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RBB-Skandal: "Keine Demokratie ohne Demokratisierung der Medien"

Medienwissenschaftlerin Sabine Schiffer. Bild: privat

Sabine Schiffer über den Versuch, die aufkommende Medien-Reformdebatte abzuwürgen sowie die Notwendigkeit von Publikumsbeteiligung und Transparenz.

Frau Schiffer, viel wird derzeit über den Skandal bei Rundfunk Berlin-Brandenburg gesprochen, die ARD hat der RBB-Spitze das Vertrauen entzogen. Dabei geht es im Kern um Finanzmissbrauch, unlautere Beraterverträge und allgemeine Intransparenz. Ist der RBB ein Einzelfall mit Blick auf die Strukturen, die diesen Skandal begünstigt haben?
Sabine Schiffer: Ja und nein. Dieses Bonussystem, das man nicht so nennen soll, also eine "leistungsabhängige" Vergütung beim Erreichen bestimmter Zielvereinbarungen, ist wohl einzigartig in den ARD-Anstalten. Beim ZDF weiß ich es nicht. Der DLF wird gerade gar nicht mitdiskutiert. Aber einiges, das auf Strukturelles hindeutet, ist eben für alle relevant. Gerade, was die Intransparenz bei den Kontrollgremien anbelangt, deren Zusammensetzung, Entsendeprozesse und Intendanznähe ist etwa weitestgehend unbekannt.
Das ist ein Problem, auf das viele seriöse Kritiker der öffentlich-rechtlichen Medien hinweisen, die das System lange schon für reformbedürftig halten. Im Zuge der Causa Schlesinger sind aber noch weitere Punkte dazu gekommen, die es sich systematisch anzuschauen lohnt. Ich nenne mal mindestens die Personalvertretung und die Stärkung der Programmmachenden.
Beachtlich ist, mit welcher Verve der RBB und öffentlich-rechtliche Anstalten gerade quasi gegen sich selbst recherchieren und berichten. Wirkt dieses Engagement auf Sie ehrlich; muss man nicht davon ausgehen, dass intransparente Strukturen und Machtmissbrauch hausintern bekannt waren?
Sabine Schiffer: Die RBB-Journalisten sind ebenso schockiert wie die Bürger, wie der RBB unter der Führung Schlesinger degeneriert ist. Das Medienmagazin unter der Leitung von Jörg Wagner hat hier viel geleistet. Inzwischen hat ein internes Rechercheteam übernommen. Transparenter Journalismus ist die einzige Medizin und ja das Kerngeschäft der Medien.
Aber ich würde nicht sagen, dass es Recherchen "gegen sich selbst" sind. Im Gegenteil, das stärkt die Glaubwürdigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien. Und ich habe den Eindruck, dass das immer noch auf den Leitungsstellen verstanden werden muss.
Wird RBB-Intendantin Patricia Schlesinger zum Sündenbock, um von tiefergreifenden Problemen abzulenken?
Sabine Schiffer: Ja, in einem gewissem Maße. Ich frage mich zwar auch, was mit ihr passiert sein kann, dass sie und einige andere Funktionäre jedes Maß verloren haben. Aber den Entzug des Vertrauens durch die ARD gegenüber dem RBB, die Statements von Tom Buhrow, halte ich für einen Versuch, die aufkommende Reformdebatte gleich wieder zu kappen und sich so darzustellen, als wäre der RBB ein grober Ausnahmefall, der mit den Zuständen in anderen Sendern nichts zu tun hätte.
Hingegen ist das Debakel ein Symptom. Es wäre sehr schade und nachhaltig schädlich, wenn jetzt über die Neustrukturierung des RBB – auch mit Blick auf den neuen Rundfunkstaatsvertrag und nun die Personalfragen – das System der öffentlich-rechtlichen Medien aus dem Blick geriete. Da liegt einiges im Argen, was wir lange wissen, und das um der Akzeptanz und Glaubwürdigkeit willen angegangen werden muss.
Wir sehen ja durch die Entwicklung in Frankreich und Großbritannien, dass die Existenz eines ÖRM-Systems nicht sakrosankt ist. Im internationalen Medienvergleich wird aber deutlich, warum es sich um unsere Medien zu kämpfen lohnt.

Bessere Verbindung zwischen Medienmachenden und -nutzenden

Sie fordern als Medienwissenschaftlerin schon seit geraumer Zeit eine Reform der öffentlich-rechtlichen Medien. Wo soll man denn da anfangen?
Sabine Schiffer: Es zeigt sich ja nun, dass mindestens folgende Punkte anzugehen sind. Beginnen wir mal eine Liste:
In den Zehn Thesen zur Reform der ÖRM [1] stehen noch weitergehende Überlegungen, die ich zur Beachtung und Diskussion empfehle.
Mehr Demokratie also, auch über die Einbindung des Publikums. Wie geht das konkret?
Sabine Schiffer: Mit meiner Kollegin Christine Horz-Ishak habe ich die Publikumsratsinitiative gegründet. Wir setzen uns dafür ein, dass es gewählte Publikumsräte in den Kontrollgremien gibt. Das würde mehr Transparenz und Verantwortlichkeit begünstigen. Durch die Wahl kämen medienrelevante Themen auf den Tisch, nebenbei entsteht ein Lerneffekt, wie die öffentlich-rechtlichen Medien funktionieren, sprich verfasst sind.
Man wäre den Wählern gegenüber berichtspflichtig, ganz im Sinne einer Ombudsfunktion. Über den Rundfunkbeitrag sind wir starke Stakeholder und diese Anspruchsberechtigung gibt es bei anderen Medien nicht. Eine bessere Verbindung zwischen Medienmachenden und -nutzenden ist die beste Grundlage für die eigene Legitimation.
Mit Ihrem Kollegen Peter Welchering haben Sie weitere Reformpunkte ausgemacht …
Sabine Schiffer: Also, Herr Welchering ist eigentlich Ihr Kollege. Ein gestandener Journalist mit langjähriger Erfahrung in den öffentlich-rechtlichen Medien. Aber ja, er ist auch als Dozent in der Journalismus-Lehre tätig.
Wir erarbeiten das jetzt sukzessive und stellen das in unserem Videoformat zur öffentlichen Debatte: journalistischer Maschinenraum trifft Elfenbeinturm [2].
Wobei ich ja hier aus wissenschaftlicher Einsicht zum Aktivisten für mehr Publikumsbeteiligung geworden bin. Aber, wir haben festgestellt, dass es unglaublich viele Punkte und Ebenen betrifft und da auch noch einiges an Analyse erforderlich ist, um die notwendige Reform voranzubringen. So wurde uns die Notwendigkeit einer Reform-Kommission klar und gleichzeitig kamen dann die Fragen auf, wie diese denn besetzt sein müsste, damit alle Punkte abgedeckt werden können.

"RBB-Skandal wirkt wie ein Katalysator"

Wie hat sich die Debatte um eine Reform entwickelt und welche Auswirkungen, denken Sie, hat der RBB-Skandal?
Sabine Schiffer: Der RBB-Skandal wirkt wie ein Katalysator, der aber die Gefahr birgt, dass man das personalisiert und darauf fixiert, also reduziert, während nachhaltig nur das Angehen des strukturellen Reformbedarfs ist. Insofern können diejenigen, die schon länger Reformen anmahnen, Frau Schlesinger & Co. fast dankbar sein, aber müssen auch aufpassen, dass die Kräfte, die meinen, das Verdecken würde sie schützen, nicht wieder Oberhand gewinnen.
"Die Zusammensetzung der Rundfunk- und Fernsehräte ist seit Gründung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nach dem Zweiten Weltkrieg im Wesentlichen gleichgeblieben", heißt es in der Erlangener Erklärung von 2014, die Sie mitinitiiert haben. Diese Gremien würden von Politikern, Kirchen, Bildungsinstitutionen, Gewerkschaften sowie Bauern- und Verbraucherverbände dominiert. Warum ist das ein Problem?
Sabine Schiffer: Es gibt keine Repräsentanz der Bevölkerung. Nicht nur, dass sich fast nichts an den zugelassenen Organisationen verändert hat, wie meine Studierenden der HMKW in einer systematischen Untersuchung akribisch nachvollzogen haben, es müsste insgesamt ein dynamischeres System sein. Beispielsweise jetzt kommt eine groß gewordene ukrainische Community in Deutschland dazu. So eine Veränderung müsste sich abbilden lassen.
Auch sind die Entsendeverfahren im Dunkeln. Wird berufen, gewählt? Wer wird von den Verbänden wie entsandt?
Die Erlanger Erklärung geht aber über die Partizipations- und Transparenzfrage hinaus. Wir sehen ein Problem in der Entwicklung auf der europäischen Ebene, wo alles als Markt gesehen wird und woher die Depublikationsverpflichtung auf den Websiten der öffentlich-rechtlichen Medien kommt. Das ist Verachtung der Finanziers der Medienprodukte, da gibt es andere Lösungen [3].
Aber auch wir haben durch unsere Forschungsergebnisse, gerade auch mit Blick auf Vorgängerorganisationen, dazu gelernt und müssen immer wieder nachjustieren – so z.B. auch die Integration gewählter Publikumsräte in den bestehenden Gremien, statt der Etablierung eines eigenen Gremiums.
Wie kann eine Transparenzpflicht umgesetzt werden?
Sabine Schiffer: Durch eine Wahl von Publikumsvertretern lassen sich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zentrale Stichworte sind die Notwendigkeit von mehr Auseinandersetzung mit Medien im Allgemeinen und mit den öffentlich-rechtlichen Medien im Besonderen. Es braucht eine Ombudsfunktion mit Berichtspflicht. Stichwort: Wiederwahl, aber auch Compliance und Bündelung von Anliegen nach innen und nach außen.
Zu lösen gibt es noch folgende Fragen: Wie lässt sich eine freie Wahl mit der Notwendigkeit von mehr Professionalität kombinieren? Wie können alle an der Wahl teilnehmen, die möchten? Wie macht man das niedrigschwellig und gerecht?

"Staatsverträge geben für Krisenmanagement nichts vor"

Der Medienwissenschaftler und Telepolis-Autor Sebastian Köhler und MDR-Rundfunkrat Heiko Hilker haben in einem Beitrag – just in Bezug auf den RBB– vor wenigen Wochen ein grundlegendes Problem angesprochen [4]: Öffentlich-rechtliche Sender stehen gar nicht in der Pflicht, ihren "Kunden" Auskunft zu erteilen.
Sabine Schiffer: Es gibt einige strukturelle Fehlanlagen. Wie man jetzt auch merkt, geben die Staatsverträge gar nichts vor für ein Krisenmanagement, wie es gerade beim RBB erforderlich ist. Darum setzten wir uns in der Publikumsratsinitiatve von Anfang an für eine Verankerung im Staatsvertrag ein und für entsprechende Änderungen auf dieser Ebene. Denn wir brauchen hier einen institutionalisierenden Rechtsrahmen, der für die Durchschlagskraft entscheidend ist – wie wir ja jetzt merken.
Man wird die Stakeholder – also Anspruchsgruppen – der öffentlich-rechtlichen Medien nicht länger ignorieren können, weil man sonst die Akzeptanz verliert.
In den vergangenen Jahren hat das Misstrauen gegen öffentlich-rechtliche Medien zugenommen, rechte Akteure haben den Unmut gegen "Staatsfunk" und "Lügenpresse" geschürt; aber auch in der Bevölkerung allgemein sinkt das Vertrauen in "die Medien". Ist die Kluft überhaupt noch zu überwinden?
Sabine Schiffer: Das ist doch Auftrag genug, dass man eine Reform vorantreiben muss. Sonst übernehmen die destruktiven Kräfte die Stimmung im Land. Die Langzeitstudie Medienvertrauen der Universität Mainz zeigt zwar, dass entgegen allen Unkenrufen die öffentlich-rechtlichen Medien immer noch eine vergleichsweise hohe Glaubwürdigkeit genießen. Aber ich würde mich da nicht so in Sicherheit wiegen.
Wie kann der Einfluss politischer Akteure, den 2014 im Zuge einer Normenkontrollklage ja sogar das Bundesverfassungsgericht von Hamburg und Rheinland-Pfalz festgestellt hat, und von Lobbyisten eingeschränkt werden? Wie können die Öffentlich-Rechtlichen zu "unseren" Medien werden?
Sabine Schiffer: Nun, man kann auch über weitergehende Vergesellschaftungsmodelle nachdenken und tiefergreifende Reformen juristisch prüfen lassen. Dazu werden noch einige Experteninterviews mit Medienjuristen zu führen sein bzw. sind diese aufgefordert, uns ihre Expertise und Einschätzung zukommen zu lassen.
Wir sind da dran und freuen uns, wenn andere dazu beitragen zu klären, wie die öffentlich-rechtlichen Medien demokratischer werden können. Um es mit Eckart Spoo zu sagen: "Keine Demokratie ohne Demokratisierung der Medien!"
Nochmal zur rechten Agitation gegen öffentlich-rechtliche Medien: Wie schnell wird man, wenn man hier Probleme anspricht und Reformen fordert, in diese Schublade gesteckt, inwiefern also verhindert rechte Medienfeindlichkeit eine offene und offenbar notwendige Debatte?
Sabine Schiffer: Diese Gefahr besteht hier genauso wie beim Ansprechen sozialer Probleme und anderer relevanter Themen. Und natürlich gibt es Übernahmestrategien von rechts.
Da müssen die konstruktiv Engagierten ebenso aufpassen, wie umgekehrt davor warnen, dass diejenigen, die Reformen nicht wollen, weil sie vom System profitieren wie hohe Funktionäre in den öffentlich-rechtlichen Medien oder gar die öffentlich-rechtlichen Medien vor die Wand fahren wollen wie Springer & Co., mittels strategischer Kommunikation die Bemühungen zu diskreditieren suchen. Da gibt es ja bekanntermaßen die sehr effektive Methode der Ad-hominem-Attacke, die gerne dann angewandt wird, wenn die (Gegen-)Argumente ausgehen.
Wir werden also damit rechnen müssen, dass man die Reformwilligen auf diese Art zu schwächen sucht. Die Frage ist, ob es Beteiligte gibt, die klug genug sind, etwas weiterzudenken. Chaostheoretisch wäre es nämlich sonst das Schaufeln des eigenen Grabes.

URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7244655

Links in diesem Artikel:
[1] https://zukunft-öffentlich-rechtliche.de
[2] https://www.youtube.com/watch?v=7rnnkoX6w4M
[3] https://publikumsrat.de/ueber-uns/erlanger-erklaerung
[4] https://www.heise.de/tp/features/Ueber-Medienvertrauen-und-Friedensberichterstattung-7191933.html