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Psychoneurobiologen: Handystrahlung beeinflusst Nahrungsaufnahme

Probanden aßen nach 25-minütiger Handybestrahlung deutlich mehr. Forscherteam fand ebenfalls Einfluss auf Energiestoffwechsel im Gehirn

Unser Verhältnis zur Technologie ist zwiespältig: Einerseits genießen wir den Komfort von Medizin, Mobilität, Kommunikation und Wohnen, den sich Menschen vor 100 Jahren kaum hätten vorstellen können. Auch das Wirtschaftswachstum hängt von unseren Möglichkeiten ab, hochwertige technologische Produkte zu produzieren.

Andererseits wird uns aber auch die Schattenseite dieses Fortschritts für Natur und Mensch allmählich deutlicher: Immer mehr Geräte mit immer mehr Updates und kürzeren Produktzyklen lassen nicht nur die Müllberge wachsen, sondern bringen auch Sicherheitsrisiken und einen gewissen Stress mit sich. Die permanente Erreichbarkeit rund um den Globus kann auch Nachteile haben, wenn man heute sogar im Urlaub noch Arbeits-E-Mails beantworten soll.

In Ländern, in denen man Rohstoffe wie seltene Erden abbaut und verwüstete Landschaften vor Augen hat, ohne vom Luxus der Endprodukte zu profitieren, dürfte man auch ein anderes Bild von Technologie haben. Das einzigartige niederländische Fairphone-Projekt [1] zeigt seit Jahren auf, was für immense Anstrengungen für ein nachhaltiges Mobiltelefon nötig sind – und wie "unfair" die anderen Marken eigentlich sind.

Hat man sich aber erst einmal an den Komfort gewöhnt, ist ein Weg zurück kaum noch vorstellbar. Banking macht man heute zuhause. Ebenso plant und vergleicht man die Urlaubsreise online. Statt ausfaltbarer Stadtpläne und Landkarten startet man die Handy-App. Und Verabredungen trifft und ändert man in Echtzeit per Messenger-Dienst.

Mahnende Stimmen

Bei all dem Fortschritt gab es immer auch mahnende Stimmen. Manchmal tut man sie als "Kulturpessimisten" ab; ein despektierliches Wort. In einer Gesellschaft, die nach immer mehr neuen Produkten giert – danke, Werbung! – und die vom Wirtschaftswachstum lebt, hat es diese Sichtweise natürlich schwer.

Trotzdem gibt es genügend Beispiele dafür, dass ein leichtfertiger Umgang mit Technologie auch Menschen schaden kann: Denken wir an den unbedachten Umgang mit Röntgenstrahlung in der Vergangenheit, an Störfälle in Atomkraftwerken oder an bleibende Schäden nach unverhältnismäßigem Medikamentenkonsum. Es kommt hier auch immer auf eine Kosten-Nutzen-Abwägung an.

Die rasende Geschwindigkeit, mit der sich Kommunikationstechnologie verbreitete, hat manche überfordert. Sie projizierten dann vielleicht ihre eigenen Probleme auf Funkwellen, Handystrahlung oder drahtloses Internet. Im Prinzip geht es immer um elektromagnetische Wellen.

Manchen ist nun insbesondere 5G ein Dorn im Auge, die noch engmaschigere Verfügbarkeit von Kommunikationsdiensten für immer mehr Anwendungen und die engere Verzahnung mit dem Internet. Ernst genommen wird die Kritik eher nicht: Die Probleme beruhten auf Einbildung; Fortschritt sei ein Fakt, an dem nicht zu rütteln ist.

Professorin Kerstin M. Oltmanns [2] von der Universität zu Lübeck und Leiterin der dortigen Sektion für Psychoneurobiologie kam nun in Zusammenarbeit mit der Psychologin Ewelina Wardzinski aber zu überraschenden Ergebnissen: Handystrahlung kann die Nahrungsaufnahme steigern.

Frühstücken für die Forschung

Zur Untersuchung dieser Frage haben sie sich ein interessantes Studiendesign ausgedacht. Am frühen Morgen, um 6:30 Uhr, sollten sich die Probanden – 15 junge Männer – in ihrem Labor melden. In den zwölf Stunden zuvor durften sie nichts essen. Dies wurde auch mit einer Kontrolle des Blutzuckerspiegels überprüft. Zudem sollten sie in diesem Zeitraum kein Mobiltelefon verwenden, was die Forscher mit Testanrufen kontrollierten.

Im Labor wurde erst einmal eine Kanüle für Blutproben eingeführt und dann mithilfe der Magnetresonanzspektroskopie der Ausgangszustand des Gehirns ermittelt. Danach brachten die Forscher mit einem Headset ein Mobiltelefon am rechten Ohr der Versuchsperson an. Das war entweder ein Motorola L2, ein Nokia 5800d-1 oder eine Attrappe.

Jeder Proband nahm an verschiedenen Tagen insgesamt dreimal an der Prozedur teil; mit jedem Apparat einmal, natürlich ohne die Bedingung zu kennen. Zunächst folgten fünf Minuten Handystrahlung – oder im Falle der Attrappe nichts. Dann wurde das Gehirn wieder mit der Magnetresonanzspektroskopie gemessen. Schließlich gab es noch einmal zwanzig Minuten Handystrahlung (bzw. Kontrollbedingung) und erneute Messungen.

Um 8:30 Uhr war das Experiment beendet – dachten jedenfalls die Probanden – und wurde ihnen ein Frühstücksbuffet angeboten. Wie bei solchen Versuchen üblich, bekamen die Teilnehmer im Voraus nicht die genaue Forschungsfrage mitgeteilt, um ihr Verhalten nicht zu verfälschen. Tatsächlich war für die Wissenschaftler das Frühstück aber der Hauptteil der Untersuchung.

Für 40 Minuten durften sich die jungen Männer (im Schnitt 23,5 Jahre) nun frei bedienen. Damit sie sich in dieser Zeit nicht zu viel Essen in den Mund stopfen, wurde ihnen angeboten, auch etwas vom Buffet mit nachhause zu nehmen. Zuerst haben die Forscher aber die verzehrte Menge gewogen.

Deutliche Unterschiede

Im Ergebnis war die Nahrungsaufnahme nach Bestrahlung mit dem Nokia-Telefon am höchsten, nämlich im Mittel mit 1.195 gegenüber 942 Kilokalorien bei der Kontrollbedingung. Das ist eine Steigerung um 27 Prozent. Bei dem Motorola-Telefon stieg die Kalorienzahl auf 1152 beziehungsweise um 22 Prozent. Diesen Zusammenhang fanden die Forscher bei 13 der 15 Versuchspersonen.

Die Lübecker Wissenschaftler berichten, dass ähnliche Ergebnisse bereits im Versuch mit Nagetieren gezeigt wurden. Die höhere Kalorienaufnahme sei vor allem durch den Verzehr von mehr Kohlehydraten zustande gekommen.

Diese bringen die Forscher mit einem höheren Energieumsatz im Gehirn zusammen, den sie mehrmals mit der Magnetresonanzspektroskopie gemessen haben, insgesamt fünfmal pro Versuchsperson: Demnach stieg der Energieumsatz 35-40 Minuten nach Beginn der zweiten und viermal so langen Handybestrahlung statistisch signifikant an.

Das unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Team zieht daraus den Schluss [3], "dass Handystrahlen nicht nur einen potenziellen Faktor für übermäßiges Essen beim Menschen darstellen, sondern dass sie auch die Energiehomöostase des Gehirns beeinflussen." Ihre Befunde könnten somit für die Untersuchung von Übergewicht und Adipositas, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, von Bedeutung sein.

Wie so oft, sind die Ergebnisse aber auch als vorläufig anzusehen: Einerseits war die Gruppe der Versuchspersonen relativ klein und sehr homogen (junge Männer). Mit Blick auf den großen Aufwand der Studie ist das aber nachvollziehbar.

Andererseits wurde die Versuchsbedingung zwar gegenüber den Teilnehmern geheim verhalten, nicht aber gegenüber den Wissenschaftlern (sogenannte einfache Verblindung). Damit ist nicht ganz auszuschließen, dass die Forscher das Verhalten der Probanden unbewusst beeinflussten.

Die Studie wurde wissenschaftlich begutachtet (peer review) und ist in der Fachzeitschrift Nutrients erschienen [4]. Diese hatte eine Sonderausgabe über den Zusammenhang von Ernährung und Gehirnentwicklung.

Unbekannte Risiken

Wegen der Ergebnisse sollte man nun nicht in Panik verfallen. Sie zeigen aber einmal mehr, dass Technologie nicht nur Möglichkeiten, sondern auch Risiken birgt. Unser Wissen ist immer relativ dazu, wie wir testen: Die Abwesenheit von Evidenz ist nicht automatisch Evidenz für Abwesenheit.

Ich habe von 2004 bis 2009 mit der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) gearbeitet und dabei nicht nur Versuchspersonen gemessen, sondern oft genug selbst "im Scanner gelegen". Diese Apparate erzeugen mit ihren supraleitenden Spulen Magnetfelder, die viele Zehntausendmale stärker sind als das der Erde.

Dazu kommt ein – durch die sogenannten Gradientenspulen erzeugtes – variables Magnetfeld, mit denen man eine bestimmte Schicht im Gehirn (oder bei entsprechenden Untersuchungen andere Teile des Körpers) auswählt. Schließlich werden mit einem elektromagnetischen Signal die Wasserstoffatome in diesem Bereich "angestuppst", um aus der Reaktion Rückschlüsse auf den Zustand der ausgewählten Schicht zu ziehen.

Unter Einhaltung bestimmter Sicherheitsvorschriften – beispielsweise zur Dauer der Messung und Entfernung von Metallteilen vom Körper – galt das Verfahren als sicher. Im Gegensatz zu anderen bildgebenden Verfahren der Hirnforschung musste man hierfür auch keine radioaktiven Kontrastmittel spritzen. Daher bezeichnet man die fMRT als "nicht-invasiv".

Gerade bei höheren Feldstärken wie sieben Tesla – zum Vergleich: In Mitteleuropa ist die natürliche Feldstärke rund 50 Mikrotesla, also millionstel Tesla, also 140.000 mal kleiner – berichten Menschen aber häufiger einmal über Schwindel oder Übelkeit. Die starken Magnetfelder scheinen also schon etwas mit uns zu machen.

Dass so eine Umgebung "in der Röhre" nichts für klaustrophobische Menschen ist, liegt auf der Hand. Hierzu gibt es versuche mit offenen Scannern, in denen man weniger das Gefühl der Eingeschlossenheit hat. Zudem ist ein Gehörschutz wichtig, weil die Gradientenspulen sehr viel Lärm erzeugen. Aus Sicherheitsgründen überwachen die Apparate die Aufnahme elektromagnetischer Strahlung durch den Körper und brechen die Messung beim Erreichen vorgeschriebener Grenzwerte ab.

Als Forscher, der mit dem Verfahren seine wissenschaftliche Karriere aufbaut, hat man hier natürlich einen Interessenskonflikt. Auch die Institute, die Millionen in die Geräte – von einflussreichen Firmen wie Siemens, Philips oder General Electric – und die aufwändig abgeschirmten Gebäude stecken, wollen es wahrscheinlich nicht zu genau wissen.

Mögliche Gefahren der fMRT

In den letzten Jahren wird in der Wissenschaft aber diskutiert, ob die elektromagnetische Strahlung der Magnetresonanztomographen zu kleinen genetischen Schäden führen kann. Die Lübecker Forscher verwendeten übrigens dieselben Apparate zur Messung des Gehirnstoffwechsels, doch mit anderen Sequenzen.

Eine Überblicksarbeit eines Forscherteams der Oxford Universität aus dem Jahr 2016 diskutiert zehn Studien zu den Risiken solcher genetischer Schäden und kommt zu einem gemischten Bild [5]: In etwa die Hälfte fand keine Hinweise, die andere Hälfte aber sehr wohl mögliche Hinweise auf Veränderungen in der DNA.

Auch bei der normalen Zellteilung oder im Kontakt mit natürlichen Umwelteinflüssen entstehen permanent Veränderungen (Mutationen) in unseren Genen. Hierfür hat der Körper Reparaturmechanismen. Unter ungünstigen Umständen kann so aber ein Tumor entstehen.

Man sollte daher nicht jede Technologie als harmloses "Spielzeug" auffassen. Das Bundesamt für Strahlenschutz informiert auf seiner Website über elektromagnetische Felder [6]:

Untersuchungen zeigten bisher keine direkten negativen biologischen und gesundheitlichen Wirkungen statischer Magnetfelder bis zu einer Magnetflussdichte von vier Tesla. Die Auswirkungen stärkerer statischer Magnetfelder müssen weiter erforscht werden.

Bundesamt für Strahlenschutz

Das scheint mir mit Blick auf die zitierte Überblicksarbeit nicht ganz korrekt, denn einige Hinweise fanden sich schon bei geringeren Feldstärken (z.B. 1,5 Tesla). Weitere Forschung zur Sicherheit beziehungsweise den Risiken elektromagnetischer Strahlung scheint mir darum gerechtfertigt.

Die Wissenschaftler aus Oxford zogen den Schluss, man brauche "mehr Forschung und weniger Angstmache". Nicht jeder Hinweis auf eine genetische Veränderung sei gleich ein Beleg für ein Krebsrisiko.

Natürlich haben die Hersteller von Mobiltelefonen das Thema Strahlenschutz auf dem Radar. Die gesetzlichen Grenzwerte gibt es nicht ohne Grund. In jedem Fall sollte man die Menschen aber ehrlich und umfassend informieren – und sich als einzelner, der sich Sorgen macht, zu längeren Gesprächen lieber persönlich treffen.

Ansonsten dürfte auch die Verwendung eines Headsets oder die Verwendung der Freisprechfunktion die Aufnahme elektromagnetischer Strahlung durch den Körper verringern. Dann hält man das Telefon immerhin nicht an den Kopf.

Und in der Medizin haben die diagnostischen Verfahren natürlich ihren Sinn, um Krankheiten zu entdecken und besser zu behandeln. Als Forscher in dem Bereich sollte man es mit der "Zeit in der Röhre" aber besser auch nicht übertreiben.

Hinweis: Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder" [7] des Autors.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-6661646

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.fairphone.com/de/
[2] https://www.pnb.uni-luebeck.de/team/curriculum-vitae.html
[3] https://www.uni-luebeck.de/aktuelles/pressemitteilung/artikel/einfluss-von-handystrahlung-auf-die-nahrungsaufnahme-nachgewiesen.html
[4] https://www.mdpi.com/2072-6643/14/2/339/htm
[5] https://academic.oup.com/ehjcimaging/article/17/11/1230/2399837
[6] https://www.bfs.de/DE/themen/emf/nff/wirkung/statische/statische.html
[7] http://scilogs.spektrum.de/menschen-bilder/