Querfront als Symptom
Die jüngsten Auseinandersetzungen um Querfronttendenzen verweisen auf den Durchmarsch der Neuen Rechten in einem sich auflösenden politischen Koordinatensystem
Im vergangenen Dezember geisterte ein Begriff durch die Medien, der ansonsten eher in historischen Debatten oder dem linkem Szenediskurs beheimatet ist: der Begriff der Querfront. Hierunter werden konkrete politische Bestrebungen oder allgemeine ideologische Tendenzen zur Verflechtung oder bewusster Kooperation rechter und linker Kräfte subsumiert, die in der Endphase der Weimarer Republik präsent waren.
Die gegenwärtige Querfront-Debatte kreiste aber um die zunehmenden rechtspopulistischen Tendenzen in der Partei "Die Linke", die vor allem während des Bundestagswahlkampfes offen zutage traten. Konkret entzündete sich die Debatte an dem umstrittenen Linkspartei-Politiker Dieter Dehm, der sich offen mit dem Verschwörungsideologen und YouTube-Star Ken Jebsen bei Auseinandersetzungen mit dem linken Kultursenator Berlins solidarisierte, als dieser die Verleihung eines neu erfundenen "Karlspreises" an Jebsen in Örtlichkeiten untersagte, die vom Berliner Senat gefördert werden.
Jebsen gilt als zentrale Figur der Querfront, da er gezielt Autoren und Themen aus der Neuen Rechten wie auch dem orthodoxen oder post-sozialdemokratischen Spektrum seiner Zuschauerschaft vorsetzt.
Die Frankfurter Rundschau widmete einen längeren Artikel dem fragwürdigen Antisemitismus-Verständnis Dieter Dehms, das eine unheimliche Nähe zu ordinär antisemitischen Positionen aufweise. Auch Ken Jebsen musste 2011 nach Antisemitismusvorwürfen aus dem rbb ausscheiden, wo er als Rundfunkmoderator tätig war.
Dehm und Jebsen sind schon mehrmals gemeinsam politisch aktiv geworden - vor allem bei der von Jebsen unterstützten "Mahnwachen-Bewegung", die als ein Vorläufer und unfreiwilliger Wegbereiter für Pegida fungierte (Die Bewegung als Bewegung).
Die Selbstverständlichkeit, einem Verschwörungsideologen Räumlichkeiten zu verweigern, in dessen Medienprodukten regelmäßig linke und rechte Autoren interviewt werden - vom stramm rechten Jürgen Elsässer über den Handelsblatt-Ökonomen Norbert Häring bis zum ehemaligen SPD-Politiker Albrecht Müller -, führte aber zu erbitterten internen Auseinandersetzungen innerhalb der Linkspartei, wie der Tagesspiegel bemerkte.
Demonstrationen und Gegenkundgebungen für Jebsen wurden organisiert, dessen Anhängerschaft in der Linkspartei unverzüglich "Zensur" witterte. Die "Klare Kante gegen Querfront" titulierte Erklärung des Parteivorstands, der sich hinter den Kultursenator stellte, fiel mit 12 Enthaltungen und Nein-Stimmen gegen 18 Ja-Stimmen überraschend knapp aus.
Wenig später solidarisierte sich die Parteiführung auch noch mit Dieter Dehm. womit offensichtlich die Querfronttendenzen innerhalb der Linkspartei allen offiziellen Beschlüssen zum Trotz inoffiziell toleriert werden sollen. Für die Parteigröße Oskar Lafontaine, dessen rechtspopulistische Äußerungen immer wieder für Schlagzeilen sorgen, gibt es eine Querfront gar nicht. Dieser Begriff stamme aus dem "Arsenal der Geheimdienste", so das Gründungsmitglied der Linkspartei. Welche Geheimdienste dahinter stecken sollen, hat der Linken-Politiker, der die Welt von einer "geheimen Weltregierung" beherrscht sieht, nicht mitgeteilt.
Bei den Auseinandersetzungen gehe es um nichts weniger als "das Wesen der Partei", kommentierte die Wochenzeitung Die Zeit den zunehmenden Einfluss der Querfront innerhalb der "Linkspartei". Fast hundert Jahre nach der historischen Querfrontdebatte in der Weimarer Republik streite "die Linkspartei erbittert und offen darum, mit wem sie welche Bündnisse eingehen darf, was ihr nutzt und was den Nationalisten. Was antisemitisch ist und was Herrschaftskritik."
Für viele Exponenten aus dem Querfront-Spektrum im Dunstkreis von KenFM, Rubikon oder den Nachdenkseiten haben solche Debatten ohnehin kaum noch einen Sinn, da ihnen diese Einteilung des politischen Spektrums in linke und rechte Gruppen zunehmend fremd, künstlich und schlicht überholt vorkommt. Und tatsächlich scheint diese dumpfe, unreflektierte Ahnung eines Umbruchprozesses ein Körnchen Realität zu enthalten.
Das etablierte politische Koordinatensystem rechts- und linksgerichteter politischer Parteien und Kräfte scheint hohl und kaum noch mit Substanz aufgeladen. Die allgemein beklagte Hohlheit des politischen Spektrums, die "Austauschbarkeit" der etablierten Parteien, wie auch die zunehmenden Querfronttendenzen innerhalb der sogenannten Linkspartei - sie sind Indizien tiefgreifender systemischer Veränderungen und Krisentendenzen, die auch die Sphäre des Politischen voll erfasst haben.
Historische Genese des politischen Koordinatensystems
Das allgegenwärtige krisenbedingte Gefühl, dass etwas in Auflösung übergeht, dass verfestigte Strukturen und Lager in Bewegung übergehen und sich verflüssigen, hat somit längst auch die Sphäre des Politischen erfasst. Immer mehr Menschen sehen keine nennenswerten Unterschiede zwischen den einzelnen Parlamentsparteien. Im Internet und seinen in den sozialen Netzwerken herumirrenden Schwärmen werden etablierte politische Begriffe wie bloße Labels behandelt und, je nach Situation und Interesse, mit neuen Bedeutungen aufgeladen.
Die Ansicht darüber, was nun politisch links oder rechts ist, kann in den ausgedehnten Wahnräumen des Netzes, wo die Neue Rechte ihre digitale Heimat hat, mitunter täglich, ja stündlich wechseln, was ja letztendlich nur auf die beginnende Auflösung des politischen Koordinatensystems hinweist.
Zum einen ist es die langfristig wirkende neoliberale Hegemonie, die im Rahmen des "Sachzwang-Diskurses" den politischen Spielraum immer weiter einengte, so dass in den vergangenen drei Jahrzehnten de facto eine ganz große neoliberale Koalition durchregierte - was zur Unterschiedslosigkeit im Parlament beitrug.
Doch eigentlich war der sozioökonomische Spielraum bürgerlicher Politik im Nachkriegszeitalter schon immer begrenzt. Auch von den 1950er- bis in die 70er-Jahre hielten sich alle Regierungsparteien, unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung, an die damals hegemonialen keynesianischen Grundsätze der Wirtschaftspolitik.
Aktuell kommt noch die Taktik der Neuen Rechten hinzu, insbesondere in den sozialen Netzwerken gezielt die Grenzen zwischen links und rechts zu verwischen ("Linksfaschisten", "Rote SA" etc.), um so die Akzeptanz der populistischen und extremen Rechten zu erhöhen. Dennoch sollten hierbei Ursache und Wirkung nicht verwechselt werden: Die Rechte instrumentalisiert unbewusst eine gegebene Dynamik im Überbau spätkapitalistischer Gesellschaften.
Ihren Ursprung hat die Einteilung der politischen Kräfte in linke und rechte Parteien - wie so vieles - in der Französischen Revolution. Schon die Sitzordnung der ersten französischen Nationalversammlung von 1789 bis 1791 war gekennzeichnet durch eine grobe Teilung in revolutionär und/oder republikanisch gesinnte Kräfte, die auf der linken Seite Platz nahmen, und konservative, monarchistische Kräfte, die auf der rechten Seite der Nationalversammlung beheimatet waren.
Diese räumliche Bezeichnung verselbstständigte sich mit der Zeit: Diejenigen Kräfte, die die Dynamik der Französischen Revolution weiter anfachen wollten, wurden als die Linke bezeichnet, während die bremsenden, konservativen oder restaurativen Kräfte als die Rechte benannt wurden. Und diese Unterscheidung zwischen progressiven und konservativen Kräften bildet auch die zentrale Achse des seit dem 19. Jahrhundert etablierten politischen Koordinatensystems: Die Linke agierte politisch progressiv, fortschrittlich, vorwärtsdrängend, während die Rechte konservativ ist, den Status quo bewahrend, oder gar reaktionär. Die Linke betont, ihrem Anspruch nach, das Werden, das Gemeinsame der Menschheit, die Zivilisation; die Rechte hält am bestehenden Sein fest, am Besonderen, an den hierarchischen Unterschieden, an der Kultur.
Der Kampf zwischen linkem Egalitarismus und rechten Eliten kennzeichnet nach der Ausrufung der allgemeinen Menschenrechte die Geschichte des politischen Systems seit dem "Zeitalter der Revolutionen" (Hobsbawm) im 19. Jahrhundert. Etablierte Machtstrukturen, die von der Rechten verteidigt wurden, sind von der Linken um der intendierten Emanzipation immer größerer Bevölkerungsteile willen bekämpft worden. In ihrer radikalen Avantgarde galten den Linken diese politischen Kämpfe auch als ein Mittel zur Überwindung des kapitalistischen Systems, insbesondere der Arbeiterklasse wurde dabei eine objektive historische Funktion als ein "revolutionäres Subjekt" zugesprochen.
In der Praxis lief aber dieser Emanzipationsprozess auf die rechtliche Gleichstellung und soziale Verbesserungen für zuvor marginalisierte oder verfolgte Gruppen innerhalb des kapitalistischen Systems hinaus. Die Hoffnung auf ein revolutionäres Subjekt innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft hat mit dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus einen historischen Rückschlag erlitten. Bei der Gleichstellung zuvor marginalisierter Gesellschaftsgruppen innerhalb des Kapitalismus wurden aber tatsächlich - zeitweilige - Erfolge erzielt: von der Arbeiterklasse, die spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg im Kapitalismus vollauf integriert wurde, über die partiell erkämpfte Frauenemanzipation, bis zu dem weiterhin andauernden Kampf gegen die Diskriminierung ethnischer oder sexueller Minderheiten.
Vollauf verständlich wird dieser historische - wenn auch unvollendete - politische und rechtliche "Emanzipationsprozess", den die Linke binnenkapitalistisch geleistet hat, nur bei Berücksichtigung seiner Wechselwirkung mit der Sphäre der kapitalistischen Ökonomie. Die rechtliche Gleichstellung immer neuer Gesellschaftsgruppen ging mit deren Integration in das expandierende System der Lohnarbeit einher - solange auch das Kapital expandierte und immer größere Quanta Lohnarbeit verwertete. Die Linke brachte zumindest in den Zentren des Weltsystems somit Überbau und Basis in Einklang, indem sie überall dort die politischen und sozialen Rechte von Gruppen erkämpfte, die in der historischen Aufstiegsbewegung des Kapitals in das System der Lohnarbeit integriert wurden.
Die Rechte hingegen wollte Ausbeutung ohne Rechte, ohne Gleichstellung, ohne soziale Teilhabe - sie wirkte zunehmend kontraproduktiv, vor allem im Nachkriegszeitalter, der goldenen Ära des Sozialdemokratismus, als Massennachfrage die extreme Expansion der Kapitalverwertung ermöglichte. Für das globalisierte Kapital sind somit alle gleich - als "Humankapital", das im Optimalfall unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe oder sonstigen Nebensächlichkeiten möglichst effektiv ausgebeutet werden soll.