RKI-Leaks und Menschenbild der Corona-Jahre: Schriftstellerin Juli Zeh fordert Aufarbeitung

Die Erfolgsautorin Juli Zeh ist zudem ehrenamtliche Verfassungsrichterin in Brandenburg. Archivbild: Heike Huslage-Koch / CC-BY-SA-4.0

Mit zwei Jura-Professorinnen und der Soziologin Svenja Flaßpöhler meldet sich die Autorin zu Wort. Dabei fänden sie Fehler verzeihlich. Worin sie das Problem sehen.

"Und wo ist jetzt der Skandal?", fragte etwa die Süddeutsche Zeitung nach dem Leak der ungeschwärzten Protokolle des Corona-Krisenstabs des Robert Koch-Instituts. Von einem "Skandal, der keiner ist" sprach der Pascal Siggelkow, seines Zeichens ARD-faktenfinder.

Erwartungsgemäß waren durch den Leak längst nicht alle Behauptungen aus dem breiten Spektrum der Corona-Maßnahmenkritiker (bis hin zu radikalen Impfgegnern) bestätigt worden. Allerdings gilt das zum Teil auch für Erzählungen von Hardlinern der Gegenseite.

Die Schriftstellerin und ehrenamtliche Richterin am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Juli Zeh, hat nun gemeinsam mit drei Wissenschaftlerinnen eine Aufarbeitung der deutschen Corona-Politik gefordert.

Corona-Maßnahmen: Fehler vor allem im Umgang mit Bürgern

"Fehler wurden nicht nur bei der Auswahl bestimmter, im Nachhinein geradezu absurd anmutender Maßnahmen gemacht, sondern vor allem im Umgang mit den Bürgern", schreiben Zeh, die Jura-Professorinnen Elisa Hoven und Frauke Rostalski sowie Soziologin Svenja Flaßpöhler in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ, Donnerstagsausgabe).

Die Schriftstellerin Juli Zeh hat zusammen mit drei Wissenschaftlerinnen erneut eine Aufarbeitung der deutschen Corona-Politik gefordert. "Fehler wurden nicht nur bei der Auswahl bestimmter, im Nachhinein geradezu absurd anmutender Maßnahmen gemacht, sondern vor allem im Umgang mit den Bürgern", schreiben Zeh, die Soziologin Svenja Flaßpöhler und die Jura-Professorinnen Elisa Hoven und Frauke Rostalski in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Donnerstag).

Überschrift: "Wir müssen die Corona-Jahre endlich aufarbeiten". Gewissheiten seien vorgetäuscht, Fehler nicht zugegeben und auch nicht korrigiert worden – "es wurde gefordert, ‚der Wissenschaft‘ zu folgen, obwohl in vielen grundlegenden Fragen Uneinigkeit bestand und obwohl die Politik selbst Einfluss auf die Wissenschaft genommen hat".

Bei Pandemie-Beginn erwartbare Fehler später nicht korrigiert

Es sei zwar grundsätzlich erwartbar, dass Fehler passieren, wenn auf etwas Neues reagiert werden müsse. Wichtig sei aber, diese Fehler zu erkennen und zu verstehen, aus welchen Gründen sie gemacht wurden.

"Daraus lässt sich etwas lernen. Für die Krisen, die noch kommen werden", schreiben die drei Juristinnen und die Soziologin. "Eine Reflexion von Entscheidungen und Kommunikation in der Pandemie ist kein Nachtreten, sondern ein notwendiger Schritt aufeinander zu, im Interesse des gesellschaftlichen Friedens."

Die RKI-Protokolle und ein bereits 2020 öffentlich gewordenes Strategiepapier des Bundesinnenministeriums – damals unter Horst Seehofer (CSU) – zeigten "ein äußerst zweifelhaftes Verständnis der Politik von ihrer Rolle und ihrem Verhältnis zu den Bürgern", schreiben Flaßpöhler, Hoven. Rostalski und Zeh.

Menschenbild der Corona-Zeit und Kritik an Framing

In den Protokollen trete ein Menschenbild zutage, "das mit der demokratischen Idee vom mündigen Bürger wenig zu tun hat".

In seinem Strategiepapier von März 2020 sei das Bundesinnenministerium davon ausgegangen, dass der Staat "Urängste" triggern müsse, um die Menschen zum Befolgen der Corona-Maßnahmen anzuhalten. "Die RKI-Protokolle dokumentieren eine ähnliche Auffassung", heißt es in dem Gastbeitrag der vier Frauen.

"Möglichst viele Menschen sollten zur Befolgung der Maßnahmen und zu Impfungen bewogen werden", so die Autorinnen weiter. "Aber wer dazu auf Einschüchterung, Manipulation oder falsches Framing zurückgreift, der behandelt den Bürger nicht als Souverän." Er behandele ihn als Teil einer zu dirigierenden und zu schützenden Masse, um einen vermeintlich alternativlosen Weg durchzusetzen.