Quo vadis, Domine?
Wohin führt der Weg der christlichen Rechten in den USA?
Das Land der Freien - so heißen die Vereinigten Staaten im „Star Spangled Banner“, der amerikanischen Nationalhymne. Aber für wen gilt diese Freiheit? Für alle Menschen, ganz im Sinne einer pluralistischen Demokratie oder doch nur für einen bestimmten Teil der Gesellschaft? Während die Mehrheit der Amerikaner diese Frage wohl mit ersterem beantworten würde, ist ein nicht zu unterschätzender Teil der amerikanischen Gesellschaft ganz anderer Ansicht. Ein radikaler Teil der etwa 100 Millionen, sich selbst als streng gläubig bezeichnenden, amerikanischen Christen, vertritt Ansichten, nach denen nur ihresgleichen berechtigt sei, in den Vereinigten Staaten politische oder sonstige öffentliche Ämter zu bekleiden.
Diese Bewegung folgt einem verzerrten Geschichtsbild und der Vision eines theokratischen Amerika. Männer wie Jerry Falwell, Pat Robertson und James Dobson bildeten, als Vertreter verschiedener evangelikaler Konfessionen, die erste Generation ihrer Führer.
Jerry Falwell gehörte einer, ursprünglich eher unpolitischen, traditionell fundamentalistischen Denomination an, die er schon in jungen Jahren politisch zu motivieren versuchte. Seine äußerst kontroversen Standpunkte (u.a. rechtfertigte er in jungen Jahren die Rassentrennung) machten ihn in kurzer Zeit bekannt. Mit der Gründung der Organisation „Moral Majority“ wurde Falwell mit Hilfe wohlhabender Stiftungen und großzügiger Finanziers aus der Geschäftswelt zu einem der Führer der christlichen Rechten, der Millionen von Menschen via TV, Radio und Printmedien erreichen konnte.
Obwohl er diesen Führungsstatus in den letzten Jahren an Andere, wie beispielsweise Tony Perkins, Präsident der zur Zeit wohl einflussreichsten Lobbygruppe „Family Research Council“, verloren hat, behielt er viel Einfluss und widmete sich vor allem dem Aufbau der „Liberty University“, der von ihm (mit finanzieller Hilfe des Herausgebers der rechtskonservativen Tageszeitung „Washington Times“, Sung Myon Moon)gegründeten Universität.
Die Nachfolge
Am 19. Mai 2007 fand nun, vor etwa 17.000 Gästen, die Trauerfeier zum Tod des Jerry Falwell Sr. statt. Sein ältester Sohn Jerry Jr., ein Jurist, trat dabei erstmals an die Stelle seines Vaters, dessen Position als Kanzler der „Liberty University“ (LU) er von nun an übernimmt. Wenig ist über ihn, wie auch die anderen Kinder Falwells bekannt, wohl aber dass Falwell Sr. sorgfältige Vorbereitungen für seine Nachfolge traf. So wurde sein jüngerer Sohn, Jonathan, 1995 zum Geschäftsführer von Falwells „Thomas Road Baptist Church“ ernannt und wird nun wahrscheinlich die Pastoren-Stelle seines Vaters einnehmen, während Jerry Jr. bis zum Tod seines Vaters als Rechtsvertreter und Vizekanzler der LU fungierte.
Einer der Redner an diesem Tag war Newt Gingrich, seines Zeichens ehemaliger republikanischer Mehrheitsführer im US-Repräsentantenhaus und als Vertreter des rechten Flügels der Republikaner einer der Architekten der so genannten „republikanischen Revolution“ von 1994. Eine bessere Symbolfigur als ihn hätte sich kein Kabarettist für Falwells Begräbnis wünschen können – schließlich verkörpert Gingrich die hohen moralischen Standards der christlichen Rechten und ihrer republikanischen Türöffner mindestens genauso gut wie seinerzeit Jimmy Swaggart und Jim Bakker, oder auch wie der wegen verschiedener Anklagen zurückgetretene „Parteifreund“ Tom DeLay (dem Gott vor kurzem eingeflüstert haben soll, ein konservatives Gegenstück zur demokratischen Basis-Organisation „MoveOn“ zu gründen).
Unvergessen bleiben beispielsweise Gingrichs Beschwörungen der „traditionellen familiären Werte“ und seine Verdammung von außerehelichem Sex und der Verleugnung der eigenen Kinder in Scheidungsfällen. Nicht dass er damit im Unrecht wäre, aber für jemanden der beispielsweise seiner ersten Ehefrau am Krankenbett (sie litt an Krebs) mitgeteilt haben soll, dass er die Scheidung möchte und sich dann geweigert haben soll, Unterhaltszahlungen für seine Kinder zu leisten - weshalb seine ehemalige Kirchengemeinde für sie Spenden sammelte – sind derlei Parolen doch eher unangebracht.
Genau dieser Newt Gingrich, der sich übrigens bis Oktober 2007 entscheiden will, ob er für die Präsidentschaftswahl 2008 kandidiert, forderte Falwells Sohn Jerry Jr. und die versammelten Gäste auf, die „wachsende Kultur des radikalen Säkularismus“, welche „[verhindere], dass sich die Nation zu den Wahrheiten, auf denen sie gegründet wurde, bekenne“ entschieden zu bekämpfen. Diese Kultur führe laut Gingrich dazu, dass man sich beispielsweise an „öffentlichen Schulen nicht mehr auf den Schöpfer beziehen dürfe“ und Gerichte zu oft „anti-religiösen Vorurteilen“ nachgeben würden.
Diese Rhetorik spiegelt wieder, was die meisten, von Falwell Sr. oft übertönten, Führer der radikal-fundamentalistischen Bewegung – zumindest vor der allgemeinen Öffentlichkeit – gerne an Argumenten benutzen. Es ist häufig die Rede von „familiären“ und „traditionellen Werten“, Begriffe also, die sowohl harmlos als auch legitim erscheinen. Die Betonung der säkularen Natur der US-Verfassung; durch Kritiker der fundamentalistischen Bewegung oder durch Gerichte, wird als „Einschränkung religiöser Freiheit“ bezeichnet und die Geschichte der Vereinigten Staaten völlig einseitig als Beweis für eine theokratische Tradition verzerrt, um damit säkulare Grundsätze als illegitim zu diskreditieren und Befürworter einer pluralistischen Demokratie als Gegner „amerikanischer Werte“ zu diffamieren. Aber es ist ja nichts Neues, das gerade die schlimmsten Demagogen und Heuchler zu selbst erklärten Hütern von „Moral“ und „Vaterland“ mutieren.
“Moderate Evangelikale“ und christliche Rechte
In diesem Zusammenhang ist, vor allem seit Jerry Falwells Tod, das Thema „moderate Evangelikale“ in den Vordergrund gerückt, um damit eine Differenzierung von der, oberflächlich oftmals mit der evangelikalen Bewegung gleichgesetzten christlichen Rechten, zu betonen. John Green, Mitarbeiter des „Pew Forum on Religion and Public Life“, unterteilt die evangelikale Bewegung in drei Teile – Zentristen, Modernisten und Traditionalisten, wobei letztere zur christlichen Rechten gehören und deren Kern bilden.
Aber auch innerhalb anderer Konfessionen, wie Katholizismus oder traditioneller Protestantismus, sammeln sich zunehmend ultra-konservative Gruppen in eigenen Organisationen (wie beispielsweise William Donahues „Catholic League“). Obwohl theologisch auch oft unterschiedlicher Ansicht, verbindet all jene Gruppen ein gemeinsamer Standpunkt bezüglich gesellschaftlich relevanter Themen, weshalb inzwischen ganze Gemeinden die Kirche wechseln.
Man muss konstatieren, dass die evangelikale Bewegung nicht undifferenziert mit der christlichen Rechten gleichgesetzt werden kann. Allerdings haben sich nur wenige evangelikale Führungspersönlichkeiten offen gegen den Extremismus der christlichen Rechten ausgesprochen. Auch darf nicht vergessen werden, dass die "neue Art von Evangelikalen" einerseits Themen wie Umweltschutz oder Armut in den Vordergrund stellt, aber trotzdem in weiten Teilen weiterhin eine Agenda verfolgt, welche beispielsweise die Trennung von Staat und Kirche in Frage stellt und Frauen das Recht zur Selbstbestimmung abspricht.
Die Vermischung fundamentalistischer Religion mit erzkonservativer Politik
Letztendlich wird man die Auswirkungen der beschriebenen Veränderungen erst in einigen Jahren genauer erkennen können. Es bleibt aber die Tatsache, dass die christliche Rechte ohne Jerry Falwell vielleicht etwas ‚leiser’ sein wird, aber nicht weniger gefährlich. Die Vermischung fundamentalistischer Religion mit erzkonservativer Politik hat mit ihm begonnen, wird aber keinesfalls nach ihm enden, denn inzwischen ist aus dem Schachzug republikanischer Parteistrategen um Paul Weyrich, die in den 70’er Jahren planten, konservative, aber politisch inaktive Kirchenmitglieder zu mobilisieren, ein Selbstläufer geworden.
James Dobsons „Focus on the Family“, die „Southern Baptist Convention“ oder auch Reverend Louis Sheldons „Traditional Values Coalition“, um nur einige Namen zu nennen, werden weiterhin die Politik in Washington beeinflussen, nicht zuletzt auch dank der gewaltigen finanziellen Mittel, die ihnen durch ein Netzwerk von Stiftungen zufließen, durch ihre Mitglieder und durch geschätzte 2,1 Milliarden US-Dollar an Steuergeldern, die im Rahmen der "Faith Based Initiatives" des Weißen Hauses ausschließlich an christliche Einrichtungen gingen – und zwar alleine im Jahr 2005.
Dank der Mithilfe der christlichen Rechten ist der Oberste Gerichtshof inzwischen konservativ dominiert, während sich alleine die juristische Fakultät von Reverend Pat Robertsons „Regent University“ dessen rühmt, dass etwa 150 ihrer Absolventen in der Bush-Administration tätig sind. Newt Gingrich bemerkte in seiner Rede an der, bald 25.000 Studenten zählenden, "Liberty University":
Jeder, der hofft, wenn Menschen wie Reverend Falwell verschwinden, wäre die Möglichkeit, ganz Amerika zu konvertieren mit ihnen gegangen, missversteht grundsätzlich, weshalb Einrichtungen wie diese existieren.
Robertson, Dobson und ihre Nachfolger haben ihre Agenda in keinster Weise moderater gestaltet. Für sie gilt immer noch der Primat des (ihres) Christentums in allen Aspekten des öffentlichen und privaten Lebens in den Vereinigten Staaten („Dominion-Theologie“), die Aufweichung der Trennung von Staat und Kirche und die Einführung der als wissenschaftliche Theorie getarnten Aufbereitung der Schöpfungslehre, „Intelligent Design“, in den amerikanischen Schulen, um nur einige Punkte zu nennen.
Einfluss der christlichen Rechten auf die nächste Präsidentschaftswahl
Auf dem letztjährigen Treffen des „Family Research Council“ (FRC) von Tony Perkins (der Kontakte zu rassistischen Organisationen haben soll) bezeichnete einer der Prediger homosexuelle Menschen u.a. als „Schwuchteln“ und „Weichlinge“, während ein anderer betrügerische Methoden zur Stimmengewinnung vorschlug. Der FRC gilt, wie schon erwähnt, als eine der einflussreichsten Washingtoner Lobby-Organisationen der christlichen Rechten.
Schlussendlich ist festzuhalten, dass der Einfluss der christlichen Rechten trotz aller Gegenbewegungen voraussichtlich auch die nächste Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten entscheidend mitprägen wird. Senator McCain, der Jerry Falwell vor sieben Jahren noch als „Makler der Intoleranz“ bezeichnete, trat letztes Jahr als Redner an Falwells „Liberty University“ auf. Darüber hinaus sprach er auf einer, vom „Discovery-Institute“ (DI) mitorganisierten Veranstaltung.
Einer der Haupt-Finanziers des DI, welches „Intelligent Design“ propagiert, ist Howard Ahmanson, der fast zwanzig Jahre im Vorstand der Chalcedon-Stiftung tätig war - die wiederum offen für eine amerikanische Theokratie auf Grundlage der zehn Gebote wirbt.
Sollte Newt Gingrich tatsächlich kandieren, dürfte in der GOP wahrscheinlich ein Rennen um den Titel des größten Demagogen beginnen – mit Gingrich, der schon einmal in New Orleans eingeschlossene Opfer des Hurrikans „Katrina“ als „ungebildet“ und dadurch selber verantwortlich für ihre Situation beschrieb, als 'Geheimtipp’.
Höhepunkt des Ganzen könnte die Suche nach dem besten Euphemismus für „Folter“ sein, nachdem die meisten momentanen Kandidaten der Republikaner (bis auf Ron Paul und John McCain) die Meinung geäußert haben, die Einschränkung bürgerlicher Freiheitsrechte und die Anwendung so genannter „enhanced techniques“ (erweiterte Techniken) bei Verhören wären notwendig und gerechtfertigt.
Wer da nun hofft, die demokratischen Partei sei die letzte Bastion der Vertreter einer ,aufgeklärten' Demokratie, dem sei versichert, dass zumindest einige der demokratischen Kandidaten in klaren Worten den Military Commissions Act (welcher u.a. Folter legalisiert) ablehnen. Aber man merke auf: ein Berater der Demokraten soll deren Kandidaten empfohlen haben soll, die Phrase „Trennung von Staat und Kirche“ nicht zu benutzen, um potentielle Wähler nicht zu abzuschrecken. Ein Schelm, der Arges dabei denkt...