Rammstein-Debatte: Männerglück und Frauenleid
Eine Verteidigung, die zur Herrenreitershow wird, das Omertà-Problem der Branche mit dem Thema Groupies und wie die Lust im Rock ’n’ Roll und Pop ohne Verbote weitergehen kann.
Ich erwarte von all diesen Beteiligten, dass sie Farbe bekennen, dass sie öffentlich machen, was sie erlebt haben, und dass sie die Frauen, die sich mutig zu Wort melden, unterstützen. Dass sie der Misogynie entgegentreten, die in dem Geschäft immer noch vorherrscht.
Berthold Seliger
Gestern sagte Musikproduzent Thomas Stein in der TV-Sendung hartaberfair:
Ich weiß nicht, ob jemand von allen, die diskutieren, schonmal auf einem Rammstein-Konzert waren. Ich befürchte nämlich nicht. Wie der sich auf der Bühne ausarbeitet, wie der mit 60 Jahren über die Bühne rennt, dann soll der plötzlich da runtergehen und noch plötzlich jemanden beglücken? Also, da muss er ins Museum, weil das ist eine Kraft, die kannst du eigentlich gar nicht aufbringen.
Thomas Stein
Es ging bei der Sendung um den "Fall Rammstein und die Frage, ob Männer, seid Ihr wirklich noch nicht weiter?". Die Aussagen, mit denen 5-Sterne-Redner die Runde und das Publikum beglückte, waren als Verteidigung gemeint ("Lass es 100 Frauen sein, die das (gemeint sind Vorwürfe, Einf. d. Red.) berichten, das sind immer noch insgesamt 300.000 Zuschauer.")
Steins Äußerungen stellten dumpf und herrenreiterisch zur Schau, was der eingangs zitierte Berthold Seliger, Konzertagent und Tourneeveranstalter und Autor (bei Telepolis: Wenige weltweit agierende Konzert-Multis dominieren die Branche, als einen deprimierenden Kern des Problems in der Musikbranche anspricht: Frauenverachtung.
Dem Tagesspiegel gegenüber beleuchtet Seliger das Dunkelfeld des Umgangs mit Groupies ("ein massives Problem").
Der Vorwurf der Prüderie (siehe: Rammstein, Till Lindemann und Deutschland: Von bösen Männern und guten Mädchen) zielt bei Seliger daneben.
"Durchknallen, ja; Misogynie, nein"
Hypermoralismus und dessen zwanghafte Umsetzung in Verbote von Konzert- oder Backstagepartys ("absurd") sind nicht Sache des Tour-Managers (u.a. Pattie Smith: Menschen sollen "auch mal durchknallen und aus sich herausgehen können. Und die Popkultur lebt ja davon, dass dies möglich ist". Aber eben auch "Wenn zu Rock ’n’ Roll Misogynie gehören soll, ist das nicht mehr mein Rock ’n’ Roll!"
Der Misogynie entgegenzutreten, bedeute nicht das Ende des Rock ’n’ Roll, so Seliger. Er fordert, dass Konzerte Safe Spaces (geschützte Räume), sein sollen, der Einsatz von Awareness-Teams könne helfen, wenn die Veranstalter das nicht hinbekommen.
Das Thema Groupie ist seit den 60er-Jahren ein massives Problem. Junge Frauen suchen die Nähe zu den Stars. Es gibt da immer ein Machtgefälle. Solange das nicht ausgenutzt wird, ist dem nichts hinzuzufügen. Schwierig wird es, wenn es ein Casting für potenzielle Sexpartnerinnen gibt, die vermutlich oft gar nichts davon wissen oder auch nur ahnen, was da noch passieren soll. Da verläuft die Grenze.
Offen reden
Nicht nur das Machtgefälle in der "Man’s Man’s Man‘s World" zählt er zu den grundlegenden Problemen des Musikgeschäfts, sondern auch des Kultur des Schweigens, "eine Art Omérta", die es immer dann gibt, wenn es um heikle Themen gehe.
"Lasst uns offen darüber reden" fordert Seliger Tour-Veranstalter, Agenten, Manager und Plattenfirmen auf sowie "Presseleute, die in den "Row Zeroes" oder bei Partys waren". Sie sollen berichten, was da passiert.
Laut Tagesschau werden nun Erfahrungsberichte von "Betroffenen von sexualisierter Gewalt und Diskriminierung in der Musikindustrie" in einem Projekt namens "musicmetoogermany" gesammelt.
Damit werde in Folge der Vorwürfe gegen Rammstein – deren gerichtliche Überprüfung noch aussteht (siehe: Zwischenbilanz zu Rammstein und Lindemann: Viel Aufregung, wenig Rechtsstaat) – eine Anlaufstelle für Betroffene aufgemacht, die an ein Projekt anschließt, das die "Gewalt in der Deutschrap-Szene" zum Thema hatte.
Die Reaktionen, von denen die Tagesschau berichtet, demonstrieren, dass Misogynie in der Pop-Welt ein ernsthaftes Problem ist. Die Aktivistinnen, die Erlebnisse der Betroffenen anonymisiert auf ihrem Instagram-Kanal veröffentlichten, hätten sich "den Hass vieler Fans und Rapper auf sich gezogen".
Schon in den ersten Tage nach der Veröffentlichung sei ihnen gewünscht worden, dass sie vergewaltigt werden.
Tagesschau