US-Außenministerium sei "besorgt" und bezeichnete das Vorgehen als "Affront gegen die Kernprinzipien der Demokratie".

Die Kritik Mogherinis findet sich in einem offiziellen Statement der EU zu den "Anti-Korruptions-Demonstrationen auf dem Gebiet der russischen Föderation wieder. Dort wird die umgehende Freilassung der Festgenommenen gefordert.

Der Sprecher des US-Außenministeriums, Marc Toner, der seinen Posten unter Trump behalten durfte, fordert dies ebenfalls, wie die New York Times berichtet. Er verurteilt im Namen des State Departments die Festnahmen von "Hunderten friedlichen Demonstranten in ganz Russland, von Menschenrechtsbeobachtern und Journalisten".

Dass der Vorwurf des "Affronts gegen core democratic values" zu einer politischen Frontstellung gehört, wird im Zeitungsbericht anhand der Äußerung eines Senators verdeutlicht: "Hier zeigt sich Putins Kleptokratie in vollem Ausmaß. Die Regierung der Vereinigten Staaten kann zu dieser Niederschlagung von friedlichen Protesten nicht schweigen."

"99 Proteste von Kaliningrad bis Wladiwostok"

Verfasst ist der Bericht der New York Times von deren Moskau-Korrespondent Andrew Higgins. Immerhin also ein Mann vor Ort. Von der politischen Schlagseite abgesehen erfährt man, dass es am Sonntag 99 Proteste in kleineren und größeren Städte in ganz Russland gab - "von Wladiwostok im Osten bis zu Kaliningrad im Westen".

Die Informationen von Higgins stammen von den Organisatoren der Proteste. Das ist die NGO OVD Info.org, die sich dem "Kampf gegen die Korruption in Russland" verschrieben hat. Über deren Arbeit und politische Stoßrichtung dürften wohl nur diejenigen genau Bescheid wissen, die mit der russischen Sprache und den Verhältnissen vertraut sind. Das große Publikum kennt in diesem Zusammenhang vor allem den Namen Alexej Nawalny.

Nawalny ist in der öffentlichen Wahrnehmung im Westen zu einem Symbol des Umgangs von "Putin-Russland" mit der Opposition geworden. Nawalny wird von der westlichen Berichterstattung zu einem Index für die Demokratie in Russland gemacht. Auch er wurde gestern festgenommen.

Im Artikel der Zeit zu den Festnahmen heißt es, dass die USA ganz besonders wegen dieser Festnahme besorgt seien. Wiedergegeben wird die grundlegende Position Nawalnys:

Der prominente Kritiker der russischen Regierung war im Februar zu einer Haftstrafe von fünf Jahren auf Bewährung verurteilt worden. Ihm wird Veruntreuung vorgeworfen. Nawalny weist die Vorwürfe zurück und will in Berufung gehen. Seiner Ansicht nach wollen ihn die Behörden von einer Kandidatur bei der Präsidentenwahl 2018 hindern.

Anfang März hatte Nawalny ein Video veröffentlicht, in dem er Belege für die angebliche Korruption ranghoher Staatsdiener zeigte. Demnach soll Ministerpräsident Medwedew über ein undurchsichtiges Netzwerk von Nichtregierungsorganisationen ein Immobilienimperium kontrollieren. Nawalny prangert in seinem Blog seit Jahren Korruption an.

Die Zeit

Im Zeit-Artikel finden sich noch ein paar Zahlenangaben: 1.000 Festnahmen allein in Moskau. 8.000 Demonstranten in Moskau, in Sankt Petersburg 4.000, laut AFP, Demonstrationen "in vielen weiteren Städten". Die Hamburger Zeitung berichtet aber auch von den Zahlenangaben der Polizei in Moskau. Demnach seien in Moskau 500 Demonstranten festgenommen worden.

"Unerlaubte Demonstrationen" - hartes Vorgehen

Das ist eine beachtliche Zahl, die von einem Bericht der Nachrichtenagentur Tass, gestützt auf Angaben des russischen Innenministeriums, bestätigt wird. Der englisch-sprachige Tass-Bericht gibt die genannten Vorwürfe der USA und der EU wieder, macht aber im ersten Satz schon klar, dass die Protestveranstaltungen "in some Russian cities" keine behördliche Genehmigung hatten. Sie waren "illegal", wie im letzten Absatz erklärt wird. Die Polizei bitte darum, sich von der Teilnahme an solchen Protesten fernzuhalten.

Wie die 500 Festgenommenen behandelt wurden, wie die Festnahme verlief, dafür gibt es ganz sicher im Info-Kontertanz der Videos auf YouTube und in sozialen Webseiten die bekannt unterschiedlichen Blicke. Man kann mit einiger Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die Polizei in Russland - wie in Europa und den USA auch - nicht besonders "nice" gegen Demonstranten vorgeht, sondern wahrscheinlich mit der Härte, die man auch hierzulande kennt, die jedem, der je eine solche Behandlung bei Demonstrationen erfahren hat, mit einem harten Blick auf die Staatsmacht austattet, die sich hier ganz real zeigt.

Der Bericht von Russia Today (RT) über die Festnahmen versucht, ein grobkörniges Bild zu korrigieren. Dort wird erwähnt, dass die Festnahmen in Moskau, deren genaue Zahl noch nicht feststehe, in den meisten Fällen vorübergehend waren. Das sei das übliche Vorgehen: Es gehe um einen kurzen Polizeigewahrsam - für eine Festnahme brauche man eine richterliche Ermächtigung -, um die Identität der Personen festzustellen.

Auch Navalny sei nach kurzer Zeit wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Ihm werden Verstöße gegen eine Verwaltungsvorschrift zur Veranstaltung von öffentlichen Versammlungen vorgeworfen. In der Folge drohe ihm laut Polizei entweder ein Bußgeld, sozialer Dienst oder auch Haft.