Protestkultur und die Rolle der Presse: Was rechten Medien geschenkt wird
Vermeintlicher Sturm auf Habecks Fähre: NDR-Faktencheck widerlegt pauschales Lügenpresse-Mantra, zeigt aber auch ein reales Problem auf. Ein Kommentar.
Die Abschlusskundgebung des Bauernprotests am Montag dieser Woche am Brandenburger Tor in Berlin wird vor allem wegen der Rede von Bundeswirtschaftsminister Lindner in Erinnerung bleiben, die zum Glück durch die Pfiffe und Zwischenrufe der Demonstranten kaum zu hören war.
Denn es war eine rechtspopulistische Anbiederung des FDP-Chefs, der sich mit Polemik gegen Klimaaktivisten und Bürgergeldbezieher bei den Landwirten einschleimen wollte, ohne ihren Forderungen nachzugeben. Doch die ließen sich darauf nicht ein.
Schließlich hatten sie auch nicht vergessen, dass sie selbst schon als rechte Krawallmacher denunziert werden sollten, bevor die Proteste so richtig begonnen hatten.
Blockade und Medienhype: Der Fährprotest im Norden
Die Meldung hatte zum Jahresbeginn für große Aufregung gesorgt. Eine wütende Menschenmenge blockierte am 4. Januar im nordfriesischen Schlüttsiel eine Fähre. An Bord waren unter anderem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) mit seiner Familie.
Besondere Brisanz bekam der Vorfall durch die Meldung, dass ein Teil der Protestierenden die Fähre habe stürmen wollen.
Wenige schlugen andere Töne an
Diese Meldung ging durch sehr viele Medien, von der Berliner Zeitung, über die Frankfurter Rundschau bis zum Focus, der sie noch mit dramatischen Berichten garnierte. Die taz-Redakteurin Lea Fauth war eine der wenigen Medienschaffenden, die andere Töne anstimmten:
Einmal tief Luft holen. Was ist in der Nacht vom 4. Januar in Schlüttsiel passiert? Ein Pulk von rund 300 Menschen ist zu einer Fähre gegangen und hat Lärm gemacht. Laut Angaben der Polizei wollten etwa 25 Personen auf die Fähre gelangen, auf der sich Wirtschaftsminister Robert Habeck befand. So weit die Fakten.
Lea Fauth, taz
Unzufriedene Bauern und die deutsche Schnappatmung
Die Autorin war auch eine der wenigen, die nicht einfach die Version von den Bauern, die die Fähre stürmen wollten, übernommen haben:
Ob es zu Gewalt gekommen wäre, wenn die Demonstrierenden auf das Schiff gekommen wären, ist reine "Vermutung, ja Unterstellung. Dass die Fähre vorsichtshalber wieder abgelegt hat – verständlich. Dass die deutsche Öffentlichkeit über diesen Fast-Vorfall in Schnappatmung gerät – bedenklich.
Lea Fauth
Die unspektakuläre Wahrheit
"Bei der Blockade einer Fähre im nordfriesischen Schlüttsiel mit Robert Habeck an Bord gab es nach Recherchen des NDR keinen Versuch, das Schiff zu erstürmen", heißt es in einer Pressemitteilung des Norddeutschen Rundfunks. Der Sender hatte mit Passagieren, Polizisten und der Schiffsbesatzung gesprochen.
Dazu gehört der Steuermann der Fähre, Timo Silberstein, der direkt am Anleger in unmittelbarer Nähe der Blockade stand. "Die Stimmung war relativ entspannt, so würde ich es beschreiben. Wir waren relativ ruhig, ich hatte auch überhaupt keine Angst, dass mir irgendetwas passiert", wird Silberstein vom NDR zitiert.
Mit Malte Massow wurde auch einer der protestierenden Bauern aus der Region vom NDR befragt. "Niemand war in der Absicht da, irgendwelche Schlägereien anzufangen. Wir wollten einfach nur da sein, um ihn zu empfangen und ein paar Worte auszutauschen."
Auch Polizeibeamte widersprachen
Auch einige der eingesetzten Polizistinnen und Polizisten bestreiten einen geplanten Sturm auf das Schiff. Allerdings habe es in dem Moment, als die Fähre wieder ablegte, einen Druck aus der Menschenmenge gegeben. Erst nachdem das Schiff den Anleger wieder verlassen hatte, hätten einige Demonstranten die Polizeikette durchbrochen.
"Ich habe die Brücke angehoben und in dem Moment haben einige, bei weitem nicht alle, ich kann keine Zahl nennen, fünf bis zehn Leute vielleicht, die Polizeisperre durchbrochen und sind die Brücke hochgelaufen", schilderte Steuermann Timo Silberstein diese Szene.
"Es ging es um die Verbreitung einer Recherche mit weiteren Details zu einem bundesweit relevanten Thema", erklärte Iris Pents von der NDR-Pressestelle auf Nachfrage, warum der Sender eine Pressemitteilung über die Ergebnisse des Faktenchecks veröffentlichte. "Wir haben diese Recherche veranlasst, weil der Vorfall an der Fähre noch viele Fragen offen ließ. Vor allem wollten wir mit Beteiligten und Augenzeugen sprechen", betonte Pents.
Rechte Medien hatten das Thema längst aufgegriffen
Allerdings hatten vor allem rechte Medien die Berichterstattung um die Fähre für ihre Kampagne gegen die öffentlich-rechtlichen Medien genutzt. Der mittlerweile weit rechtsaußen gelandete ehemalige Bild-Chef Julian Reichelt machte bereits am 5. Januar in einer YouTube-Sendung mit der Schlagzeile "Regierung lügt – Keine Gewalt gegen Habeck" auf. So entstand der Eindruck, der NDR wäre vor diesem rechten Shitstorm eingeknickt.
Empfehlung: Selbstkritik bei linken und linksliberalen Medien
Dabei wäre Selbstkritik auch bei linken und linksliberalen Medien angesagt. Sie haben viel zu unkritisch die Meldungen über einen Sturm auf die Fähre übernommen. Dabei gab es eigentlich einen journalistischen Grundsatz, Polizeiberichte nicht einfach als gesicherte Fakten zu nehmen und sie stattdessen zu hinterfragen.
Schließlich haben sich häufig Meldungen von gewalttätigen oder gewaltbereiten Aktivisten hinterher als falsch herausgestellt. Da braucht man nur an die später zurückgezogene Meldung erinnern, dass die Nutzer des autonomen Stadtteilladens Friedelstraße 54 in Berlin am Tag der Räumung einen Stromknauf unter Strom gesetzt und dadurch Polizeibeamte in Lebensgefahr gebracht hätten.
Es könnten zahlreiche weitere Beispiele aufgezählt werden. Die Tatsache, dass selbst viele eigentlich kritische Medien die Erzählung vom Sturm auf die Fähre nicht hinterfragt haben, hat – um es mit den Worten von Fauth zu sagen – auch etwas mit dem Verfall der Protestkultur und der kritischen Medien zu tun.
Erst dadurch haben rechte Medien, die eigentlich für autoritäre Staatsgläubigkeit stehen, sofern die aus ihrer Sicht "Richtigen" den Staat übernehmen, die Möglichkeit, in diese Lücke zu springen. Es ist sehr zu begrüßen, dass der NDR den Faktencheck durchgeführt und auch bekannt gemacht hat. Bedauerlich, dass rechte Medien das jetzt als ihren Erfolg feiern können.