Putschpläne gegen britische Premierministerin Truss: Eine Kehrtwende zu viel?

Ob sie sich im Amt halten kann, ist zweifelhaft: Großbritanniens Premierministerin Liz Truss. Foto: Simon Dawson / No 10 Downing Street / CC0 1.0

In London könnte ein Machtwechsel bevorstehen. Großbritanniens Finanzminister Kwasi Kwarteng hat eilig das IWF-Treffen in Washington verlassen. Kämpfen er und Liz Truss um ihre Jobs? Update: Truss entlässt Kwarteng.

In London überschlagen sich die Ereignisse. Die nicht einmal einen Monat im Amt befindliche Premierministerin Mary Elizabeth "Liz" Truss scheint einen parteiinternen Putsch abwehren zu müssen. Laut Informationen der Times und des Guardian soll sich um den unterlegenen Kandidaten – Ex-Finanzminister Rishi Sunak – und die zeitweilig als aussichtsreich gehandelte Kandidatin für den Parteivorsitz, Penny Mordaunt, eine Gruppe gebildet haben, die versucht, Truss abzulösen.

Ziel wäre eine Art "Joint Ticket", also gemeinsame Parteiführung von Mordaunt, die gewisse "linke" und "soziale" Spurenelemente in ihren Politikvorschlägen hat, und Sunak, dem Multimillionär, der als erfahren gilt und die Finanzmärkte beruhigen soll.

Mit bloßem Auge lässt sich erkennen, dass dies alles nicht mehr viel mit Demokratie zu tun hat. Die Auswahl der neuen Premierministerin Truss war bereits durch ein rein parteiinternes Ausscheidungsverfahren bei den Tories geschehen. Nun scheint ein kleiner Kreis, der mit dem Ergebnis unzufrieden ist, dies informell korrigieren zu wollen.

Unklar ist, wie mächtig diese Gruppe ist. Möglicherweise geht es vornehmlich auch nur darum, dass Finanzminister Kwasi Kwarteng und Truss ihr "ambitioniertes" Programm zurücknehmen. Die besteht aus einem streng neoliberalen Kurs. Die von Boris Johnson beschlossene Anhebung der Unternehmenssteuer sollte ausbleiben, der Spitzensteuersatz gesenkt werden und dergleichen mehr.

Die Märkte machen nicht mehr mit

Es sind die hundertfach in der Praxis widerlegten Ideen eines "Trickle-Down"-Effekts, bei dem für gewöhnliche Haushalte ein Gewinn entsteht durch Steuererleichterungen für Vermögende, weil diese dann stärker investieren.

Das glaubt aber nicht einmal mehr die Bank of England. Die Zentralbanker hatten nach der Ankündigung Kwartengs die Notbremse gezogen und nach dessen Mini-Budget vermutlich erstmals eine Regierungsentscheidung durch eigene Maßnahmen konterkariert.

Der Preisverfall des Pfundes wurde so hoch, dass die Staatsanleihen gefährdet waren. Die Lage an den Finanzmärkten, die de facto die Regierung unter Kuratel haben, hat sich immer noch nicht stabilisiert.

Auch sind Truss und Kwarteng mit der Rücknahme ihrer politischen Ziele bisher nur sehr zurückhaltend. Sie machten gewisse Zugeständnisse, wollten aber ihrer gerade erst propagierte Linie des "schlanken Staates" und der Gesundung durch Wachstum, das durch Steuergeschenke erreicht werden soll, beibehalten.

Das scheint nun nicht mehr auszureichen. Von Finanzminister Kwarteng und Premierministerin Truss wird nun ein Kotau verlangt – und die möglich vollständige Rücknahme ihrer Politik. Ob Truss dies gelingt und ob sie es dann überhaupt noch als sinnvoll erachtet in Downing Street 10 zu bleiben, werden die nächsten Stunden weisen.

Liz Truss hat zumindest ihren Kalender leergeräumt und alle weiteren Termine abgesagt. Telepolis wird über weitere Entwicklungen berichten.

Ergänzung, 19 Uhr.

Liz Truss legte den Tag über Pirouetten hin. Finanzminister Kwasi Kwarteng enthob sie nun doch seines Amtes. Am Vortag gab dieser noch an, zu “100 Prozent“ in seinem Amt zu verbleiben. Mit sechs Wochen Amtszeit ist dies die kürzeste Amtszeit eines Ministers seit über fünfzig Jahren.

Gleichzeitig will Truss nun doch die Zurücknahme der Erhöhung der Unternehmensteuer zurücknehmen. Dies konnte allerdings die Finanzmärkte nicht ausreichend beruhigen. Man erwartet offenbar mehr Zugeständnisse von der Premierministerin.

Sicherlich ist es wenig hilfreich, dass Truss im Moment – auch für ihre Verhältnisse – sehr roboterhaft redet. Ihre Argumentation beim kurzen Pressestatement am Nachmittag war in Teilen bizarr. Sie führte an, in ihrer Kindheit darunter gelitten zu haben, dass es kein Wirtschaftswachstum gegeben habe. Nur die wenigsten Kinder bringen ihre Armut in Verbindung mit ausbleibendem Wachstum.

Neuer Finanzminister wird der ehemalige Außenminister Jeremy Hunt, der sich ebenfalls um den Parteivorsitz beworben hatte. Die Hereinnahme eines Konkurrenten soll wohl die Partei beruhigen. Einige Tory-Abgeordnete bezweifeln allerdings, dass Liz Truss das Wochenende noch politisch überleben kann. Es bleibt spannend.