Putsch in Niger: Westen verliert StabilitÀtsanker in Afrika

Französische und nigerische Soldaten. Archivbild (2014): Thomas Goisque / CC BY-SA 3.0
Sahelzone: Russland gewinnt an Einfluss. Paris weigert sich, den Machtwechsel anzuerkennen. Und Europa drohen ernsthafte Konsequenzen.
Erst war der Putschversuch der PrÀsidentengarde in Niger nur eine kleine Nachricht unter "Kurz aus Afrika gemeldet".
Jetzt sieht die Lage etwas anders aus. Nachdem Staatsoberhaupt Mohamed Bazoum von seinem Posten entfernt wurde [1], die MilitĂ€rs die Macht ĂŒbernommen haben (Tagesschau [2], das KommuniquĂ© des Generalstabs: hier [3]), und der Putsch nach jĂŒngsten Nachrichten, etwa vom französischen France-24-Journalisten Wassim Nasr, bestĂ€tigt [4] wird, ahnt man jetzt die geopolitische Dimension.
Europa verliert seinen verbliebenen StabilitĂ€tsanker [5] in der Sahelzone, Russland gewinnt weiter an Einfluss [6]. "Die Junta in Mali und Burkina Faso, die die französische Armee aus ihren LĂ€ndern vertrieben haben, haben sich seitdem an Russland gewandt", so das französische Magazin L'Express [7]. Das könnte sich auch in Niger wiederholen, so die BefĂŒrchtung.
Auch in der österreichischen Zeitung Standard [8] wird die Sorge geĂ€uĂert: Es sei "zu befĂŒrchten, dass auch der Niger den Weg Malis und Burkina Fasos gehen wird und so schnell wie möglich die RĂŒcken der westlichen und vor allem französischen Soldaten und Zivilisten sehen will. Im schlimmsten Fall werden diese womöglich sogar durch die russische Wagner-Truppe ersetzt".
Nach Mali und Burkina-Faso ist der MilitĂ€rputsch in Niger die nĂ€chste harte Nachricht aus einem strategisch wichtigem Land in der Sahelzone fĂŒr Europa und den Westen. Niger sollte nach dem Putsch in Mali der neue strategische Knotenpunkt in der Region sein. Daraus wird nun nach dem Putsch nichts. Vielmehr bahnt sich eine Wiederholung an: der RĂŒckzug aus Niger.
Europa, besonders Frankreich, aber auch Deutschland, hat viel Geld und militĂ€rischen Aufwand investiert, um Niger als strategisch wichtige Position in der Region auszubauen. MilitĂ€rbĂŒndnisse sollten die Ordnung regeln. Politisch agierte man jedoch kurzsichtig, ohne Plan, ohne GefĂŒhl fĂŒr die Lage, man hielt lediglich seine AnsprĂŒche hoch.
In einer vorsichtigen Diktion, bemĂŒht, das Scheitern des westlichen Ansatzes nicht in klaren Worten einzugestehen, sieht die LageeinschĂ€tzung so aus:
Die Politikwissenschaftlerin Anja Osei vom Otto-Suhr-Institut der FU Berlin betonte im Interview mit tagesschau24, dass es im Niger eine "hohe Nachfrage nach Demokratie" gebe und Demokratie als Staatsform "gewĂŒnscht und hoch angesehen" sei. Dennoch wĂŒrden die Erwartungen der Bevölkerung "insbesondere in Bezug auf die sozioökonomische Entwicklung, vor allem aber im Moment in Bezug auf die Sicherheit" auch von formal demokratisch gewĂ€hlten Regierungen nicht erfĂŒllt.
Es gebe ein hohes MaĂ an Korruption und damit auch ein hohes MaĂ an EnttĂ€uschung ĂŒber die "LeistungsfĂ€higkeit der politischen Systeme", so Osei.
Tagesschau [9]
Dem entgegen steht eine andere, klare Bewertung, die ebenfalls in der Tagesschau [10], wo man sich Gedanken um die Zukunft der Bundeswehr in der Sahelzone macht:
Die hochfliegenden PlĂ€ne, nicht zuletzt der Bundesregierung, in einer Art Sahel-Strategie nicht nur die Islamisten in der Region zu bekĂ€mpfen, sondern auch Einfluss auf LĂ€nder zu bekommen, die wichtige FlĂŒchtlingsrouten kontrollieren, sind erst einmal gescheitert.
Tagesschau [11]
Wie der Westen in Afrika Einfluss verloren hat
Wie sehr man politisch verloren hat, kann man anschaulich an der Region sehen, wo die drei LĂ€nder Mali, Burkina-Faso und Niger zusammentreffen.
Schon seit lĂ€ngerer Zeit ist sie zu einem Gebiet geworden, in dem sich Dschihadisten um die Vormacht streiten â ein deutliches Zeichen fĂŒr das Scheitern der westlichen Missionen, die nichts gegen solche Entwicklungen ausrichten konnten.
Wie sehr der Westen politischen Boden verloren hat, sieht man aber auch den russischen Fahnen, die bei den Staatsstreichen geschwenkt werden, die die vom Westen unterstĂŒtzten Regierungen entfernen.
Frankreich ist in Mali gescheitert [12], musste nach dem Putsch seine Armee aus Mali abziehen und konzentrierte sich auf Niger, um vom Nachbarland aus die VorgÀnge in Mali aus der NÀhe zu beobachten. Nicht zuletzt, um den Zugriff auf Uran zu sichern, von traditionellen, mit viel militÀrischen Einsatz begleiteten strategischen Ambitionen in der Sahelzone mal abgesehen.
Nun muss man, selbst wenn Paris noch an der alten Regierung festhÀlt und den Machtwechsel zur Stunde nicht anerkennt [13], aller Wahrscheinlichkeit nach die ungefÀhr 1.500 Soldaten [14] demnÀchst auch aus Niger abziehen.
Die Richtung wird auch fĂŒr die UN-Mission Minusma und die Bundeswehr gelten. Erst der Abzug aus Mali, dann der RĂŒckzug aus dem StabilitĂ€tsanker Niger.
"Die deutschen Soldatinnen und Soldaten in Niger wurden bereits am Mittwoch im gesicherten Bereich des deutschen StĂŒtzpunktes auf dem Flughafen zusammengezogen. Neben den rund 100 Soldaten, die den StĂŒtzpunkt betreiben, gehören dazu auch die derzeit drei Stabsoffiziere, die Teil der neuen EU-Partnerschaftsmission in Niger sind." Augen geradeaus! [15]
Nicht zuletzt betrifft die verĂ€nderte Lage in Niger auch die EU-FlĂŒchtlingspolitik, worauf der erwĂ€hnte Artikel des Standard [16] aufmerksam macht. SchlieĂlich habe man mit PrĂ€sident Bazoum zusammengearbeitet, "um den ĂŒber Agadez und durch die Sahara fĂŒhrenden Migrantenstrom zu stoppen".
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Links in diesem Artikel:
[1] https://twitter.com/ToudaKaka/status/1684680084849111042
[2] https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/niger-putsch-militaer-100.html
[3] https://augengeradeaus.net/2023/07/staatsstreich-in-niger-militaerfuehrung-stellt-sich-auf-seite-der-putschisten-ueberblick/
[4] https://twitter.com/SimNasr/status/1684572760809549826
[5] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/niger-putsch-mali-bundeswehr-100.html
[6] https://twitter.com/d_foubert/status/1684437856847011841
[7] https://www.lexpress.fr/monde/afrique/coup-detat-au-niger-pour-la-france-le-risque-de-perdre-un-allie-strategique-OVHCNGUYBFD3VDEUH25BBBBEO4/
[8] https://www.derstandard.at/story/3000000180781/in-afrika-sind-diktaturen-wieder-auf-dem-vormarsch
[9] https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/niger-putsch-militaer-100.html
[10] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/niger-putsch-mali-bundeswehr-100.html
[11] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/niger-putsch-mali-bundeswehr-100.html
[12] https://thesoufancenter.org/wp-content/uploads/2023/07/TSC-Insights-Frances-Missed-Moments-In-Mali.pdf
[13] https://www.lemonde.fr/afrique/article/2023/07/27/au-niger-le-president-bazoum-sequestre-par-des-militaires-rejette-le-coup-d-etat_6183602_3212.html
[14] https://www.lexpress.fr/monde/afrique/coup-detat-au-niger-pour-la-france-le-risque-de-perdre-un-allie-strategique-OVHCNGUYBFD3VDEUH25BBBBEO4/
[15] https://augengeradeaus.net/2023/07/staatsstreich-in-niger-militaerfuehrung-stellt-sich-auf-seite-der-putschisten-ueberblick/
[16] https://www.derstandard.at/story/3000000180781/in-afrika-sind-diktaturen-wieder-auf-dem-vormarsch
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