Putin-freie Energieversorgung
- Putin-freie Energieversorgung
- Kappen von russischem Gas: BIP-Einbruch, soziale Unruhen?
- Auf einer Seite lesen
Der Ruf nach einem Energie-Boykott gegen Russland wird lauter. Auch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 könnte beerdigt werden
Wenn es nach dem ehemaligen deutschen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ginge, dann dürfte es nicht nur beim Stopp von Nord Stream 2 bleiben – auch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 sollte umgehend stillgelegt werden. Das forderte er kürzlich über den Kurznachrichtendienst Twitter. Spätestens zum Winter 2023/24 solle die Bundesrepublik dann dauerhaft ohne russisches Gas auskommen.
Kürzlich wiederholte er seine Forderung auf Bild-TV. "Jetzt geht es darum: Wie werden wir nicht nur fossilfrei, sondern wie werden wir Putin-frei in unserer Energieversorgung", sagte er. Auf russisches Gas und Öl zu verzichten sei jetzt wichtiger als ein genereller Verzicht auf fossile Brennstoffe.
Ähnliches war in den letzten Tagen auch von ukrainischen Offiziellen zu vernehmen. Wer nicht mitverantwortlich sein wolle am Leid in der Ukraine, dürfe kein russisches Gas mehr kaufen, sagte zum Beispiel Mavrikiy Kalugin im Interview mit ntv.de. Kalugin sitzt im Vorstand des ukrainischen Konzerns Naftogaz, der russisches Erdgas durch seine Pipelines in die Europäische Union leitet.
Sollte es jedoch nicht möglich sein, auf russisches Gas zu verzichten, dann sollte wenigstens Nord Stream 1 gestoppt werden, so Kalugin. Uneigennützig ist diese Forderung nicht. Denn wenn kein Gas mehr durch die Ostsee-Pipeline fließt, dann würde Russland gezwungen, sein Gas über die Ukraine zu leiten. Genügend Kapazitäten seien vorhanden, so Kalugin. "Das wäre für uns eine Art Versicherung", sagte er. Und der ukrainischen Staatskasse wäre damit auch gedient.
Im aktuellen Konflikt mögen Sanktionen auf die Ostsee-Pipeline oder deren Stilllegung der Ukraine zum Vorteil gereichen – sie würden aber alte Probleme wiederbeleben: Das faktische Liefermonopol über die Ukraine setzte schon in der Vergangenheit die Energieversorgung der EU-Länder ein Risiko aus. Immer wieder kamen die vereinbarten Gasmengen nicht an, weil sich die Ukraine offenbar Gas unrechtmäßig abzweigte. Deswegen hatten nicht nur der russische Konzern Gazprom, sondern auch die Länder der EU ein Interesse daran, die Lieferwege zu diversifizieren.
Kalugin schwebt aber Größeres vor. Verzichten die Länder der Europäischen Union auf Energielieferungen aus Russland, dann könnte die Ukraine vom Transitland zum Gaslieferanten werden. Denn unter dem Dniepr-Donezk-Becken sind große Gasreserven, die nur darauf warten, erschlossen zu werden.
Es dürfte allerdings noch Jahre dauern, bis die ukrainischen Gasreserven den EU-Ländern zur Verfügung stehen. Dennoch argumentieren deutsche Institute, dass ein kurzfristiger Verzicht auf russische Lieferungen verkraftbar sei. Die Nationale Akademie der Wissenschaften, Leopoldina, hatte das letzte Woche bekräftigt.