Querschläger, Querdenker, Querfront?
Seite 2: Klassengesellschaft oder Volksgemeinschaft?
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Klar, eins passt gar nicht: Die Marx'sche Theorie handelt von einer Klassengesellschaft, für Rechte ist das oberste Prinzip die Volksgemeinschaft, die als eine kulturell (früher: durch Blut und Boden) determinierte Einheit verstanden wird. Letzteres ist glasklarer Antimarxismus.
Und der ist übrigens demokratischer Konsens, wie noch das Innenministerium jüngst klarstellte, die Rede von der "Klassengesellschaft" soll ja extremistisch sein und gegen die Menschenwürde verstoßen. Mit Klassenunterschieden können Rechte mutmaßlich überhaupt nichts anfangen?
Norbert Wohlfahrt: Ich versuche in meinem Buch an verschiedenen Beispielen – der rechte Staatsbegriff, das Aufgreifen von Gramscis Konzept der kulturellen Hegemonie oder Rosa Luxemburgs Realpolitik – zu zeigen, dass der Kern neurechter Kapitalismuskritik immer auf das Gleiche hinausläuft: Sie sehen die Gemeinschaft des Volkes geschädigt und damit den unbedingten Vorrang der Nation vor allen anderen Werten gefährdet.
Seit Marx in seiner "Kritik der politischen Ökonomie" den Gegensatz von Kapital und Arbeit analysiert und gezeigt hat, dass es sich hier um eine Auseinandersetzung von Klassen handelt, deren ökonomischer Grund in der privaten Verfügung über den gesellschaftlichen Reichtum besteht, ist dies Gegenstand heftigster Anfeindungen. Für die meisten Kommentatoren soll allein der Tatbestand, dass es eine staatliche Sozialpolitik gibt, die Existenz von Klassen ad absurdum führen.
Die Neurechten unterscheiden sich hier nicht von den üblichen demokratischen Urteilen über eine die gesellschaftlichen Interessenunterschiede einhegende und auf sozialen Ausgleich ausgerichtete Staatlichkeit.
Was sie aber stört, ist die einseitige Bevorzugung von Wirtschaftsinteressen und die aus ihrer Sicht hieraus folgende Macht von Teilen der Wirtschaft (hier spielt wieder das Finanzkapital eine hervorgehobene Rolle) auf den Staat und damit auf die von ihm garantierte völkische Gemeinschaft.
Sie unterschlagen in ihrer Argumentation völlig, wie gerade in Zeiten globaler Wirtschaftskonkurrenz staatliche Währungs- und Finanzpolitik ein entscheidendes Instrument der Durchsetzung nationaler Kapitalinteressen ist, stattdessen wittern sie überall einen zu starken Einfluss eigennütziger Interessen auf das Volks-, respektive Gemeinwohl.
Dabei entgeht ihnen völlig, dass die Abhängigkeit unternehmerischen Erfolgs von staatlichen Maßnahmen und deren Durchsetzung selten größer war als gegenwärtig. Die von den Neurechten als Menetekel an die Wand gemalte "Suprematie der Wirtschaft" ist der Sache nach nicht mehr als der Ruf nach einer Staatsgewalt, die sich von nichts und niemandem in ihrer das Volk einigenden und beherrschenden Macht einschränken lassen darf.
Das ähnelt einer Neoliberalismuskritik, die die staatliche Beförderung von Marktbedingungen mit dessen Rückzug und sogar Abdanken verwechselt, hat aber in der gebetsmühlenartig vorgetragenen Deutung auf den Verlust im Volk verankerter Gemeinschaftlichkeit schon wahnhafte Züge.
Ihre Kritik an den Rechten greift im Fazit deren "radikalpatriotischen Moralismus" an. Sie schreiben: "Was die Neue Rechte an der Staatsbürgermoral, die sich auf den Staat als Subjekt individueller Interessen schlechthin bezieht, stört, ist die darin enthaltene Berechnung eines irgendwie gearteten individuellen Materialismus."
Ist Moralismus dort zentral? Was von rechts kommt, gilt doch sonst als menschenverachtender Faschismus? Der Bundespräsident versichert ja bei jeder Gedenkrede, dass unter den Nazis "Das Böse" an der Macht war ...
Norbert Wohlfahrt: Moralisches Denken zeichnet sich dadurch aus, dass ein subjektiver Maßstab an die Stelle einer sachlichen Analyse tritt. Dies kann man auch als eine prinzipielle Parteilichkeit, als Richtschnur des Urteilens kritisieren, weil ein solches Denken nicht wissen will, warum etwas wie in der Welt passiert.
Das moralische Denken haben die Neurechten nicht exklusiv für sich gepachtet, sondern sie teilen es sich mit ihren Adressatinnen und Adressaten, die ebenso wie die Rechten das Eintreten für Volk und Vaterland für selbstverständlich halten und von den Gründen für Ungleichheit und Ungerechtigkeit nichts wissen wollen.
Der radikale moralische Patriotismus der Neurechten unterscheidet sich aber von diesem Moralismus dadurch, dass er ausschließlich eine volkswohldienliche Staatsgewalt als Maßstab gelten lassen will, die nicht durch kleinliche wirtschaftliche Berechnungen, egoistische Vorteilnahme oder ökonomische Sonderinteressen behindert wird.
Insofern gilt der moralische Kampf der Neurechten tatsächlich einer kapitalismuskritischen Analyse, die die gegensätzlichen Interessen im Volk auf einen ökonomischen Grund zurückführt und die im Staat realisierte Gemeinschaftlichkeit als Abstraktion von diesen Gegensätzen kritisiert.
Wenn man so will, ist – wie bei den sozialpolitischen Verfechtern der Betriebsgemeinschaft oder den faschistischen Anwälten des ideellen Werts der Arbeit – der Marxismus samt seinen materialistischen Schlussfolgerungen auch bei den heutigen Neurechten der Hauptfeind ihres Antikapitalismus.
Die Neurechten begeistern sich für Heimat, Volk, Vaterland und Familie und mit diesen Werten agitieren sie gegen den seine materialistischen Zwecke verfolgenden homo oeconomicus.
Die Kritik an diesem, von vielen Demokraten geteilten Moralismus, ist – das soll die Botschaft meiner Streitschrift sein – nicht damit erledigt, dass man die Neurechten in die Ecke undemokratischer und ausländerfeindlicher Extremisten stellt. Wer den gängigen Nationalismus und Patriotismus nicht kritisieren will, der teilt die moralischen Maßstäbe der Neurechten, auch wenn er sie verachtet.